Klaus Dräger, geboren am 29.7.1942, Diplom-Wirtschafts-Ingenieur & Diplom-Psychologe an der Technischen Universität Berlin, Psychologie-Studium auch an der Freien Universität Berlin. Mit-Aufbau der Modell- Kontakt- und Beratungsstelle "Treffpunkt Waldstraße" Beratung in (Berlin-)Moabit, in der kollektiven Geschäftsführung der studentischen Hilfskräfte. Mit-Aufbau des Psychiatrie-Beschwerde-Zentrums Berlin. Mitarbeit bei der Irren-Offensive ab Frühsommer 1981, als sie ihren Treffpunkt ins besetzte Haus verlegte.

1980 bis 1995 (Krisen-)Begleitung des Werner Fuß bis zu seinem Tod und darüberhinaus, siehe auch Nachruf in der "tageszeitung" (taz) vom 18.9.1995 und Spendenaufruf für die von ihm gewünschte Beerdigung in seinem Heimatort Andenhausen/Thüringen eine Woche später. Nach Werner wurde das Werner-Fuß-Zentrum benannt.

Dräger hatte eine psychosoziale und psychotherapeutische Praxis, Supervision/Coaching. Er besitzt unterschiedlichste Erfahrungen mit dem psychiatrischen Hilfesystemen " Psychiatrie FU Berlin, Nußbaumallee; Husemann-Klinik bei Freiburg; Wohnverbund Riesenhof (Wohnheim) bei Ravensburg " und bei Einzelpersonen. Lebt 20 Jahre im Bodenseekreis. Dort seit 18 Jahren Kampf für die sozialen und Menschenrechte Psychiatrie-Erfahrener.


Klaus Dräger im Mai 1981 vor der Bülowstr. 54

Klaus Dräger

Es geht auch anders!
Psychiatrie überwinden

Von der Antipsychiatrie-Bewegung
der 70er bis Anfang der 80er Jahre

Inklusive 110 Seiten
Wortprotokoll der Diskussion am 27.3.1981
im Psychiatrie-Beschwerdezentrum Berlin

Titelbild | © Golgatha, Ninetta Sombart
Umschlaggestaltung | © Klaus Dräger

Texte | © Klaus Dräger
Foto Widmung Werner Fuß | © Ulf Gojiew
Verlag | Klaus Dräger, Hildegardring 49, 88662 Überlingen
Buchbestellung per E-Mail: holgerjuergens(ät)mail.de

Der Autor kann aus Sicht des Betroffenen und Professionellen darüber aufklären, wie Menschen abgeschoben, mit willkürlichen und unzutreffenden Diagnosen in der Psychiatrie eingesperrt, mit chemischen Zwangsmitteln (Psychopharmaka) ruhig gestellt, ihrer Menschenrechte beraubt, entmündigt, unterdrückt, misshandelt und maßlos ausgebeutet werden. Langjährige Einnahme von Neuroleptika (Nervenlähmungsmittel) führen zu 20 bis 25 Jahre geringerer Lebenserwartung.

Dagegen engagierte sich u. a. der SSK (Sozialistische Selbsthilfe Köln), bei dem er auch mitarbeitete. Dessen Aktionen gipfelten in der Schließung des psychiatrischen "Landeskrankenhauses" Köln-Brauweiler.

Ausführlich berichtet der Autor als von Anfang an aktiv Beteiligter über den Prozess des Aufbaus des Psychiatrie-Beschwerdezentrums Berlin, zu dem die Betroffenen den Auftrag gegeben hatten und an dem sie im Verlauf überwiegend beteiligt waren. Dazu gehört auch das präzise 110 Seiten Wortprotokoll der Diskussion vom 27.3.1981 im Beschwerdezentrum.

Er weist darauf hin, dass die psychiatrischen Anstalten in Italien durch das Gesetz 180 vom 13.5.1978 abgeschafft sind und inzwischen auch die forensisch psychiatrischen Kliniken. In Italien ist auch die angebliche Gefährlichkeit der sogenannten psychisch Kranken als Vorwand für Zwangsmaßnahmen entlarvt und überwunden worden. Dagegen wird in Deutschland in den Psychisch-Kranken-Gesetzen (PsychKG) jedoch weiter Selbst- und Fremdgefährdung unterstellt.

Nur ausnahmsweise hat sich die Psychiatrie verbessert, wie durch den als Psychiater tätigen Postboten Gert Postel. Insgesamt hat sich die Psychiatrie aber ausgeweitet, sind die Zwangsmaßnahmen mehr als verdoppelt und massenhaft mehr Psychopharmaka verordnet worden.

Am Ende des Vorwortes gibt der Autor auch Hinweise auf aktuelle Hilfen, insbesondere zum Psychopharmaka absetzen.

René Talbot von der Irren-Offensive hat er um das Nachwort gebeten.


Dieses Buch widme ich Werner Fuß

geboren am 30.1.1948 – am Todestag Mahatma Gandhis. Es handelt sich um den Werner, nach dem auch das
Werner-Fuß-Zentrum
benannt ist. Es befindet sich jetzt in der Vorbergstrasse 9A in Berlin.

Nach der Flucht aus der DDR über die nahe Grenze zum Onkel, nicht weit von Köln, wurde er von diesem in die Psychiatrie gebracht, in der er 12 ½ Jahre in verschiedenen Anstalten in NRW verbringen musste, bis ihn der SSK rausholte/befreite. Um seinen Vormund loszuwerden, kam er nach Berlin.

Durch Unterstützung des von mir mit aufgebauten Treffpunktes "Waldstraße" Beratung in Moabit gelang sein 8. Wiederbemündigungs-Versuch. Vom Obdachlosenheim schaffte er über die Hausbesetzer den Einzug in die eigene Wohnung. Fortan zeigte er öffentlich, insbesondere auf Psychiatrie- und Antipsychiatrie-Veranstaltungen:

Es geht auch anders!

Vielfach dankbar für seine eigene Befreiung aus der Psychiatrie zeigte er sich, indem er viele andere Menschen aus der Psychiatrie rausholte. So wurde er darin Ausbrecherkönig, wie er früher König im Abhauen aus der Psychiatrie war (leider aber immer wieder durch Polizei und Vormund zurückgebracht wurde).

Werner Fuß hat mir dazu verholfen, mit meiner Psychiatrie-Erfahrung herauszukommen und mit ihm für die Alternativen zur Psychiatrie zu kämpfen. Er hat auch alle zusammengebracht, die jetzt an der Buchveröffentlichung beteiligt sind: Manfred Trost, Journalist, und Klaus Jans, jetziger Verleger, die beide mit ihm zusammengelebt haben, und zwar im besetzten Haus Bülowstr. 55 in Berlin.

Werner starb im Juli 1995. Wir alle drei waren am 15. 10. 1995 anlässlich der geplanten Urnenbeisetzung in seinem Geburtsort Andenhausen/Thüringen (Andenhausen wurde 2013 nach Kaltennordheim eingemeindet), für die sich auch René Talbot, jetzt Werner-Fuß-Zentrum, eingesetzt hatte.

Werner Fuß ist hier im Film zu hören und zu sehen: https://youtu.be/0lMauyX51z4?t=121

Er lag unter dem Baum

Er lag unter dem Baum
mit den hängenden Zweigen

und hätte einen tiefen Schlaf.
Seine Haare lagen lang im Gras
und wollten den Winter verschweigen.

Dann kamen die Männer in blanken Schuhn
und mit der silbernen Schere.
Die schnitten ihm die Haare ab
die blieben im Gras über Winter
Und ihn versehn sie mit einem Strick
und hängend brach er sein Genick.

Da kam das Mädchen von gestern
und fragte: Was hat er euch getan?
Die Männer blickten lange zu ihr
und dann sagten sie:
Der war anders als wir!

1967

Bettina Wegner (Wenn meine Lieder nicht mehr stimmen,
Reinbeck bei Hamburg, 1979, S. 44)

 

Vorwort


Dieses Buch, das Sie in Ihren Händen halten, ist die Neuausgabe meiner Diplomarbeit: "Psychosoziale Initiativen - eine Alternative zur herrschenden Psychiatrie?" Ich habe sie bei Professorin Dr. Eva Jaeggi geschrieben und am 15.01.1982 an der TU Berlin, Fachbereich 2, Institut für Psychologie abgegeben. Der Text wurde berichtigt, an wenigen Stellen verbessert und verständlicher gemacht - i. d. R. in ( ) gesetzt - sowie zusätzliche Hervorhebungen angebracht.
Im Buch habe ich hinzugefügt:

- Die Autorennotiz
- Die Widmung an Werner Fuß
- Das Gedicht "Er lag unter dem Baum" von Bettina Wegner
- Das Nachwort von Rene Talbot
- Dieses Vorwort

Alles andere ist originaler Bestandteil der Diplomarbeit (ursprünglich im DIN A4 - Format), auch die Gedichte "Verrückt" von Christine Tischkau (5.16) und "Was mir noch bleibt" von Andreas Urner (S. 20 f.) sowie das 110 Seiten lange Wortprotokoll im Anhang (ab 5.129).
Sie als Leser fragen vielleicht, weshalb eine Diplomarbeit von 1982 jetzt als Buch erscheint. Ist sie inzwischen nicht veraltet und überholt? Hat sich die Psychiatrie nicht verbessert?
Aus meiner Sicht nicht, denn
- die Zahl der Zwangseinweisungen d. h. Abschieben und Einsperren in psychiatrische Anstalten, sind in 19 Jahren um mehr als das 2,5-fache gestiegen1,
- Psychopharmaka (das sind chemische Zwangsmittel ... S. 41 ff. dieses Buches) sind massenhaft mehr verordnet worden:
- Verordnungen von Antidepressiva innerhalb von 20 Jahren (1994-2014) mehr als ver-5-facht.2
- Verordnung von Serotonin-Wiederaufnahm-Hemmer (das sind neuere Antipsychotika oder atypische Neuroleptika innerhalb von 19 Jahren (1995-2014) ver-39-facht.3
Dies ist aus meiner Sicht das Entscheidende, woran wir sehen bzw. messen, ob sich etwas verbessert hat. Es ist schlechter, also gewaltätiger und offensichtlich drastischer geworden.

Verbesserungen gibt es nur ausnahmsweise: Verzicht auf Zwangsaßnahmen in Heidenheim durch Dr. Martin Zinkler4 und Senkung der Zwangseinweisungen um 86 % in Flensburg durch Gert Postel5, der allerdings als gelernter Briefträger sich durch gefälschte Papiere zum Psychiater ernannte. Bei seiner Lesung erklärte der echte Oberarzt Wolfgang Ende: Ich weiß auch, dass Sie Patienten keinen Schaden zugefügt haben:' Darauf Postel: ,,lch bin ja auch kein Psychiater."6

Dass es inzwischen ein lückenloseres Netz von "Psychiatrischen Hilfsangeboten" gibt, z. B. der Gemeindepsychiatrie mit ihren Zentren (GpZ) ist eher bedrohlich, denn damit wird die psychiatrische Überwachung bis in die Gemeinde ausgedehnt. So will man die Betroffenen an die therapeutische Kette legen und es ist dadurch schwieriger geworden, dem psychiatrischen System zu entgehen. Mit der sog.,,Patverfü®"7 ist es inzwischen individuell möglich geworden.

Dass jetzt viel mehr Menschen durch psychiatrisch Diagnostizierte und Menschen mit Behinderung ihr Einkommen haben, ist nicht als Verbesserung zu sehen, da sie in der Regel die Interessen der Institutionen und der normalen Gesellschaft und nicht der Betroffenen vertreten, s. a. mein vollständiges Interview (Passionszeit 2017), insbes. zu: Was hilft und was schadet uns?"8

Für diejenigen Psychiatrie-Arbeiter, die jetzt nicht mehr in der psychiatrischen Anstalt arbeiten (müssen) und von der Ausweitung in die Gemeinde profitiert haben, mag es besser geworden sein, für die Betroffenen nicht, da für sie immer noch die Anstalt droht und inzwischen auch ambulante Zwangsbehandlungen durch Psychisch Kranken Gesetze (PsychKG), die 1980 erst in Planung waren, s. S. 37 dieses Buches.

31 Jahre später hatte das Bundesverfassungsgericht alle PsychKG's für verfassungswidrig erklärt: BVerfG Beschlüsse 2 BvR 882/09 vom 23.3.2011, 2 BvR 633/11 vom 12.10.2011 und 2 BvR 228/12 vom 20.2.2013. Die Gesetzgeber liessen sich aber nicht belehren, sondern machten neue PsychKG's, obwohl dies auch dem Art. 4 Abs.1 der UN Behinderten Rechts Konvention (BRK) - seit 26. März 2009 in Deutschland in Kraft - widerspricht.

Bei diesem "Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK)" haben Betroffene erstmalig bis in die Formulierungen hinein mitgewirkt. So haben sie auch die sog. deutsche "Schattenübersetzung" erarbeitet, die zusätzlich zu der amtlichen deutschen Übersetzung veröffentlicht wurde. Letztere wurde so lange kritisiert, bis von den deutschsprachigen Ländern die ehemalige Schattenüberset-zung zur amtlichen Übersetzung gemacht wurde.

Betroffene 9 des C.A.R.M. (Komitee gegen die Aufnahme ins Irrenhaus) forderten in Italien vor bzw. statt des Gesetzes 180 vom 13.5.1978 – das immerhin alle psychiatrischen Krankenhäuser und Fachabteilungen verbietet, s. S. 117 f. - wie sie inzwischen weltweit fordern: Abschaffung aller Sondergesetze und die daraus folgenden Sondereinrichtungen für, eigentlich gegen eine bestimmte Menschengruppe , der sogenannten psychisch Kranken.10 Durch sie werden ihnen Menschenrechte genommen, s. Punkt 3.3., ohne vorliegende Straftaten. Inzwischen wurden auch die italienischen forensisch psychiatrischen Kliniken geschlosse11. Dagegen wurden in Deutschland, die damals geplanten Neubauten, s. S. 51, als Hochsicherheitstrakte ausgebaut.

Inzwischen gibt es in Deutschland "Rechtliche Betreuung". Da könnte mensch meinen, das sei doch eine Verbesserung, hört sich doch besser an als "Gebrechlichkeitspflegschaft". Es bleibt aber eine Form der Entmündigung und des Zwanges, siehe Punkt 3.3.3. Auch sie sind drastisch angestiegen.12

Für die Zwangsmaßnahmen nach PsychKG wird die Gefährlichkeit der sog. psychisch Kranken unterstellt, und zwar gesundheitliche und lebensbedrohende Selbstgefährdung (Suizid=Selbsttötung) und Fremdgefährdung anderer. Matthias Seibt schreibt dazu: "Durch sogenannte psychisch Kranke ausgeübte Gewalt ist ein wider besseres Wissen verbreiteter psychiatrischer Mythos." Denn "Böker und Häfner (1973) haben in ihrer großen Studie 'Gewalttaten Geistesgestörter' für die Bundesrepublik nachgewiesen, dass die reale Gefährlichkeit Geisteskranker ... nicht höher liegt als die Gefährlichkeit der strafmündigen Bevölkerung als Gesamtheit."13

Tatsächlich ist jedoch psychiatrische Behandlung lebensgefährlich. Inzwischen haben zusätzlich langfristige Forschungen ergeben, dass langjährige Einnahme von Neuroleptika (= Nervenlähmungsmittel, auch Antipsychotika genannt) zu 20 bis 25 Jahren geringerer Lebenserwartung führen. 14 Auch modernere Psychopharmaka sollen anders wirken, sind aber eher noch gefährlicher.15

Zur Lebensrettung ist es immer wichtiger geworden, von Psy-chopharmaka wieder loszukommen. Immerhin gibt es inzwischen auch hilfreiche Bücher, wie Peter Lehmann16 (Hg.): Psychopharmaka absetzen, Berlin 1990, in dem Betroffene und einige Professionelle über erfolgreiches Absetzen und vor allem über notwendige aktive Alternativen dabei schreiben. Weiterführende sind: Körpereigene Drogen. Die ungenutzten Fähigkeiten unseres Gehirns von Josef Zehentbauer, Düsseldorf 1997, sowie: von Patch Adams Gesundheit bringt auf einzige Weise frischen Wind in die Segel ihrer Gesundheit, ins Gesundheitswesen und unser ganzes Gesellschaftssystem, 12 & 12 Verlag & Versand, 1997, und: Haus-besuche. Die etwas andere Art, Menschen zu heilen, Wilhelm Heyne GmbH & Co., 1999 und der Film: Patch Adams von 1998, USA; März 1999 deutsch.

Damals haben über Psychiatrie als Folter nur wenige geschrieben, wie Foucault, Laing, s. S. 43, und Basaglia, s. S. 118; mittlerweile ist es weltweit anerkannt vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) im Bericht zu "Mental health and human rights" vom 31.1.2017, Dokument A/HRC/34/32.

Insgesamt hat es im Wesentlichen nur scheinbare Verbesserungen gegeben, tatsächlich ist es schlimmer geworden, da sich die Psychiatrie riesig ausgeweitet hat durch Neubauten, durch die Gemeindepsychiatrie, durch schönfärberische Gesetze für psychisch Kranke oder ... Hilfen für psychisch Kranke und Rechtliche Betreuung, die mehr Gewalt und Zwang möglich gemacht haben, die dann auch angewendet wurden an immer mehr Menschen.

Die Psychiatrie ist Irrsinn geblieben.17 Dadurch ist die Alternative zur Psychiatrie noch dringender geworden, die in der Diplomarbeit schon behandelt wurde, aber inzwischen nicht entscheidend ergriffen wurde. Deshalb bleibt sie aktuell und der radikale Einsatz für die Menschenrechte und die dafür notwendige Überwindung die Psychiatrie unsere Aufgabe.


1 von 92.560 in 1992 auf 234.061 in 2011, Angaben des Bundesamtes für Justiz für BGB- und PsychKG-Unterbringungen vom Autor addiert

2 Arzneiverordnungsreport (AVR) 2015 und 2009 / definierte Tagesdosis-zit. nach Gesundheit Aktiv #03/Frühjahr 2016,5.36/37

3 AVR 2015, 2009, 1998, 1996/ definierten Tagesdosis-zit. nach a.a.O., 5.36/37

4 Siehe seine Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesreg
ierung von ambulanten ärztlichen Zwangsmaßnahmen vom 20.04.2017

5 Buchbesprechung S.2 von Postel, Gert: Doktorspiele. Geständnisse einen Hochstaplers, Frankfurt/Main, 2001

6 a.a.O., S.7

7 Patientenverfügung, zu finden unter www.patverfue.de, s.a. Nachwort


8 in VPP (Verhaltenstherapie & Psychosoziale Praxis) 2/2018, S.405 -420

9 Betroffene nannten sich 1980 bei der Entstehung der Irren-Offensive Psychiatrie-Opfer, später Psychiatrie - Überlebende und schließlich Psychiatrie – Erfahrene.

10 www.zwangspsychiatrie.de/wesentliche-grundsaetze-des-werner-fuss-zentrum

11 durch das Gesetz 81/2014

12 Bundesministerium der Justiz (BMJ): Zahl der Betreuungen
1991 bei 350.000 1995 ca. 600.00
2008 ca. 1.300.000 zit. nach Seiffert, Bernd, Die Verbrechen der Psychiatrie, Aachen 2010, S. 29

13 Seibt, Matthias: Gewalt und Zwang in der Psychiatrie, Bochum, 1997, S.2 f.
Diese Schutzbehauptung ist in Italien als Vorwand für Zwangs-maßnahmen entlarvt und überwunden worden. Hartung spricht von der "korpernikanischen Wende in der Psychiatrie", s. S. 118.

14 Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP): Memorandum zur Anwendung von Antipsychotika, überarbeitete Fassung Stand: Januar 2010, Köln, S.11

15 Aderhold, Volkmar; Lehmann, Peter; Rufer; Marc; Zehentbauer, Josef: 'neue Antidepressiva, atypische Neuroleptika Risiken, Placebo Effekte, Niedrigdosierung und Alternativen.
Mit einem Exkurs zur Wiederkehr des Elektroschocks", Erstver. 14. September 2017, Berlin 2017

16 Dr. h.c. Peter Lehmann ist Professioneller und Psychiatrie-Erfahrener, gibt Seminare und
Workshops, ist Autor und schreibt Rezessionen und betreibt den Antipsychiatrieverlag und -versand. Dipl. Psych. Matthias Seibt, langjähriger Vorstand im Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener (bpe), jetzt ergänzende unabhängige Teilhabe-Beratung (eutb) macht u.a. Psychopharmaka- und -absatzberatung

17 Rufer, Marc: ,,lrrsinn Psychiatrie", Zytglogge, Oberhofen am Thunersee; Originalausgabe 1988, überarbeitete Neuauflage 1. Mai 2009



Verrückt

Ich habe keine Angst mehr, verrückt zu werden,
Ich bin verrückt.
Ich bin ein Stück weggerückt,
weggerückt vom Normalen.
Was ist normal?
Normal sind diejenigen, die sich normal finden
Ich finde mich auch normal
und doch bin ich verrückt,
weil die, die sich normal finden
ihre Normalität zur Norm machen.
Etwas zur Norm machen bedeutet,
daß alle sich danach richten müssen,
sie fühlen müssen,
sie denken müssen,
sie leben müssen,
um normal zu bleiben.
wenn man dies nicht mehr tut,
ein Stück anders lebt, fühlt, denkt, handelt,
ist man (frau) nicht mehr normal,
man (frau) ist weggerückt,
weggerückt von ihrer Norm
und das ist gut,
denn man (frau) kann denken, fühlen, handeln,
wie man (frau) es selbst möchte
und deshalb ist es gut,
weggerückt zu sein,
verrückt zu sein.

Christine Tischkau (Irren-Offensive, Nr.1, S. 33)


Die Motivation zu dieser Diplomarbeit entsprang letztlich meiner eigenen Irrenhauserfahrung 1969 in der "Universitäts-Nervenklinik" (Nußbaumallee) Berlin. Dort ging mir der Tagesablauf und die ganze Unterdrückung auf den Geist. Ich durfte nicht machen, was ich wollte. Morgens Fieber messen, wo ich doch wusste, dass ich nicht klar kam, aber keine Fiebererkrankung hatte. Danach hungern lassen bis zum Frühstück. Nach dem Mittagessen war Bettruhe angeordnet. War ich dann manchmal gerade eingeschlafen, wurde ich geweckt für einen lauen Kaffee ohne Coffein und ein trockenes Plätzchen. Abends wurde ich beim Telefonieren gehindert und ins Bett gezwungen, obwohl ich dann nicht müde war. Regelmäßig wurde ich mit Tabletten gefüttert, die gut für mich sein sollten, aber niemand klärte mich über Wirkungen und Nebenwirkungen auf. Bei einem
"Hyperventilationsanfall" (überschnelles Atmen, wie ein junger Hund) wurde ich ruhig gespritzt, obwohl ich an mir erfahren hatte, dass das auch von selbst aufhört.

Ich war "freiwillig" hineingegangen, genauer gesagt, auf Druck meiner "Freunde", die Angst bekommen hatten, als ich plötzlich in der Kneipe zu japsen anfing (Hyperventilationsanfall). Mich beunruhigte das inzwischen nicht mehr so sehr, weil ich es schon häufiger erlebt hatte. Die Alternative: Psychotherapie, wusste ich damals nicht zu bezahlen.

Ich hielt das Irrenhaus nicht aus und musste raus. Also haute ich ab, stieg über den Zaun in die nächste Kneipe. Von dort aus lud ich meine "Freunde" ein zu kommen. Aber alle hatten Ausreden. Der Kneipenwirtin ging mein langes Telefonieren und, dass ich die Musik lauter haben wollte, auf den Wecker, und so blieb mir nichts anderes übrig, als wieder ins Irrenhaus zu gehen.

Als bevorzugter Patient (Student) hatte ich Gespräche mit einem Psychoanalytiker. Nachdem ich ihm von meinem Ausbruch erzählt hatte, sorgte er dafür, dass ich entlassen wurde. Üblicherweise wurden damals die Patienten mindestens 7 Wochen auf dieser Station festgehalten. Mein aktiver Widerstand hat mich früher (nach 12 Tagen) rausgebracht.

Durch den Wechsel zur Techniker-Krankenkasse hatte ich Aussicht auf einen Zuschuss zur psychoanalytischen Behandlung, den ich auch bekam. Auf eine solche Behandlung wartet man gewöhnlich zwischen einem und drei Jahren. Ich erreichte durch wiederholtes, nachdrückliches Anrufen, dass ich im November 1969 anfangen konnte. In meinem ersten Studium (Wirtschaftsingenieur) hing ich durch, und nicht nur da. Mit der Analytikerin war geplant, dass ich das Studium während der Psychoanalyse beendete. Das gelang aber nicht. Da wir außerdem die am Anfang besprochenen Ziele " Symptomfreiheit, Liebes-, Arbeits- und Genussfähigkeit ", nach denen ich gefragt hatte, nur teilweise erreichten, empfahl sie einen Psychiater. Der meinte:
"Psychoanalyse, gut und schön, aber das machen wir schneller!", und wollte mich nach einem 1/4-stündigen Gespräch gegen Manisch-Depressives-Irresein, vornehmer: Zyklothymie, mit Lithium (Quilonum), behandeln und speiste mich mit den "Empfehlungen für Patienten" der Firma Dauelsberg + Co. ab. Ich war völlig fertig.


Später las ich darin:

"Die Lithiumbehandlung ist nur dann ungefährlich, wenn sie un ter ständiger Überwachung eines sachkundigen (nicht menschenkundigen, K.D.) Arztes durchgeführt wird." und "Ähnlich wie bei der Insulinbehandlung der Zuckerkrankheit ist ... ein Erfolg nur zu erwarten, wenn die verordneten Präparate regelmäßig über einen längeren Zeitraum eingenommen werden."

Ich sollte also lebenslang Tabletten schlucken und wegen deren Gefährlichkeit unter der Kontrolle eines Arztes stehen! Damit aber noch nicht genug:

"Wie die meisten Psychopharmaka kann es ... zu körperlichen Nebenerscheinungen kommen. Sie sind zwar oft sehr unangenehm, meist aber nicht gefährlich. In den ersten Wochen sind folgende Symptome verhältnismäßig häufig: (Nummerierung K.D.) (1) Leichte Übelkeit, (2) Völlegefühl, (3) Magen-Darmstörungen, (4) Neigung zum Erbrechen oder zu leichten Durchfällen ..., (5) feinschlägiges Zittern, (6) Muskelschwäche an Armen und Beinen ..., (7) starker Durst ..., (8) Gewichtszunahme. .. unter einer längeren Lithiumbehandlung ... (9) Vergrößerung der Schilddrüse."

Ich bekam einen Horror, der vollendet wurde, als ich weiter über die Gefahr einer Lithiumvergiftung las. Meine Schwierigkeit, die damalige Diplomarbeit zu beenden, sollte ausgenutzt werden, um mich in lebenslängliche, ärztliche Abhängigkeit zu treiben. Ich verweigerte mich dieser Behandlung und schloss das Studium trotzdem ab oder gerade deswegen?


Heute schätze ich das so ein, dass ich um ein Haar einer psychiatrischen Karriere entgangen bin, die meist beim ambulanten Psychiater anfängt, über die Drehtürpsychiatrie läuft und mit "Defektsymptomatik" in der Irrenanstalt endet. Die kurze Anstaltserfahrung am eigenen Leibe und die beinahe psychiatrische Karriere haben mich tief getroffen in Zeiten, wo ich nicht mehr weiter wusste. Statt Hilfe bekam ich Unterdrückung zu spüren. Seither will ich zur Befreiung von Unterdrückung beitragen, suche ich
nach Alternativen und bin auf dem Wege, die eigene Befreiung mit der anderer Verrückter zu verbinden.


Was mir noch bleibt

Heute schreib ich kein Gedicht,
plane keinen Selbstmord,
falle nicht in mir zusammen,
brauche keinen Therapeuten.
Nein, dies ist kein Gedicht,
kritzel nur das aufs Papier,
was mir noch bleibt:
meine WUT

bekommt Namen
an dem Tag,
an dem die Zeitungen
John Lennons Tod besingen,
erfahre ich,
daß sich G. erhängt hat.
Sie war mit mir zusammen
in der Klapse
der Müllhalde der Gesellschaft
und dann draußen...
Selbstmord.
Nein, dies ist kein Gedicht,
nur noch Wortfetzen meiner Wut,
die mir noch bleiben.

Um zu überleben
war mein Bruder (16) Jesus,
war Gott,
irrte als Mädchen durch Neukölln,
Endstation Klapsmühle,
das dritte mal,
vollgepumpt mit Psychopharmaka.
"Ich bin er; du bist er, denn du bist ich,
und wir sind alle miteinander" *
verrückt
sagt man,
darum dämpft man
die Hilfeschreie, die Angst, die Wut
und sogar die Freude,
macht uns zu Marionetten
mit Pillen, mit Spritzen,
damit sie uns wieder
das Tor zur Welt öffnen,
wie es in der Reklame heißt.

Öffnet lieber die Tore der geschlossenen Station;
denn dies ist kein Gedicht, kein Lied
und keine Hymne,

sondern die Wut,
die mir noch bleibt.

(d. 17.12.80) Andreas Urner (Die Irren-Offensive, Nr. 1, S. 27)

* aus "I'm the walrus" von den Beatles


1. Einleitung

Was uns noch bleibt " nach Jahrhunderten des Ausschlusses des Erleidens und des Elends, nach einem Jahrzehnt halbherziger Psychiatriereform in der BRD " ist die Wut. So geht es Andreas, mir und denen, die sich ein Mitgefühl bewahrt haben, wenn sie vom Elend der Psychiatrie erfahren oder es am eigenen Leib erlebt haben. Diese Wut verlangt nach Alternativen zur herrschenden Psychiatrie. Was sind Alternativen? Wie lassen sie sich herstellen? - Die herrschende Psychiatrie sucht nach der Krankheit im Individuum und behandelt sie körperlich. Die Alternative dagegen muss zugleich das Individuum wie die gesellschaftlichen Bedingungen einbeziehen. Aus der Kritik an der rein körperlichen (somatischen) Behandlung entstand der Begriff "psychosozial". Dabei wird das seelische (psychische) Leid herausgestellt, aber der Körper vergessen. Eigentlich müsste es heißen: "somato-psychosozial".

Nach so langer Zeit des Leidens an der Psychiatrie muss endlich ein Anfang gemacht werden, die Initiative ergriffen werden, um die elenden Verhältnisse zu verändern. Eine Diplomarbeit über Alternativen zur herrschenden Psychiatrie verlangt auch in der Art der Darstellung und der Wahl der Forschungsmethode eine Alternative zur herrschenden Sozialwissenschaft. Die entsprechende Auseinandersetzung führe ich in Kapitel 2.

Mit welchen brutalen Mitteln die Psychiatrie Herrschaft ausübt, zeige ich in Kapitel 3. Insbesondere untersuche ich die Frage, wie in einem Rechtsstaat systematische Entrechtung möglich ist. Angesichts der Rechtlosigkeit der Psychiatrieopfer braucht es Initiativen, die radikal für die Einhaltung der Menschenrechte kämpfen. Die Radikalität kann nur durch die Mitarbeit der Opfer gewährleistet sein. Welche Ergebnisse dieser gemeinsame Kampf haben kann, stelle ich am Beispiel des SSK in Kapitel 4.1. dar.

Der weitere Aufbau der Arbeit im Kapitel 4.2. spiegelt den Prozess der Entstehung und Entwicklung der gemeinsamen Initiative zum Aufbau des Psychiatrie-Beschwerdezentrums Berlin wider, an dem ich von Anfang an beteiligt war.

Schließlich gehe ich kurz darauf ein, ob die derzeitige Psychiatriereform in der BRD Alternativen anzubieten hat und wie die italienische Alternative aussieht. (Kapitel 5)

Durch eigene Erfahrung und durch mein Engagement für die Betroffenen habe ich begriffen, dass die Bezeichnungen in der Psychiatrie deren Macht und Elend verschleiern sollen (vgl. SZASZ, 1978). Deshalb will ich statt Psychiatrischer Klinik oder Krankenhaus, statt der älteren Bezeichnung Nervenklinik zutreffender Irrenanstalt, Irrenhaus oder kurz Anstalt schreiben.

Patient heißt wörtlich Leidender; um den Irrtum zu vermeiden, es handele sich um einen Leidenden, dem geholfen werde, will ich Anstaltsinsasse oder kurz Insasse schreiben, wenn immer das zutrifft. Noch deutlicher ist Psychiatrieopfer. Verrückter verstehe ich im Sinne des Gedichtes von Christine Tischkau am Anfang dieser Arbeit, synonym gebrauche ich den Begriff Irrer, wie er früher üblich war.


2. Kritische Aktionsforschung als angemessene Forschungsmethode

In dieser Arbeit geht es um eine Alternative zur herrschenden Psychiatrie, in der die Patienten zu Objekten der behandelnden Psychiater, Pfleger und anderer gemacht werden. Wie ein Moment der Alternative die Begegnung gleichberechtigter Menschen (Subjekte) ist, so muss die Forschungsmethode, die angemessen sein will, ein gleichberechtigtes Verhältnis zwischen Forscher und den an der gemeinsamen Aktion beteiligten anderen Menschen sicherstellen, dasim Gegensatzzur Herrschaft indenherrschenden (auch Forschungs-)Verhältnissen Herrschaftsfreiheit anstreben muss.

Diesem Anspruch stellt sich die kritische Aktionsforschung. Als Aktionsund Handlungsforschung bricht sie mit der herkömmlichen Sozialforschung, "als kritische Aktionsforschung" kann sie zudem mit politischen Konventionen brechen. (Horn, 1979, S. 9)

So strebt die Aktionsforschung

"eine möglichst herrschaftsfreie Kommunikation zwischen allen Teilnehmern am Forschungsprozeß an." (Kramer, Kramer & Lehmann, 1979, S. 27)

und

"sucht sich darum von der herrschenden Sprache der Sozialwissenschaftler, mit der Wissenschaft Herrschaft ausübt, zu lösen." (S. 28)

Weitere Kennzeichen der Aktionsforschung im Gegensatz zur etablierten Sozialforschung sind:

  • Sie orientiert sich an den Bedürfnissen, Interessen und Problemen sozial benachteiligter: und unterdrückter Gruppen statt im Auftrag gesellschaftlich mächtiger und finanzkräftiger Gruppen zu arbeiten.

  • Der Aktionsforscher engagiert sich für die Verbesserung der Lage der Benachteiligten und Unterdrückten und will durch den Forschungsprozess dazu beitragen, statt sich einzubilden (wert-) neutral und objektiv zu sein.

  • Der Aktionsforscher sucht die aktive Interaktion mit den Betroffenen statt der geforderten Distanz zwischen Forscher und Untersuchungsobjekten.

  • Gegenstand und Ziel ist der gemeinsame Lernprozess. Im Diskurs werden Handlungsorientierungen entwickelt, die zu Aktionen führen, über die der weitere Diskurs eröffnet wird. Die Phasen Informationssammlung, Diskurs, Erarbeitung bzw. Modifikation von Handlungsorientierungen und Handeln im sozialen Feld werden mehrmals durchlaufen, sog. zyklisches Vorgehen (Moser, 1977 b, S. 51). Dagegen versucht die traditionelle Sozialforschung, unbeabsichtigte Lernprozesse möglichst zu verhindern.

  • Über Ziele und Methoden der Aktionsforschung entscheiden Forscher und Beteiligte gemeinsam. Über die Methoden muss der Forscher aufklären und sich bei der Methodenwahl von inhaltlichen Bestimmungen leiten lassen, statt die Problemauswahl nach den verfügbaren Methoden zu richten. In der herkömmlichen Sozialforschung bleiben Ziele und Methoden
    den Untersuchten verborgen, nicht selten werden sie getäuscht, in der vermeintlichen Absicht, sie unbeeinflusst reagieren zu lassen.

Während in der etablierten Sozialforschung Interaktion zwischen Forscher und Beforschten als Störungsquelle gilt, die man auszuschalten trachtet, und Widerspruchsfreiheit als Wahrheitskriterium angenommen wird, will die Aktionsforschung dieWidersprücheinder Interaktion, d. h. inder Auseinandersetzung produktiv machen. Gerade aus dem Interaktionsprozess fließen die Erkenntnisse, die die Beteiligten fähig machen, zugleich ihre Lebenspraxis und die gesellschaftliche Praxis zu verändern.

"Forschung ist Aktion, Handeln in der Wirklichkeit, Forschung ist gesellschaftliche Praxis und bewußt als solche konzipiert." Diesem Satz von Kramer, Kramer & Lehmann(1979, S. 29) schließe ich mich an in meiner Entscheidung für eine wissenschaftliche und methodologische Orientierung an der kritischen Aktionsforschung; denn ich will kein Forscher sein, wie ihn Paulo Freire charakterisiert: (zit. n. Kramer u.a., 1979, S. 21)

"Der Forscher, der im Namen wissenschaftlicher Objektivit das Organische in Anorganisches verwandelt, das heißt ein Werdendes in ein Seiendes, Leben in Tod, ist ein Mensch, der den Wandel fürchtet. Er sieht in der Veränderung (die er nicht leugnet, aber die er auch nicht wünscht) kein Zeichen des Lebens, sondern ein Zeichen von Tod und Verwesung. Er möchte den Wandel studieren - aber um ihn aufzuhalten, nicht um ihn anzuregen oder zu vertiefen. Indem er jedoch den Wandel als Zeichen des Todes sieht und den Menschen zu passiven Untersuchungsobjekten macht, um zu geschliffenen Modellen zu gelangen, verrät er seinen Charakter als Mörder des Lebens."

Dagegen will ich aktiv am Wandel, an der Alternative zur herrschenden Psychiatrie arbeiten. Wie die Erfahrungen zeigen werden, geht das nur mit den Betroffenen, nicht für sie. Diese Einsicht und die Sensibilität dafür rühren daher, dass ich selbst Anstaltsinsasse war, selbst Betroffener bin und es ablehne, dass in meinem Namen für mich gemacht wird. Das "Wiedereinführen individueller Subjektivität (Hervorhebung K. D.) in die Wissenschaft" (Reinke-Köberer & Horn, 1979) gilt sowohl für die Betroffenen als auch für die Forscher, denen die Aktionsforschung

"die praktische und theoretische Entwicklung solcher Formen menschlicher Sinnlichkeit in Verhältnissen zu sich selber und anderen (erlaubt), die von herrschenden Vorstellungen und Methoden epochal abgedrängt werden. Sie erlaubt diesen Blick auf die Sache und diese Fragestellungen, insofern sie sich auf gesellschaftliche Bereiche beziehen, die unter anderem durch ihre Randstellung eine bestimmte Distanz zu der herrschenden Produktions- und Reproduktionspraxis bewahren mußten oder konnten... wie das isolierende Aufbewahren Krimineller und Irrer, und machen Aspekte dieses überwiegend technisch organisierten Lebens und dieser Form der Rationalität überhaupt erst als problematisch sichtbar." (S. 248 f.)

Für dieherrschende Sozialforschunggelten Objektivität, Gültigkeit (Validität) und Zuverlässigkeit (Reliabilität) als Gütekriterien, um möglichst exakte "Daten" zu erhalten. Dabei täuscht sie sich und andere, indem sie nicht zur Kenntnis nimmt, dass ihre "Daten" insbesondere durch ihre wissenschaftstheoretische Orientierung an naturwissenschaftlicher Forschung und daraus folgenden Methoden produziert sind. Sie unterdrückt die Phantasie, die Wahlmöglichkeiten und allen Reichtum der von ihr zu Objekten gemachten Menschen. Über die Erkenntnismöglichkeiten solcher Forschung äußert sich Kulenkampff zutreffend:

"Der Elefant einer weltweiten, biochemischen, anatomischen, genetischen und sonstigen naturwissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiete der Ätiologie von Schizophrenien (hat) bis heute nicht einmal eine Maus geboren." (1977, S. 9)

Demgegenüber produziert die Aktionsforschung Erkenntnisse im Diskurs als zentraler Instanz des Forschungsprozesses. Dessen Ergebnisse sind immer nur vorläufig und relativ. Sie können immer neu in Frage gestellt werden, so dass im weiteren Verlauf des Diskurses die Geltungsansprüche überprüft werden. Als Gütekriterien der Aktionsforschung gibt Moser (1975, S. 122 f.) an:

  • Transparenz: Der Forschungsprozess muss allen Beteiligten nachvollziehbar sein, indem Funktionen, Ziele und Methoden offengelegt werden, so dass über die Qualität der "Daten", besser: Ergebnisse, diskutiert werden kann.

  • Stimmigkeit als dynamisches Kriterium: Ziele und Methoden der Forschungsarbeit müssen miteinander vereinbar sein. Dadurch verbieten sich harte Eingriffe in die Gruppe.

  • Einfluss des Forschers: Der Forscher darf bei der "Datensammlung" (und sonst) nicht bewusst verzerrend den Forschungsprozess beeinflussen. Dabei soll er sich im klaren sein, dass allein seine Anwesenheit Prozesse in Gang setzt und Veränderungen bewirkt.

Angesicht der grundsätzlichen Schwierigkeiten, die dargestellten Ansprüche der Aktionsforschung zu verwirklichen (vgl. insbesondere Schülein, 1979), und der konkreten Schwierigkeiten in mehrjährigen und finanzierten Projekten (vgl. Decker, 1979, Heineken, 1979), kann diese Arbeit, die ohne jede finanzielle Unterstützung im (zeitlich) beschränkten Rahmen einer Diplomarbeit geleistet wird, nur wesentlich weniger aufwendig sein.

Inwieweit erfülle ich die Ansprüche der Aktionsforschung?

Als Aktionsforscher engagiere ich mich für die Verbesserung der Lage der Benachteiligten und Unterdrückten. Dass Verrückte, Anstaltsinsassen, benachteiligt und unter drückt werden, berichten immer wieder die Medien. Nicht wegzudiskutieren ist der Zwang, das heißt die Unterdrückung, mit dem Menschen in Irrenanstalten abgeschoben und dort behandelt werden. Um diesen Zwang ausüben zu können, sind eigens Unterbringungsgesetze und neuerdings Psychisch-Kranken- Gesetze geschaffen worden, bzw. in der Diskussion wie in Berlin, um Grundrechte außer Kraft zu setzen. (Siehe Punkt 3.3.1.) An dem Bekanntwerden und der teilweisen Aufhebung der Unterdrückung haben Beschwerdezentren maßgeblichen Anteil. Insofern ist meine Mitarbeit am Psychiatrie-Beschwerdezentrum Berlin Engagement für Benachteiligte und Unterdrückte.

Ich orientiere mich an ihren Bedürfnissen, da wir, die damalige Hilflose-Helfer-Gruppe, von (ehemaligen) Psychiatrieinsassen den Auftrag bekamen, die rechtliche Situation in den Anstalten zu erkunden und eine Beschwerdestelle einzurichten (auf dem 2. und 3. Psychiatrie-Betroffenen-Treffen am 7.6. und 5.7.80).

Ich bemühe mich um eine herrschaftsfreie Kommunikation mit allen am Forschungsprozess Beteiligten, indem ich den anderen nichts aufzwinge und Handlungen nur unternehme, wenn sie gemeinsam möglich sind. Ich habe mich von der herrschenden Sprache der Sozialwissenschaft gelöst, weil deren Begriffe vom Himmel zu fallen scheinen und nicht erkennen lassen, dass sie etwas begriffen hat. Meine Sprache ist weitgehend Ausdruck meiner Erfahrung. Etliche Probleme im Zusammenhang mit unseren Sitzungen, mit unseren Aktionen und insgesamt in dieser Arbeit, haben bei mir schon zu Korrekturen geführt.

Bei uns handelt es sich um einen gemeinsamen Prozess in unseren gemeinsamen Sitzungen und Aktionen, wie Anstaltsbesuche, bei denen die (ehemaligen) Insassen ihre (längere) Anstaltserfahrung, die Studierten und Studierenden ihre theoretischen Kenntnisse einbringen.

Meine aktive Interaktion mit den Betroffenen belege ich mit meiner einjährigen ordentlichen Mitgliedschaft in unserer Initiative und mit der Tonbanddiskussion am 27.3.81, die der Leser vollständig übertragen im Anhang dieses Buches findet.

Die in der herrschenden Sozialwissenschaft (und in den herrschenden Institutionen) geforderte Distanz zu den Betroffenen schwindet, wenn wir uns umarmen oder wen wir Ringkämpfe machen. Distanz ist jedoch notwendig, damit ich diese Arbeit schreiben und Interpretationen geben kann.

Über Ziel und Methoden der Aktionsforschung entscheiden wir gemeinsam: Was ich vorhatte, habe ich jeweils erläutert und angekündigt, und nur gemacht, wenn ich Zustimmung bekam.


3. Das Elend der herrschenden Psychiatrie

Die traditionelle herrschende Psychiatrie ist durch Ausschluss, Gewalt und Unterdrückung gekennzeichnet. Die Herrschaft über die Verrückten zeigt sich am deutlichsten in der Irrenanstalt, von der Jervis zutreffend sagt, dass sie "die Wahrheit der Psychiatrie repräsentiert" (1978, S. 113) Deshalb bezieht sich auch meine Kritik an der Psychiatrie vor allem auf das Elend der Irrenanstalt, die das entscheidende Hemmnis für Alternativen ist: Solange diese "Lösung" für soziale Konflikte und seelische Not besteht, solange diese Abschreckung, sich der herrschenden Normalität zu widersetzen, aufrecht erhalten wird, gibt es keine Notwendigkeit für andere Lösungen.

Deshalb will ich im folgenden kurz aufzeigen, welche Entwicklung zum Ausschließen und Einsperren in Anstalten geführt hat (Punkt 3.1.), welche Formen der Isolation angewendet werden (Punkt 3.2.), wie die Entrechtung der "Geisteskranken" möglich ist und was sie bedeutet (Punkt 3.3.), in welch horrendem Ausmaß und zu wessen Nutzen die Insassen ausgebeutet werden (Punkt 3.4.) und durch welche Ideologie und Strukturen die Unterdrückung aufrecht erhalten wird (Punkt 3.5.).

3.1. Ausschliessen, abschieben und einsperren

Spätestens seit Erscheinen der "Psychiatrie-Enquête", (1975) sind die "elenden und menschenunwürdigen Lebensbedingungen" in den "psychiatrischen Krankenhäusern" (S. 62 der Enquête), zutreffender Irrenanstalten, öffentlich und offiziell bekannt; "katastrophale Überbelegung" wird beklagt, mehr als 200 O00 Menschen wurden 1972 "aufgenommen" (S. 103), das heißt in Anstalten abgeschoben.

Aber nicht immer wurden Andersartige aus der Gesellschaft ausgeschlossen und in entlegenen Anstalten aufbewahrt. Im antiken Griechenland wurden sie verehrt oder ausgestoßen, je nachdem sie die Wünsche oder die Ängste der Menschen ausdrückten. Im Mittelalter galten alle Menschen als Kinder Gottes. Deshalb blieben sie in der Großfamilie und der Dorfgemeinschaft und verrichteten nützliche Aufgaben. Erst mit der Inquisition wurden sie als "Hexen" oder "Besessene" verfolgt und getötet (Dörner & Plog, 1980, Kap. 16).

Die Notwendigkeit, die "Unvernünftigen" auszugrenzen, entstand zur Zeit der industriellen Revolution, als die Bürger die kapitalistische Produktionsweise entwickelten und alles dieser "Vernunft" gehorchen sollte. In diesem Prozess der ökonomischen Umwälzung wurden massenhaft Menschen, vor allem Bauern und Landarbeiter, ihrer bisherigen Existenzgrundlage beraubt, die Dorfgemeinschaften zerschlagen und dadurch auch viel psychisches Elend produziert. Anfangs wurden die armen Irren wie Verbrecher, Landstreicher und all die anderen "Unvernünftigen" behandelt und in Zuchthäuser gesperrt, um ihnen die herrschenden Normen beizubringen (Dörner, 1975).

Bei der Eingliederung der Unvernünftigen in den Produktionsprozess erwiesen sich die Irren als die schwierigsten Fälle. In diesem Zusammenhang entstand die Psychiatrie als Einrichtung und sogenannte Wissenschaft. Sie sollte die Irren nach ihrer Arbeitsfähigkeit differenzieren bzw. Methoden entwickeln, die sie zum Arbeiten befähigen. Diese Aufgabe hat die Psychiatrie bis heute behalten, produziert sie doch "Psychisch Behinderte" als billigste Arbeitskräfte für die Anstalten und Behindertenwerkstätten (siehe Punkt 3.4.). Dabei ist die Anstalt die rationellste Art gewesen, mit dem Problem der Unangepassten fertig zu werden.

Insbesondere bietet die Anstalt Möglichkeiten, aus psychischen Leiden Profit zu schlagen: Sie ist ein Ort des reibungslosen Absatzes von Psychopharmaka, zutreffender: chemische Zwangsmittel, und ärztlichen Leistungen; auch wenn sie den Insassen meist schaden, bringen sie in jedem Fall "gutes Geld".

3.2. Isolation

Wer aus seiner gewohnten sozialen Umgebung herausgerissen und in eine Anstalt gebracht wird, kann dabei bis zu 150 Kilometer zurücklegen müssen. Die durchschnittliche Entfernung zwischen den Anstalten und dem Rand ihrer Einzugsgebiete beträgt 88 Kilometer (Psychiatrie-Enquête, 1975, S. 93). Auch in Westberlin sind die drei aufnahmeverpflichteten Anstalten ganz weit draußen: Die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik aus dem vorigen Jahrhundert liegt im hohen Norden; sie ist auch zuständig für Verrückte aus Neukölln. Die Nervenklinik Spandau wurde nach dem Zweiten Weltkrieg im äußersten Westen Berlins gebaut, versehentlich " wie der Berliner Volksmund sagt " vor der Mauer und nicht dahinter, also in der DDR; sie ist auch zuständig für Tempelhof. Die Klinik Havelhohe ist durch die Havel "natürlich" getrennt von ihren Aufnahmebezirken. Von Kreuzberg kann man dorthin schon zwei Stunden unterwegs sein.

Dadurch werden Besuche von Freunden und Angehörigen erschwert, sie werden immer weniger und brechen häufig völlig ab. Oft werden Besucher abgewiesen mit "Rücksicht" auf den Krankheitszustand des Patienten. Unerfahrene Besucher nehmen das ohne Widerspruch hin, weil sie dem Urteil der Psychiater und Pfleger vertrauen und nicht wissen, dass sie dadurch den Insassen noch mehr an diese ausliefern. Besuchs- und Ausgangssperre werden gerne als Strafmaßnahme verhängt. Telefonieren oder ans Telefon gerufen werden ist von der Willkür der Pfleger abhängig. Ist es so gelungen, noch bestehende Kontakte zu unterbinden, dienen mangelnde soziale Beziehungen dazu, die Entlassung zu verweigern.

In der Anstalt werden die Geschlechter getrennt gehalten. Gelingt es dennoch Frauen und Männern, Zweierbeziehungen über die Stationsgrenzen hinweg zu knüpfen, drohen die Psychiater oft mit geschlossener Station oder gar Zwangssterilisation (Vgl. Unbequeme Nachrichten, Oktober 1980). Innerhalb geschlossener Stationen gibt es weitere Isolation, so für die "Unruhigen" extra geschlossene Bereiche, z. B. die weitere geschlossene Tür auf Station 1 a in der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik und Isolierzimmer. Was es damit auf sich hat, merkt man, wenn die Tür ins Schloss gefallen ist und von innen nicht mehr zu öffnen ist, weil es keine Klinke gibt. In der Nervenklinik Spandau sind dort die Fenster nicht zu öffnen, auch nicht die schmalen Kippfenster. Die Anlage, um Personal zu rufen, ist meist nicht angeschlossen. Da bleibt dem Insassen nur, gegen die Tür zu trommeln, was ihm als weiteres Symptom seiner Krankheit ausgelegt und mit noch mehr "Medikamenten" geahndet wird. Die umfassende äußere Isolation wird zusätzlich durch die innere verstärkt: denn die chemischen Zwangsmittel wirken auch in der Art, dass die Behandelten von ihrem Selbst und ihrem Körper isoliert werden. Dadurch kann die behauptete Krankheit häufig erst produziert werden (siehe Punkt 3.3.4.).


3.3. Entrechtung

Hinter den Anstaltsmauern sind die bürgerlichen Freiheitsrechte außer Kraft gesetzt. Die Entrechtung von Anstaltsinsassen geht über die von Gefängnisinsassen hinaus. Der Strafgefangene weiß, wann er spätestens wieder rauskommt: wenn er seine Strafe abgesessen hat. Für den Anstaltsinsassen ist das völlig unsicher. Er ist dem Psychiater ausgeliefert. Erklärt der Psychiater ihn weiterhin für "geisteskrank", wird er weiter festgehalten, manche ihr Leben lang. Für den Strafvollzug in den Gefängnissen gilt das Strafvollzugsgesetz, für die "Behandlung" in den Berliner Anstalten ist Raum für Willkür, denn eine entsprechende gesetzliche Regelung gibt es nicht. Bei Widerstand gegen die Zwangsbehandlung droht dem Anstaltsinsassen Entmündigung. Seine Beschwerden werden meist als "Wahnideen" abgetan.

Wer nicht davon betroffen ist und sich damit nicht beschäftigt hat, macht sich keine Vorstellung davon, wie es rechtlich möglich ist, dass Menschen in Irrenanstalten verschwinden, dort festgehalten und gegen ihren Willen "behandelt" werden. Deshalb will ich im folgenden aufzeigen, wie die Einschränkung von Grundrechten mit Zwangseinweisung und Zwangsunterbringung sowie Zwangsbehandlung rechtlich zusammenhängen. Darüberhinaus will ich auch Beispiele dafür geben, dass die beschränkten Rechte, die Anstaltsinsassen haben, häufig missachtet werden.

3.3.1. Einschränkung von Grundrechten

Im Artikel 1 bis 19 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland sind die Grundrechte verbürgt. Dennoch dürfen sie eingeschränkt werden, und zwar durch allgemeingültige Gesetze, in dem der entsprechende Artikel genannt ist (Art. 19, Abs. 1 GG). Ein solches Gesetz für die Psychiatrie ist das Berliner "Gesetz über die Unterbringung von Geisteskranken und Süchtigen (Unterbringungsgesetz – UntGes)" vom 5.6.1958. Darin heißt es im § 23:

"Durch dieses Gesetz werden die Grundrechte der freien Meinungsäußerung, der persönlichen Freiheit und der Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses (Art. 5, 2 und 10 des Grundgesetzes und Artikel-8, 9 und 10 der Verfassung von Berlin) eingeschränkt."

Demnach ist es in Berlin rechtens, "Geisteskranke und Süchtige" zwangsweise unterzubringen, das heißt einzusperren, mit der Folge, dass sie gehindert werden dürfen, ihre Meinung zu bilden, zu äußern und zu verbreiten sowie sich frei zu entfalten, ohne dass diese Einschränkungen näher geregelt sind. Lediglich die Einschränkung des Briefgeheimnisses bestimmt § 16 UntGes. So kann sowohl Post an die"untergebrachte Person" als auch Post von ihr zurückgehalten werden, wenn

"deren Inhalt geeignet ist, die Gesundheit zu schädigen oder den Heilungsprozeß nachteilig zu beeinflussen." [§ 16, Abs. 4 UntGes)

Bitten und Beschwerden

"können mit einem aufklärenden Vermerk der Anstalt versehen werden" (§ 16 Absatz 6 Satz 2)

z. B. der Beschwerdeführer leidet unter Verfolgungswahn, an Realitätsverlust usw. Da nimmt es nicht wunder, wenn
Beschwerden nicht ernst genommen werden oder äußerstenfalls das Verfahren eingestellt wird. Aus dem gleichen Grund, wie Post zurückgehalten werden kann, kann auch die Aushändigung des Bescheides auf die Beschwerde unterbleiben und stattdessen nur "seinem wesentlichen Inhalt nach" (§ 16 Absatz 6 Satz 4) bekanntgegeben werden. Der Psychiater entscheidet, ob ein gesundheitlicher Grund vorliegt und damit über das Ausmaß der Postkontrolle. So ist es ihm erlaubt, Informationen über Missstände, an denen er auch beteiligt ist, zu unterdrücken. Was sonst in der Arbeit passiert, ist der Willkür des Personals überlassen, denn "juristisch ist die Rechtsstellung des Untergebrachten weitgehends Niemandsland" (Bundestag, 1978). Mit Recht demonstrierten daher die rheinischen Beschwerdezentren im Dezember 1979 vor der Bonner Anstalt mit der Transparent-Warnung (Beschwerdezentrum Psychiatrie Bonn, 1981, S. 1)

ACHTUNG! SIE VERLASSEN DEN GELTUNGSBEREICH
DER MENSCHENRECHTE!

Wenn es nach den Vorschlägen von CDU und SPD in Berlin geht, soll das Unterbringungsgesetz durch ein "Gesetz für Psychisch Kranke (PsychKG)" abgelöst werden, das weitere Grundrechte einschränkt, so das

  • Recht auf körperliche Unversehrtheit, um Zwangsuntersuchungen und Zwangsbehandlungen zu ermöglichen,

  • Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung, um solche Zwangsmaßnahmen auch ambulant betreiben zu können, (§ 37 Psych-KG, CDU-Antrag 1980).

3.3.2. Zwangseinweisung und Zwangsunterbringung

Unter dem Punkt 3.3.1. haben wir das Unterbringungsgesetz kennengelernt als rechtsstaatliche Legitimation, Menschen auch gegen ihren Willen in Anstalten zu schaffen (Zwangseinweisung) und dort längere Zeit festzusetzen (Zwangsunterbringung). Solche Freiheitsentziehung kann nur das zuständige Amtsgericht anordnen, so jedenfalls der gesetzliche Regelfall nach § 1 Absatz 1 UntGes.

Um den praktischen Regelfall nachzuvollziehen, muss man das Gesetz schon auf den Kopf stellen, nämlich weit hinten suchen und das, was vorne steht, immer mitdenken. In den meisten Fällen beantragt der Sozialpsychiatrische Dienst eine vorläufige Unterbringung (vgl. BGSP, November 1980, S. 6). Der Amtsrichter gibt seine Entscheidung telefonisch bekannt. Sein Beschluss ist unanfechtbar (§ 14 Absatz 1 UntGes). Das bedeutet, dass der Betroffene bis zu zwei Wochen in einer Art Vorbeugehaft hinter den Anstaltsmauern verschwindet.

Erst im Nachhinein wird das gerichtliche Verfahren in der Anstalt als Routinevorgang an einem bestimmten Wochentag nachgeholt. Der Insasse ist in der Zwischenzeit mit Dämpfungsmitteln meist so vollgepumpt worden, dass er gar nicht mitbekommt, worum es überhaupt geht, und Psychiater und Richter über seinen Kopf hinweg sich schnell einig werden, wie lange er drinzubleiben hat. Der beigeordnete Rechtsanwalt kennt den Insassen nicht und schweigt meist dazu. Viele Insassen waren erstaunt, als sie von uns hörten, dass immer ein Rechtsanwalt dabei sein muss (§ 6 Absatz 1 UntGes). Die Unterbringung darf für längstens zwei Jahre angeordnet werden (§ 10 Absatz 1), aber ihre Verlängerung ist auf die gleiche einfache Weise möglich, so dass nicht selten Menschen zig Jahre bis zu ihrem Tod untergebracht werden.

Häufig ist für den Sozialpsychiatrischen Dienst Gefahr im Verzuge gegeben, und er sorgt für eine "vorläufige Einweisung" bis zum folgenden Tag (nach § 15 UntGes), ohne dass es einer vorherigen gerichtlichen Entscheidung bedarf. Ist der Sozialpsychiatrische Dienst nicht erreichbar, kann auch die Polizei oder der Anstaltsarzt diese Aufgabe übernehmen (§ 15 Absatz 2 UntGes). Nicht selten handelt es sich um eine Verschleppung, da die so Behandelten mit Äußerungen wie "Kommen Sie mal mit" und "Wir wollen mit Ihnen reden" über die wahren Absichten getäuscht werden.

Eine andere Art der Verschleppung, wobei sämtliche gesetzlichen Regelungen umgangen werden, indem der Bürger draußen mit der Spritze betäubt wird und dann plötzlich in der Anstalt erwacht, sein Widerstand schnell gebrochen wird und sein Aufenthalt bei späteren Beanstandungen als "freiwillig" gilt, schildert Pape (1972, S. 12). Dort findet sich auch die Feststellung des Bundesgerichtshofes:

"Die Erfahrung hat gezeigt, daß Heilanstalten immer wieder zur Festhaltung angeblich Geisteskranker oder für die Öffentlichkeit lästiger Personen mit Hilfe getäuschter oder ihre ärztliche Pflichten verkennender Ärzte mißbraucht werden." (Urteil vom 24.4.1961, III ZR 45/60, S. 9/10)

3.3.3. Entmündigung

Die Entmündigung ist ein wirksames rechtliches Verfahren, um mit Betroffenen gegen deren Willen oder gegen deren Widerstand umzuspringen. Anwendungsbeispiele sind: Ein Insasse will aus der Anstalt, er soll aber gezwungen werden, weiter drinzubleiben. Er wehrt sich gegen seine Behandlung, will keine chemischen Zwangsmittel. Mit dem Vormund oder Pfleger wird man sich schneller einig, so auch, um einen ehemaligen Insassen in die besondere Ausbeutung der Behindertenwerkstätten zu zwingen, oder ihm sein Vermögen zu entziehen.

Für den, der entmündigt ist, spricht der Vormund. Ein Entmündigter steht rechtlich einem Kind unter sieben Jahren gleich, das heißt seine Willenserklärungen sind nichtig [§ 105 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)]. Er kann keine rechtlich wirksamen Miet-, Arbeits-, Kauf- und sonstige Verträge abschließen.

Da das Verfahren einer Entmündigung sehr kompliziert ist, bevorzugt man insbesondere in Berlin die Einrichtung einer sogenannten Gebrechlichkeitspflegschaft, eine Art Teilentmündigung. Dazu reicht die Behauptung eines Psychiaters, die Person komme mit ihren Angelegenheiten nicht zurecht und das sei eine Folge ihrer "Psychischen Krankheit". Der Richter schließt sich in der Regel dann den Ausführungen des Psychiaters an (vgl. Crefeld & Ossiander, 1979).

Rechtlich tritt der Pfleger neben die Person und nicht, wie der Vormund, an die Stelle der Person. Praktisch wird aber mit einer Pflegschaft der gleiche Zwang ausgeübt mit der Behauptung,

"eine Verständigung (ist) mit ihm nicht möglich." (§ 1910 Absatz 3 BGB). Eine Wirkung von Pflegschaft oder Vormundschaft sowie auch einer Unterbringung in einer Anstalt ist der Ausschluss vom Wahlrecht (§ 13 Bundeswahlgesetz).


3.3.4. Zwangsbehandlung und Misshandlung

Jeder medizinische Eingriff ist eine Körperverletzung. Sie ist nur dann nicht strafbar, wenn der Arzt eine Rechtfertigung nachweisen kann, die auf einer gesetzlichen Grundlage beruht (siehe Punkt 3.3.1.) oder der Behandelte zustimmt, nachdem ihn der Arzt über die Wirkungen und Nebenwirkungen, das heißt beabsichtigte und unbeabsichtigte Wirkungen, sowie auch über die Gefahren der Behandlung aufgeklärt hat.

Der Anstaltalltag ist gekennzeichnet von systematischer, illegaler Zwangsbehandlung, die die Psychiater zu verantworten haben. So sind Aufnahmestationen geschlossene oder mehrfach geschlossene Abteilungen, auf denen auch sogenannte freiwillige Patienten eingesperrt werden, ohne das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren zu erfüllen (vergleiche Punkt 3.3.2.). Bei Widerstand oder Unruhe sind Sonderbehandlungen wie Isolierzimmer,

"Fixieren", das heißt, mit Lederriemen am Bett oder Stuhl fesseln, Zwangsverlegung, Ausgangs- und Besuchssperre usw. üblich.

Ist hier der Zwang noch offensichtlich, so soll er durch Ausdrücke wie "Heilkrampftherapie" für Elektroschock und "Psychiatrische Pharmakotherapie" (Dörner & Plog, 1980, S. 362), "Medikamente", das heißt Heilmittel, für chemische Zwangsmittel, chemische Zwangsjacke, bzw. "Pillenkeule" (Klee, 1978) in sein Gegenteil verkehrt werden. Ich will auf Letzteres ausführlich eingehen, weil dieser Irrtum weit verbreitet und ein Knackpunkt in der Auseinandersetzung um die herrschende Psychiatrie ist.

Wie die Wirkung der chemischen Zwangsmittel konkret zustandekommt, ist nicht bekannt. Dafür gibt es einen Haufen Theorien über die angeblich ausgelösten Hirnprozesse. Allgemein sollen dazu Dörner & Plog zu Wort kommen:

"Sie wirken " nur indirekt " auf Seele bzw. Handeln des Menschen, indem sie eine Störung, Verletzung oder Krankheit des Körpers künstlich erzeugen." (1980, S. 362)

Deshalb "gibt (es) zunehmend Patienten, die lieber an ihren Symptomen als an ihren Pharmaka leiden" (S. 362), und sie verweigern. Dann tritt die Gewalt wieder offen hervor: Mehrere Pfleger greifen den Verweigerer, schleppen ihn ins Bett, fesseln ihn dort, bis der Psychiater ihm eine Spritze verpasst. Nicht so offen ist die Gewalt bei den Praktiken, entsprechende Tropfen oder Pulver unter das Essen zu mischen oder zur Einnahme zu überreden mit Sprüchen wie "Sie sind doch so unruhig!", "Sie brauchen das!", "Das ist gut für Sie!".

Tatsächlich kennen die Wirkung solcher Mittel nur die Opfer dieser Behandlung. Nicht vergessen werde ich die zusammen fassenden Aussagen: "Ich war wie ein Roboter, wie eine Maschine!"

"Mir wurden diese Jahre in der Anstalt, diese Zeit meines Lebens geraubt!" Solche chemischen Zwangsmittel stellen innerlich tot, versetzen den Körper, Gefühlswelt und Denken in einen "künstlichen Winterschlaf" (Hilft, 1955, zit. nach Lehmann, 1981). Diese 'nebenwirkungen" sind wohl die eigentlich beabsichtigten Wirkungen, damit Ruhe herrscht auf Station und in der Gesellschaft. Dabei werden vielfältige Schädigungen in Kauf genommen, wie Zerstörung der weißen Blutkörperchen, Gelbsucht und Leberzirrhose, Hautkrankheiten, die selbst das Pflegepersonal befallen, Hirnschäden, Parkinsonismus (schleppender Gang, gebückte Körperhaltung, maskenhaft starrer Gesichtsausdruck, Energielosigkeit, Desinteresse), Krampfanfälle, Krebs (deswegen musste

z. B. das Depotmittel Semap vom Medikamentenmarkt genommen werden), vegetative Krisen, Delirium, Bewusstseinsstörungen bis zu narkoseartiger Wirkung, Verwirrtheit, Psychotisches Verhalten, Zittern, Sitzunruhe, Potenzrückgang, Angst, Depressionen, Selbstmordneigung.

Lehmann (1981) belegt durch Auswertung der psychiatrischen Fachliteratur, dass Todesfälle auch bei fachgerechter Anwendung dieser chemischen Drogen im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen nicht selten sind. Es ist also nicht übertrieben, von Versuchen an wehrlosen Menschen zu schreiben. Psychopharmakabehandlungen an russischen Dissidenten werden hierzulande als Folter angeprangert, jedoch

"alles, was die Russen tun ist, daß sie den Leuten eine Standardbehandlung geben, wie sie im Westen für Leute üblich ist, bei denen man eine psychische Krankheit annimmt. Die Brutalitäten, die in solchen russischen Hospitalen ans Licht gekommen sind, werden durch die Brutalitäten aufgewogen, die routinemäßig in unseren westlichen Irrenanstalten passieren." (Laing, 1978)

3.4. Ausbeutung

"Legale Ausbeutung: Kranke werden mit vier Pfennig Stundenlohn abgespeist."

"Brutto-Nebenverdienste 1975 Dr. Bergener (Köln) 445.525 DM" (Unbequeme Nachrichten, April 79).

Diese Gegenüberstellung zeigt das Ausmaß der Ausbeutung in der sogenannten Arbeitstherapie und als Nutznießer die Gutachten schreibenden Psychiater neben den daran beteiligten Firmen. Möglich wird das dadurch, dass alle Rechte, die sich die Arbeiterbewegung erkämpft hat, wie Sozialversicherung, Streikrecht, Tarifverträge, Lohnfortzahlung im Krankheits falle, hier nicht gelten, weil Arbeit zur Therapie erklärt wird. Ohne die Arbeit der Insassen in der Küche, der Wäscherei, der Tischlerei, in Hof- und Gartenkolonne wäre der Anstaltsbetrieb schon längst zusammengebrochen. 40,7 % aller Insassen in "Fachkrankenhäusern" befinden sich in der Arbeits"therapie", davon 67 % in der anstaltseigenen (Psychiatrie-Enquête, 1975, S. 135 f.). Darüberhinaus verkaufen die Anstalten ihre arbeitsfähigen Insassen an Industriefirmen, für die sie auf dem Anstaltsgelände meist stumpfsinnige Akkordarbeit verrichten müssen; von Therapie kann da keine Rede sein.

Der Zwang zur Arbeits"therapie" kann auch über den Anstaltsaufenthalt hinausgehen. So entlässt die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik arbeitende Insassen nur unter der Bedingung, dass sie den Knebelungsvertrag unterschreiben, weiter in der Arbeits"therapie" zu arbeiten und die "Medikamente" zu nehmen. Anderenfalls sorgt der Gebrechlichkeitspfleger (siehe Punkt 3.3.3.) für die weitere Zwangseinweisung.

Aber auch wer in der "Rehabilitation" weiter fortgeschritten ist, muss härtere Bedingungen verkraften als "normale" Arbeiter. So sehen die Berliner Behinderten-Werkstätten (BBW) eine zweimonatige Einarbeitungs- und Probezeit ohne Bezahlung vor. Wer in dieser Zeit genug Arbeitsleistung gebracht hat und nicht aufgefallen ist, wird übernommen und bekommt für geisttötende Akkordarbeit je nach Leistung zwischen 1,- und 8,- DM pro Stunde. Insassen, die draußen arbeiten, werden zur Finanzierung ihres Anstaltsaufenthaltes herangezogen.


3.5. Unterdrückung durch

3.5.1. Die herrschende Psychiatrie-Lehre

Die meisten Psychiater sind seit eh und je bemüht, Psychiatrie als Teil der Medizin herauszustellen, um zu verschleiern, dass sie, indem sie den Bereich des Normalen abstecken, soziale Konflikte verdecken und soziale Kontrolle ausüben. Was nicht normal ist, ist krank und muss dingfest gemacht werden. Entsprechend schreibt Schneider, einer ihrer Repräsentanten (1973, S. 7 f.):

"Krankheit selbst gibt es nur im Leiblichen, und "krankhaft" heißen wir seelisch abnormes Verhalten nur dann, wenn es auf krankhafte Organprozesse zurückzuführen ist... Wir fundieren also den Krankheitsbegriff in der Psychiatrie ausschließlich auf krankhafte Veränderungen des Leibes."

Da aber nur bei den wenigsten "psychischen Krankheiten" krankhafte körperliche Veränderungen nachzuweisen sind, wie bei Hirnverletzungen, -missbildungen, -krankheiten und Vergiftungen, wird für die überwiegende Anzahl so getan, als ob die körperliche Veränderung noch nicht gefunden sei. Diese Psychiater hoffen auf die Entdeckung schon seit über hundert Jahren. Hätten sie sich selbst zu diagnostizieren, müssten sie zu dem Ergebnis kommen: kollektiver Wahn! Das trifft insbesondere auf die Diagnose Schizophrenie und Manisch-Depressive Psychose zu, die laut Psychiatrie-Enquête (1975, S. 112) 36,7 % bzw. 8,2 % der Insassen in „psychiatrischen Fachkrankenhäusern“ verpasst bekommen haben.

Um diese Krankheit dennoch feststellen zu können, behaupten diese Psychiater Unterschiede in der Denkweise, im Fühlen und in den Ich-Eigenschaften zwischen Gesunden und Kranken. Aber alle diese Symptome, die Krankheiten signalisieren sollen, kommen auch bei Gesunden vor (vgl. Krüll, 1977, Kap. 2.11). Deshalb ist keine eindeutige und klare Unterscheidung zwischen Gesunden und Kranken möglich, vielmehr sind der Willkür der Psychiater Tür und Tor geöffnet. Abweichende Verhaltensweisen und sogar unliebsame politische Gegner können auf diese Weise als krank abgestempelt werden (Vgl. Klee, 1978, S. 102).

Dass die Diagnosen willkürlich sind, hat der amerikanische Psychiater Rosenhan (1973) eindrucksvoll nachgewiesen. Er schleuste psychiatrisch Ausgebildete dadurch in die Anstalten, dass sie behaupteten, Stimmen zu hören. Dort verstellten sie sich nicht und wurden trotzdem von keinem Psychiater oder Pfleger als Gesunde erkannt. Wer in eine Anstalt kommt, der muss deswegen krank sein. Sein gesamtes Verhalten wird im Blickwinkel der Krankheit gesehen. Dabei sind die Psychiater blind für die Sichtweise, dass die Situation das Verhalten produziert (vgl. Kipphardt, 1978, S. 53 f.). Wer den Anstaltsterror nicht mehr aushält und randaliert, der bekommt in seine Akte Eintragungen wie "grundlose, völlig unmotivierte ohne äußeren Anlass auftretende Verstimmung" oder "krankhafte Neigung zu Aggressionsausbrüchen". Für die Unhaltbarkeit der Diagnosen spricht auch die lange Reihe sich widersprechender Diagnosen, die langjährige Psychiatrieopfer meist angehängt bekommen haben.

Für den Psychiater bringt die Diagnose Erleichterung. Er erklärt ein ihm unverständliches Verhalten für krank und beruhigt sich damit selbst (Foudraine, 1977, S. 32). Durch den starren Blick auf die Symptome vermeidet er, dem Insassen zu nahe zu kommen und eine echte persönliche Beziehung einzugehen (Basaglia, 1973,
S. 7 und Kap. 2). Er beruft sich lieber auf sein "diagnostisches Gefühl" oder auf seine "Erfahrung", was jedoch nichts anderes ist als seine Routine im Nicht-Verstehen.

Die Diagnose "geisteskrank" oder moderner "psychisch krank bzw. gestört" bedeutet für den Betroffenen ein Etikett und einen Makel, den er sein Leben lang nicht mehr los wird (vgl. Scheff, 1973) und ihn immer mit Entmündigung und Irrenanstalt bedroht. Gutachtende Psychiater pflegen die Diagnose ihres Vorgängers abzuschreiben. Daran sind bisher sieben Wiederbemündigungsverfahren des Werner Fuß gescheitert, der von Westdeutschland nach Berlin kam, weil er sich hier mehr Erfolg versprach. Seit anderthalb Jahren begleite ich ihn bei seinem hiesigen Wiederbemündigungsverfahren. Wir haben uns im Treffpunkt Waldstraße kennengelernt. Durch die Zusammenarbeit im Beschwerdezentrum und in der Irren-Offensive sowie als Hausbesetzer sind wir Freunde geworden.

3.5.2 Die Machtverhältnisse

Wie wir bisher gesehen haben (siehe Punkt 3.1.), dient die Psychiatrie dazu, die kapitalistischen Macht- und Gewaltverhältnisse aufrechtzuerhalten. Diese Verhältnisse widerspiegeln sich in der Irrenanstalt, wo der Psychiater unumschränkte Macht hat, für die es keine Kontrolle gibt. Für den Insassen bedeutet das, dass er als bestimmtes, behandeltes, unwissendes Objekt dem Psychiater als bestimmendes, handelndes, wissendes Subjekt ausgeliefert ist (vgl. Kapitel 2). Ein solches

"Arzt-Patient-Verhältnis garantiert... die permanente Unterdrückung des in der Krankheit (dem Verrückt-Sein, K. D.) als progressives Moment enthaltenden Protestes und dessen Materialisierung als Widerstand." (SPK, 1973, S. 49)

Seine krankmachende Wirkung ist nicht mehr zu bezweifeln (Güse & Schmacke, 1976, S. 160). So kann der Psychiater Distanz schaffen, dem Insassen eine menschliche Begegnung verweigern, wobei ihm die herrschende Psychiatrie-Lehre noch Schützenhilfe liefert. Da die meisten Anstaltsinsassen aus der Unterschicht kommen (siehe Gleiss u.a., 1973, S. 40 ff.), wirkt dazu noch eine schwer zu überbrückende soziale Distanz. Die Psychiater sind blind für die sozialen Bedingungen des Elends, weil ihnen die Lebenssituation der Insassen fremd ist.

Die Distanz der Psychiater zu den Insassen überträgt sich auf die Pfleger, die sich in ihrem beruflichen Selbstverständnis nach

"oben" orientieren. Sie müssen bei schlechten Arbeitsbedingungen die Ordnung auf der Station aufrechterhalten. Die Belastungen der Arbeit entladen sich häufig in Hassgefühlen und Aggressionsausbrüchen gegenüber den Insassen. Die gleiche Herkunft ermöglicht jedoch auch Solidarisierung (Wolff & Hartung, 1972). Meist setzt sich aber die Rangordnung Psychiater "Pfleger" Insasse in einer weiteren festen Hierarchie unter den Pflegern wie unter den Insassen fort. Auch unter den Behandlungsmethoden und den einzelnen Stationen finden wir abgestufte Unterdrückung (vgl. Jervis, 1978, S. 128).

Goffmann (1972) kennzeichnet Irrenanstalten als "totale Institutionen", in denen mit den Insassen ein Umwandlungsprozess vollzogen wird, der auf Identitätsverlust hinausläuft. Der Umwandlungsprozess wirkt auf jeden Insassen in gleicher Weise und ist unabhängig von Krankheit oder Gesundheit (S. 129). Wie ich unter 3.3.4. zuvor gezeigt habe, bedrohen Anstalten darüberhinaus ihre Insassen mit körperlicher Zerstörung bis hin zum Tod.


4. Psychosoziale Initiativen – eine Alternative zur herrschenden Psychiatrie?

Das beschriebene Elend hat zu zahlreichen Initiativen geführt. Die radikalste in Deutschland war das SPK (Sozialistisches Patientenkollektiv). "In der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg (fand) am 5.2.1970 die erste PatientenVollversammlung in der Geschichte der Medizin statt." (SPK, 1972, S. 24) Zum Nachdruck der Forderungen nach Kontrolle der Krankenversorgung, des Hausrechts in den Kliniken und nach Inbesitznahme der Klinikgelder durch die Patienten besetzte das SPK das Rektorat. In dem zunächst erfolgreichen Kampf wuchs das SPK bis auf 500 Patienten an, zugleich aber auch die Hetze, die insbesondere von Kultusminister Hahn ausging. Der Direktor der Sozialpsychiatrischen Universitätsklinik in Heidelberg-Mannheim, Prof. Dr. med. Heinz Häfner, gab dazu folgende Schützenhilfe:

"Die Sorge, daß das nach der Katastrophe des Nationalsozialismus langsam wieder keimende Vertrauen in eine Psychiatrie, die sich ihrerseits um Modernisierung energisch bemüht, durch irrationale Mißtrauensepidemien erneut zerstört wird, ist groß." (nach Bopp, 1980, S. 74)

Das bedeutet, Häfner will für das berechtigte Misstrauen gegenüber der Psychiatrie das SPK verantwortlich machen, das es lediglich deutlich macht. Die Verfolgung des SPK gipfelte in der brutalen polizeilichen Räumung am 21.7.1971 und Verhaftungen unter dem Vorwand, sei sein Mitglieder einer kriminellen Vereinigung. Damit wurde der Versuch zerschlagen, unter der Devise "Aus der Krankheit eine Waffe machen" (1972) im Patientenkollektiv jede Hierarchie und Vereinzelung dadurch abzuschaffen, dass sie untereinander die Rollen aufheben, das Wissen solidarisieren und die Patienten die Kontrolle erhalten. Eine solche Alternative haben die Herrschen den nicht zugelassen. Ich will mich auch deshalb Initiativen zuwenden, die möglich geworden sind.

Die staatliche Initiative auf die Unruhe war die Einberufung einer Sachverständigen-Kommission, die für fünf Millionen DM über die Köpfe der Betroffenen hinweg die Psychiatrie-Enquête erstellten , die in den "Empfehlungen zur 'neuordnung" der "Versorgung" psychisch Kranker und Behinderter" gipfeln (Anführungsstriche innerhalb des Zitates, Zusatz K.D.).

Mit dem Begriff „Neuordnung“ räumen die „Sachverständigen“ zutreffend ein, dass es sich im Psychiatrie-Bereich um die Herstellung von Ordnung handelte und handelt. Die alte Art, Ordnung herzustellen, reicht nicht aus, weshalb eine neue Ordnung, kurz: Neuordnung, vonnöten ist. Dementsprechend ist dieser Bereich in Unordnung; das zeigt sich besonders in der Unordnung der Patienten, sie passen nicht in die herrschende Ordnung, selbst ihre Aussonderung passt, weil sie zunehmend massenhaft wird, nicht ins ordentliche Bild vom Sozialstaat.

Da diese Patienten von sich aus nicht „ordentlich“ sind, müssen sie „versorgt“ werden. Sie selbst können sich ja offensichtlich nicht versorgen! Dass ihre Art zu leben, Sinn haben könnte, ist durch die psychiatrische Diagnose ausgeschlossen. Menschen, die diesen Sinn erkennen und produktiv machen wollen, sind selber irrsinnig.

Die Sachverständigen fordern beifallserheischend, „daß die Beseitigung grober inhumaner Mißstände unbedingt jeder Neuordnung der Versorgung ... vorauszugehen hat.“ (Psychiatrie-Enquete, 1975, S. 408). Damit meinen sie, dass ausreichend sanitäre Anlagen, eigene Schränke usw. zur Verfügung gestellt werden sollen, und haben Anstaltsneubauten hervorgerufen, die allein in Bonn und Berlin jeweils über 100 Millionen DM verschlungen haben (vgl. SSK 1980, S. 55).

Weiter geplant ist auf dem Gelände der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik der Neubau eines „festen Hauses“, eine Art Hochsicher- heitstrakt für „psychisch kranke Straftäter“, für 40 Millionen DM. Diese Neubauten stellen eine modernere und perfektere Verwal- tung des Elends dar, bieten aber keine grundsätzliche Alternative. Das liegt daran, dass aus der Sicht der Institutionen (Psychiatrische Anstalten, Kassenärztliche Vereinigungen usw.) untersucht wird und nicht aus der Sicht der Insassen und Betroffenen.

Den Standpunkt der Insassen nehmen die Beschwerdezentren ein. Das erste „Beschwerdezentrum gegen Verbrechen in den Landeskrankenhäusern“ entstand 1977 auf Initiative des SSK (Sozialistische Selbsthilfe Köln). Da das SSK-Beschwerdezentrum unserer Berliner Initiative Beschwerdezentrum als Vorbild gilt, seine Schlagkraft aber nur aus seiner Verbindung mit dem SSK und dessen Geschichte deutlich wird, gehe ich zunächst darauf ein.

 

4.1. Geschichte des SSK (Sozialistische Selbsthilfe Köln) und des Kölner Bschwerdezentrums

4.1.1. Geschichte des SSK

In der Studentenrevolte der 68er Jahre bezeichnete man die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt, stieß damit aber bei den Arbeitern auf wenig Gegenliebe. Deshalb wandten sich viele Studenten den Randgruppen der Gesellschaft zu, wie Obdachlosen, ausländischen Arbeitern, Insassen von Heimen, Gefängnissen und Irrenanstalten.

In Köln gab es eine Gruppe von Studenten, die die unhaltbaren Zustände in den Erziehungsheimen des Landschaftsverbandes anprangerte. Dort wurden die Jugendlichen geschlagen, in gefängnisartige Zellen eingesperrt und zur Arbeit gezwungen, die entweder überhaupt nicht oder stark unterbezahlt wurde (vgl. hierzu und dem folgenden: Gothe & Kippe, 1978). Eine Erziehungsarbeit, die den offiziell herausgestellten Zielen dieser Heime auch nur annähernd entsprochen hätte, fand nicht statt.

Um diesem Elend zu entkommen, blieb den Jugendlichen nur die Flucht und ein Leben in der Illegalität. So lagen in Köln 1970 ungefähr 1000 Jugendliche auf der Straße, die den Heimen oder ihren kaputten Familienverhältnissen entflohen waren. Sie mussten täglich einen zähen Kampf ums Überleben führen, wozu Kriminalität und Prostitution gehörten. Denn weder das Kölner Stadtjugendamt noch das rheinische Landesjugendamt sahen sich als zuständig an, weil die Jugendlichen offiziell unter der Obhut der Heime oder ihrer Eltern standen. Den Protesten der Studenten gegen diese Situation folgten Presseberichte und wissenschaftliche Untersuchungen (vgl. Entwicklung zur Psychiatrie-Enquête). Dadurch gerieten die Verantwortlichen in Stadt- und Landesjugendamt unter Druck.

Neben den Studenten gab es eine Gruppe von Sozialarbeitern und Erziehern, die unter den Bedingungen der bestehenden Heime nicht arbeiten wollten und Jugendwohngemeinschaften forderten. Studenten und Sozialarbeiter gründeten 1969 den Verein

"Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Köln" (SSK). Er war vom Landesjugendamt dafür vorgesehen, Jugendwohngemeinschaften zu gründen und zu betreuen. Bald war auch die erste Wohn-gemeinschaft errichtet und von da an bestimmten die Jugend lichen die Politik des SSK mit.

Im SSK stießen die gegensätzlichen Auffassungen der Sozialarbeiter und Studenten aufeinander und führten zur Polarisierung in "Pädagogen" und "Politiker". Die "Pädagogen" wollten pädagogische Arbeit in Wohngemeinschaften leisten und arbeiteten mit den Behörden zusammen. Die "Politiker" wollten sich für die über 1000 obdachlosen Jugendlichen einsetzen, die bis dahin offiziell gar nicht existierten, und zunächst Wohnung und Essen für sie und mit ihnen erkämpfen. Dazu musste aus dem SSK eine sozialpolitische Bewegung werden. Den "Pädagogen" warfen sie vor, auf Kosten der großen Anzahl obdachloser Jugendlicher mit einigen wenigen von ihnen privilegierte pädagogische Arbeit machen zu wollen und sich als Vorzeigemodell von staatlicher Seite missbrauchen zu lassen.

Die "Politiker" setzten sich durch und vorrangiges Ziel war, ein unabhängiges Kontaktzentrum für obdachlose Jugendliche als anerkannte Einrichtung der Jugendhilfe zu errichten. In zähen Auseinandersetzungen, denen der SSK durch Hausbesetzungen Nachdruck verlieh, konnte der SSK der Stadt Köln einen Vertrag abringen. Damit war 1973 ein in der BRD einmaliger Einbruch in das Erziehungsrecht erreicht: Die Jugendlichen konnten selbst über ihre Zukunft entscheiden. Blieben sie beim SSK, so durften sie nicht mehr ins Heim oder zu ihren Eltern polizeilich zurückgebracht werden. Die Stadt verpflichtete sich zur finanziellen Unterstützung der Jugendlichen und zur Bezahlung der SSK-Mitarbeiter.

Der politische Sprengstoff, der in diesem Vertrag lag, ließ Partei en und Behörden nicht ruhen, ihn wieder rückgängig zu machen.
Denn er bedeutete, dass eine wichtige Voraussetzung für das Funktionieren der Fürsorgeerziehung verloren zu gehen drohte: dass es für die Jugendlichen keine Alternative gab. Die Aussicht, draußen untertauchen zu müssen, hatte bisher viele Heimzöglinge von einer Flucht abgehalten. Nun gab es einen Ort, wo sie offiziell bleiben konnten und sogar unterstützt wurden. So flohen mehr Jugendliche als je zuvor zum SSK. Die Behörden versuchten, diesen Strom dadurch aufzuhalten, dass sie eine weitere Finanzierung von einer Kapazitätsbeschränkung abhängig machten. Der SSK lehnte es strikt ab, Jugendliche wieder auf die Straße zu schicken, so lange er die einzige Hilfseinrichtung ist. Dazu brachte er das Sozialamt zum Zusammenbruch angesichts hunderter Sozialhilfeanträge.

Um den Offenbarungseid abzuwehren, startete der Sozialstaat in Zusammenarbeit mit der Presse eine Hetzkampagne, um den SSK in die kriminelle Ecke zu drängen. Dem SSK wurden die Gelder entzogen und die Polizei auf den Hals gehetzt. Gleichzeitig arbeitete die Stadt an einem eigenen Konzept zur Hilfe für obdachlose Jugendliche. Als die daraus folgende Modelleinrichtung in Konkurrenz zum SSK nicht bestehen konnte, folgte das Verbots des SSK mit Ministererlass vom 8.2.1974.

Vor der polizeilichen Räumung der SSK-Häuser flohen die Jugendlichen, fanden zunächst in der Fachhochschule für Sozialarbeit Unterschlupf und dann bei Freunden des SSK in ganz Nordrhein-Westfalen. Dadurch blieb die erwartete Straßenschlacht aus, und für das Verbot fand sich auch im Nachhinein keine Rechtfertigung. Durch die breite Unterstützung in der "Aktionseinheit SSK" sahen sich die Verantwortlichen gezwungen, laut über ihr falsches Verhalten nachzudenken. Der SSK bekam auch unter der Hand finanzielle Angebote, war aber nicht mehr bereit, sich in finanzielle Abhängigkeit vom Staat zu begeben.

Fast alle Jugendlichen wollten sich lieber auf eigene Faust durchschlagen und waren dabei sehr erfinderisch. Einige lebten vom Verkauf der SSK-Dokumentationen, andere begannen Transporte für Freunde des SSK mit einem LKW zu fahren. Aus dieser Arbeit wurde die Firma "Wir packen an" geboren, eine Firma, die in den Händen der Beschäftigten liegt. Basis der Firma wurde der LKW. Mit ihm wurde das Geld für die Hausmieten und die Lebensmittel eingefahren. Aus Entrümpelungen und Haushaltsauflösungen kamen Möbel, Kleider und Gebrauchsgegenstände. Daraus entwickelten sich die heute bekannten Möbel- und Kleiderlager. Neben den Transporten führte der SSK auch handwerkliche Arbeiten aus, ja, es entstand sogar ein Baukollektiv, das ganze Häuser fertigstellte.

Aus der sozialpädagogischen Einrichtung, Jugendwohngemeinschaft und Kontaktzentrum, war eine Selbsthilfeorganisation verelendeter junger Arbeiter geworden. Jugendliche und ehe malige Betreuer bildeten Wohn- und Arbeitsgruppen, die den neuen SSK darstellten: Die "Sozialistische Selbsthilfe Köln". Dadurch, dass sie sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienten und Sozialhilfe zurückwiesen, erhielt der neue SSK einen ungeheuren Rückhalt in der Bevölkerung und konnte schonungslos das Elend der von der Gesellschaft Ausgestoßenen anprangern. Er bot sich jetzt auch für andere Ausgeschlossene an, wie obdachlose Erwachsene, ehemalige Insassen von Gefängnissen und Irrenanstalten, die sonst keine Chance haben.


4.1.2. Geschichte des SSK-Beschwerdezentrums

Ehemalige Insassen berichteten von den menschenverachtenden Zuständen in den Anstalten und führten den SSK zu einem Engagement auch auf diesem Gebiet. Zunächst besuchten die SSK-Mitglieder Insassen in den Anstalten und setzten sich für deren Rechte ein. Bald wurde klar, dass es mit den Besuchen nicht getan war, sondern dass das systematische Elend mit politischen Aktionen angegangen werden musste. Um dafür weitere Mitarbeiter zu gewinnen, wurde das erste Beschwerdezentrum gegründet. Zu den Aufgaben und Zielen des SSK-Beschwerdezentrums heißt es:

"Im Sommer 1977 wurde das Beschwerdezentrum in einer öffentlichen Veranstaltung gegründet, in der über die Zustände der Einrichtungen des LVR (Landschaftsverband Rheinland, Zus. K.D.) Heime und LKHs (Landeskrankenhäuser, Zus. K.D.) berichtet wurde. Bürger jeden Alters, ehemalige Patienten aus LKHs schlossen sich zu einer Bürgerinitiative zusammen, um gegen das Elend in den Irrenanstalten vorzugehen.

Da die Patienten in den Irrenanstalten in einer rechtlosen Situation leben und ihre Beschwerden bei den Behörden meist ignoriert oder als krankhafte Wahnvorstellungen abgetan werden, haben wir ein Zentrum eingerichtet, an das sich jeder Patient wenden kann. Hier wird jeder Beschwerde über Unterbringung und "Behandlung" nachgegangen...

Werden uns besonders schlimme Mißstände bekannt, so versuchen wir, mit Hilfe von Flugblättern und Plakaten öffentlichkeit herzustellen. Gleichzeitig werden Strafanzeigen gestellt, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen...

Wir sehen die Patienten in den LKHS als politische Gefangene an, weil sie eine Garantie für die Ordnung und die Abschreckung für ein freies Leben darstellen. Sie sollen alle anderen Menschen zum Duckmäusertum bewegen." (SSK, 1979 b, S. 63)

Die Wirkung der SSK-Beschwerdezentrumsarbeit will ich durch drei herausragende Beispiele deutlich machen.

4.1.2.1. Befreiung Josef B.’s nach 12 Jahren Bewahrungshaus Düren

Nach Waisenhaus, Sonderschulheim und Klostererziehung war Josef 1966 mit 21 Jahren aufgegriffen worden, weil er bei einem der vielen Ausbrüche aus dem Heim zwei Passanten die Handtasche weggerissen hatte (vgl. zum folgenden SSK 1979 a, S. 49 und 1979 b, S. 1, S. 36 ff., S. 64.). Er kam in Untersuchungshaft, wurde dort getestet und zur weiteren Begutachtung in die Anstalt zwangseingewiesen. Aus seinem schlechten Abschneiden im Intelligenztest konstruierte der gutachtende Psychiater einen frühkindlichen Hirnschaden, der niemals nachgewiesen werden konnte. Mit dieser behaupteten Krankheit kommt er zu dem Ergebnis:

"Da die krankhaften Voraussetzungen seiner dissozialen (unsozialen) Entgleisungsbereitschaft (gemeint ist Weglaufen) fortbestehen,... kommt es lediglich darauf an, ihn geschlossener und sicherer unterzubringen." (SSK, 1979 b, S. 37)

Josef wurde dann zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, mit anschließender Unterbringung im Bewahrungshaus, einem besonders gesicherten Haus für "psychisch kranke Straftäter".
Dort lernte ihn eine Mitarbeiterin des SSK bei ihrem Praktikum 1976 kennen. Sie merkte sofort, dass Josef weder einen Hirnschaden hatte, noch "gemeingefährlich" war, sondern Opfer einer systematisch gesteigerten Abschiebepraxis.

Der SSK unterstützte die Bemühungen Josefs nach Entlassung, bekam aber zunächst einmal Hausverbot. Danach besuchte der Rechtsanwalt des Beschwerdezentrums Josef und verschaffte sich Akteneinsicht. Mit diesen Informationen machte der SSK öffentliche Aktionen, die aber erst dann wirkten, als er sie im April 1979 in der Fernsehsendung "Spielraum“ des ZDF präsentierte. Am folgenden Tag wurde Josef entlassen und Mitglied beim SSK. Damit zeigte sich, dass Josef widerrechtlich festgehalten wurde und Geisteskrankheit und Gemeingefährlichkeit unhaltbare Behauptungen waren.

Josef ist kein Einzelfall in der Anstalt Düren, die von DGSP-Mitglied Köster geleitet wird. Der SSK hat auch dafür gesorgt, dass der STERN über „Die Toten von Düren“ berichtete (Ausgabe vom 1.2.1979, abgedruckt in: SSK 1979 b, S. 30 f.). und die Aachener Staatsanwaltschaft kürzlich in 56 Einzelverfahren Anklage gegen Dürener Psychiater und Pfleger wegen fahrlässiger Körperverletzung usw. erhoben hat; die ersten haben schon Gefängnisstrafen erhalten. (Beschwerdezentrum Psychiatrie Bonn, 1981, S. 15).

4.1.2.2. Schliessung des „Landeskrankenhauses “ Köln-Brauweiler

Der SSK hatte zwei Todesfälle aufgedeckt, für deren Tod er die Ärzte und den Landschaftsverband Rheinland verantwortlich machte.

Am 13.1.1978 starb die zwanzigjährige Marion Masur angeblich an einem Kreislaufkollaps (Vgl. dazu und dem folgenden SSK, 1979 b, S. 3 ff.). Sie war mit 1600 Milligramm des Dämpfungsmittels „Neurocil“ vollgepumpt worden, obwohl der Hersteller als höchstzulässige Menge 600 Milligramm an gibt.

Franz Machwirth starb im August 1977 mit 25 Jahren in einer Beruhigungszelle, dem sogenannten Bärenzwinger, weil ihm starke Dämpfungsmittel gespritzt wurden, obwohl man wusste, dass er herzkrank war und die Anwendung dieser Mittel bei Herzkranken strengstens verboten ist. Beide wurden sang- und klanglos unter die Erde gebracht, die Umstände ihres Todes sollten totgeschwiegen werden.

Durch wochenlange Demonstrationen vor der Anstalt Brauweiler und der Bezichtigung von Psychiatern als Mörder zwang der SSK den Landschaftsverband zur Reaktion. In einer Pressekonferenz im Februar 1978 gab er bekannt, dass er sein Landeskrankenhaus Brauweiler schließen werde. Mit sofortiger Wirkung wurden der Chefarzt Stockhausen, sein Stellvertreter und zwei weitere Ärzte strafversetzt. Dennoch bezeichnete der SSK in einem Flugblatt diese Reaktion als Vertuschungsaktion, es sei der Skandal gemacht worden, um die Katastrophe zu vermeiden:

"Der Skandal ist, daß Menschen wie Vieh gehalten werden können, mit Dämpfungsmitteln vollgestopft. Wer bei diesem Drogenmißbrauch stirbt, wird sang- und klanglos unter die Erde geschafft.

Die Katastrophe wäre, wenn die ganze Wahrheit ans Tageslicht käme. Brauweiler ist kein einzelner Mißstand, denn in keinem LKH ist es anders als dort. Dieser Mißstand hat System. Und das wird vom LVR bestimmt und aufrechterhalten..." (SSK, 1979 b, S. 3)

Deshalb fordert damals wie heute der SSK: " Schafft endlich den Landschaftsverband und seine Kliniken ab! " (Beschwerdezentrum Psychiatrie Bonn, 1981, S. 13) Um die Flugblattbehauptungen zu verbieten, wollte der Landschaftsverband bei Gericht eine "einstweilige Verfügung" erwirken. Stattdessen darf der SSK das oben zitierte " bis auf die Systematik, da nur noch für das LKH Düren nachgewiesen " nach dem Prozess weiter behaupten; darüberhinaus, dass in Psychiatrieanstalten Patienten unter zwielichtigen Umständen sterben und der Landschaftsverband die wahre Todesursache Marion Masurs verschweige (Bonner Generalanzeiger vom 16.3.79, zit. n. SSK, 1979 b; S. 2).

Der Prozess ist zu einem Bumerang für die herrschende Psychiatrie geworden. Er hat eine Prozesslawine ins Rollen gebracht, durch die immer mehr ans Licht der Öffentlichkeit kommt. Der damalige Anstaltsleiter Stockhausen ließ sich für "geisteskrank" erklären und bekam in einem Aufsehen erregenden Prozess zwei Jahre auf Bewährung. Weitere Psychiater stehen vor Gericht, gegen die Verantwortlichen im Landschaftsverband, wie Kulenkampff und Czischke, wird derzeit ermittelt.

4.1.2.3. Sturz der gesamten Anstaltsleitung in Bonn

Angefangen hatte es damit, dass dem SSK anonym ein Brief zweier Ärztinnen der Bonner Anstalt an Prof. Kulenkampff vom Landschaftsverband zugespielt wurde (s. SSK, 1980, S. 2 ff.). Darin stellen sie fest, dass sich an den Missständen, die sie vor über drei Monaten mit der Forderung auf Abhilfe gemeldet hatten, nichts geändert hatte. In einer angehefteten Liste hatten sie 95 Unfälle in der Altenabteilung in den letzten vier Monaten aufgeführt, von denen vier tödlich

endeten. Sie führen die sprunghaft gestiegenen Unfälle auf katastrophalen Personalmangel zurück, z. B. eine Halbtagsärztin für zwei Stationen.

Drei Tage später, am 22.10.1979, besetzten ca. 20 Leute von SSK und Bonner Beschwerdezentrum mit Blumen und Gitarre fried- lich die Station. Sie sahen darin die einzig wirksame Möglichkeit, weitere Stürze, Verletzungen und Todesfälle zu verhindern. Sie kümmerten sich auch gleich um die alten Leute, im Gegensatz zu Oberpfleger und Anstaltsleitung, die einen massiven Polizeieinsatz für geboten hielten.

Auf die spektakuläre Stationsbesetzung hin berichtete die Presse wochenlang in großer Aufmachung über die Missstände. Der Landschaftsverband wurde so in die Enge getrieben, dass er, um die eigenen Köpfe zu retten, Anstaltsleiter Prof. Dr. Huhn und die übrige Leitung zum Rücktritt zwang und das Personal verstärkte. Prof. Kulenkampff, "Fachaufsicht über die Rheinischen Landeskrankenhäuser", lehnte jede Verantwortung auf der Pressekonferenz ab:

"Mit meinen zwei oder drei Mitarbeitern kann ich keine Kontrolle über den Pool von 10 000 Betten und hunderten von Stationen leisten." (SSK, 1980, S. 9)

Und er bezeichnete die Fesselung von Menschen als "sachgerechte Fixierung zum Wohle der betroffenen Kranken. " Das ist der Kulenkampff, der den Vorsitz in der Psychiatrie-Enquête-Kommission hatte , die über die menschenunwürdigen Zustände jammert.

Der Landschaftsverband strengte gegen die Besetzer ein Verfahren wegen Hausfriedensbruch an. Die Besetzer boten jedoch über 100 Beweismittel dafür an, dass sie in berechtigter Notwehr gehandelt hätten. Der Richter verurteilte dennoch den Hausfriedensbruch aufs Schärfste. Bedeutet dies, dass die Bürger tatenlos zusehen müssen, wenn Tag für Tag Menschen misshandelt und rechtswidrig verletzt werden, nur weil es der Staat ist, der es tut? Weil sein "Hausfrieden" sonst bricht?

Aber auch Ärzte bleiben inzwischen nicht mehr tatenlos. Im Fall des "unruhigen Adler" zeigten Aufnahmearzt und Anstaltsleiter von Bedburg-Hau ihre Kollegen von der "Modellklinik" der Essener Universität an. Sie hatten Peter Adler zur größten Irrenanstalt Europas mit 3 200 Insassen abgeschoben und für den Transport "zu Tode beruhigt". (Beschwerdezentrum Psychiatrie Bonn, 1981, S. 13)

4.2. Erfahrungsbericht über die gemeinsame Initiative zum Aufbau des Psychiatrie-Beschwerdezentrums Berlin

Das erste Beschwerdezentrum hatte 1977 der SSK in Köln gegründet (siehe Punkt 4.1.2. dieser Arbeit). Inzwischen (September 1981) gibt es 18 Beschwerdezentren in der BRD und Westberlin. Die Adressen findet der/die Leser/in am Ende dieser Arbeit.


4.2.1. Entstehung im KommunikationszentRUM Friedenau

Wie Ver-rückte anstelle der Anstalt einen Ort zum Leben brauchen, so braucht ein Beschwerdezentrum einen geeigneten Ort zur Entstehung. In Berlin war dieser Ort das KommRum Friedenau, das sich selbst als alternatives Projekt, als "selbstverwaltetes und unabhängiges Kommunikationszentrum" (neuestes Selbstdarstellungs-Faltblatt) bezeichnet.

Das KommRum hat sich aus einer Gruppe unterschiedlicher Leute entwickelt, die sich anfangs wöchentlich im Center für Psychotherapien in der Mommsenstr. 52 trafen. [In der Gesellschaft für soziale Psychotherapie und Beratung e.V. (GSPB), da zwei Mitglieder langjährige Therapeuten und Berater im Center gewesen sind (vgl. STATTBUCH, S. 468, gspb-info, Sonderausgabe 2/80, S. 11 ff.).] Nach einem Jahr Arbeit am Konzept und seiner Realisierung haben die dann 25 Mitglieder in der Schnackenburgstr. 4 ein zweigeschossiges, kleineres Fabrikgebäude als Ort für Kommunikation gefunden. In viel Eigeninitiative machten sie sich an den Umbau und die Einrichtung und konnten im Februar 1980 für die Besucher, Gäste und Interessierten öffnen.

Vier Arbeitsbereiche bilden die innere Struktur und Organisation: Psychotherapie und Beratung, Selbsthilfe und Selbsterfahrung, Cafeteria und Psychiatrische Aktion (Siehe den von mir [K.D.] zusammengestellten Organisationsplan. Stark umrandet sind die Treffen, an denen ich seit Juni 80 teilgenommen habe.)


Von Anfang an bietet KommRum kostenlose psychologische und soziale Beratung einmal wöchentlich (Mittwoch 17 bis 19 Uhr) an, zu der jedermann/frau ohne Anmeldung kommen kann. Zu dieser Zeit kann auch über Therapiemöglichkeiten gesprochen werden und häufig ein weiterer Gesprächstermin ausgemacht werden; denn es sind immer mindestens zwei Therapeuten bei der Beratung dabei.

Im Bereich Selbsthilfe und Selbsterfahrung entstanden schon am Anfang Gruppen wie Yoga, Pantomime, Massage, später Meditation u. a. Viele Gruppen wurden im KommRum initiiert, treffen sich aber inzwischen in anderen (Privat-) Räumen. Jeden zweiten Monat gibt es ein Treffen, um neue Selbsthilfegruppen zu bilden. Die Cafeteria erforderte und erfordert den größten Einsatz für Umbau, Einrichtung und Betrieb, der am 3. August 1980 aufgenommen wurde. Bisher ist es ein Mitglieder- und Freunde-Café, soll aber ein öffentliches Café werden (dann ist Werbung möglich). Die Cafeteria gilt als Herzstück des KommRum. Hier ist die breiteste und umfangreichste Möglichkeit " das Café ist jeden Tag (außer Montag) 6 Stunden, von 16 bis 22 Uhr, geöffnet " für offene unstrukturierte Begegnung. Ich halte es für wünschenswert, vielleicht gar für notwendig, dass ständig mehr als die jetzigen zwei Mitarbeiter (KommRumies) im Café sind. Dafür sprechen die Erfahrungen aus dem Treffpunkt Waldstr., wo während der Öffnungszeiten in der Regel sechs Mitarbeiter im Treffpunkt sind und bei Bedarf auch Information und Beratung geben.

Die Psychiatrische Aktion entstand aus der Diskussion über das Konzept vom KommRum, sie

"ist ein Treffpunkt für Menschen, die in irgendeiner Form " als Patienten, als Mitarbeiter oder als einfühlsame Menschen " mit der Psychiatrie zu tun haben. Erste Ziele sind dabei der Aufbau eines Patientenclubs, die Übernahme und Vermittlung von Patenschaften und die Organisation wirksamer Öffentlichkeitsarbeit." (Selbstdarstellung im STATTBUCH 2, S. 468)

Darüberhinaus ist geplant, z. B. angeleitete Kontaktgruppen
zu bilden,

"die gemeinsame Freizeitgestaltung und Aktivitäten ermöglichen, dabei Rücksicht auf die Ängste und momentanen Grenzen ihrer Mitglieder nehmen – vielen wird einfach genügen, dabei sein zu können, ohne persönlich gefordert zu sein." (gspb-info 2/80, S. 33)

Weiter regelmäßige Tanz- und Vergnügungsveranstaltungen, Klinikbesuche organisieren, längerfristig vielleicht Wohngemeinschaften einzurichten und in Krisensituationen dafür zu sorgen, dass insbesondere langfristige Klinikaufenthalte vermieden werden, wenn schon nicht jeder Klinikaufenthalt verhindert werden kann.

Zur wirksamen Öffentlichkeitsarbeit soll es auch gehören, bestehende Missstände aufzugreifen, und mit dazu beizutragen,

"daß man sich nicht mehr verstecken muß, wenn man persönliche Krisen erlebt, "verrückt" oder depressiv ist; stattdessen wollen wir klarstellen, daß diese Menschen nur die Spitze des Eisberges des alltäglichen Elends bilden, das sonst eben durch Alkohol, Tabletten etc. kaschiert wird." (gspb-info 2/80, S. 33)

Dazu geeignete Formen müssen entwickelt werden, wie eigene Zeitung, Pressekontakte, Straßentheater ...

Wir wollen auch mit allen Initiativen zusammenarbeiten, die sich für eine Verbesserung der Lage der Psychiatrie einsetzen.
Denen, die in der Psychiatrie arbeiten, wollen wir nicht

"die Verantwortung für das gegenwärtige Elend zuschieben, sondern mit ihnen zusammen gegen die unmenschliche Struktur der "psychiatrischen Versorgung" und gegen die Bedingungen, die die Ausgrenzung Auffälliger für ihr Weiterbestehen brauchen," angehen. (gspb, 2/80, S. 33)

So kam es darauf an, zunächst die Psychiatrie-Betroffenen im weitesten Sinne gezielt anzusprechen. Das geschah im Mai 1980 durch Einladung zum 1. Psychiatrie-Betroffenen-Treffen bei Kaffee & Kuchen im KommRum, an alle Kliniken und an alle informell bekannten Interessierten. Darüberhinaus hat sich das KommRum auf dem Gesundheitstag Berlin 1980 sowie bei den Psychologischen Instituten und bei der Berliner Gesellschaft für soziale Psychiatrie (BGSP) dargestellt.

Auf dem 2. Psychiatrie-Betroffenen-Treffen am 7.6.80 entwickelte sich zu dem Ziel Patientenclub die Alternative: Nicht KommRum-Arbeiter, sondern die anwesenden Insassen und ehemaligen Insassen ergriffen die Initiative zu einer Patienten-Selbsthilfe-Gruppe oder -Verein. Sie machten deutlich, dass sie unter sich sein wollten, und bestanden darauf, gegen die Wünsche von sogenannten "Professionellen", wozu sie und ich in diesem Zusammenhang auch Studenten rechnen.

Ich sah für mich ein, dass die 12 Tage, die ich 1969 in der Universitäts-Nervenklinik in der Nußbaumallee verbrachte, zu weit zurückliegen und ich als Psychologie-Student und mit meiner eineinhalbjährigen praktischen Arbeit im Treffpunkt Waldstr. doch mehr

"Professioneller" war. Ich fand es wichtig, dass Professionelle umgekehrt von denen ausgeschlossen werden, die die Gesellschaft ausgeschlossen hat. Darüberhinaus stimmte ich ihnen auf diesem Treffen zu, dass etwas anderes abläuft, wenn "Professionelle" dabei sind. Die Patienten haben reichlich (negative) Erfahrungen damit gemacht und wollen endlich neue, andere eigene Erfahrungen machen, von denen sie sich mehr versprechen. Sie vermittelten auch, dass sie zunächst unter sich sein wollten und das nicht immer so bleiben müsste, da auch andere Möglichkeiten und Orte der Zusammenarbeit und des Zusammenseins bestünden und weiter entwickelt werden sollten.

Die Patienten-Selbsthilfe-Gruppe traf sich zum ersten Mal am 23.6. und seitdem jeden Montag um 19 Uhr. In den Gesprächen dort und in der sogenannten Helfergruppe der "Ausgeschlossenen" über die Selbstdarstellung zur Veröffentlichung im STATT- BUCH 2 entstand der Name Irren-Offensive. Der gemeinsame Kampf gegen die Diskriminierung der "psychisch Kranken" (Vgl. Selbstdarstellung) soll auch durch den selbstgewählten Namen unterstützt werden; denn wer sich zu seinem Irresein, seinem Wahnsinn, seinem Ver-rückt-sein (zu dieser wahnsinnigen Gesellschaft) bekennt, kann nicht mehr so leicht diskriminiert werden, jedenfalls nicht mehr durch die einfache Bezeichnung. Ist es Diskriminierung oder Zensur, dass er im STATTBUCH nicht erschien, von uns aber eingereicht wurde? Deshalb soll er jedenfalls hier erscheinen:

Der letzte Irren-Witz:
Fragt ein Normaler einen Verrückten im Irrenhaus:
"Wieviel psychisch Kranke gibt es denn insgesamt?" Fragt der Verrückte: "Wieviel seid Ihr denn draußen?"
(steht in der selbst herausgegebenen Zeitschrift "Die Irren-Offensive", Sept. 1981, Nr. 1, S.44)

Auf demselben Treffen am 7.6.80 beschlossen die von den Insassen ausgeschlossenen "Professionellen" eine eigene Gruppe zu bilden: Die hilflose Helfergruppe, aus der sich das Psychiatrie-Beschwerdezentrum Berlin entwickelt hat, wie ich unter Punkt 4.2.2.1. noch darstellen werde.

Einschub: Wie ich im KommRum den Segen für diese Diplomarbeit bekam

In der Diplomarbeit wollte ich über gemeinsame Erfahrungen schreiben, an denen ich selber beteiligt war, die aus meiner praktischen Mitarbeit an der Alternative zur herrschenden Psychiatrie fließen. In den Psychiatrie-Betroffenen-Treffen im KommRum hatte ich einen Ort gefunden, wo (ehemalige) Anstaltsinsassen, die sonst passiv gehalten werden, aktiv sind und die Irren-Offensive gründeten. Ich war begeistert, hier wollte ich auch mitmachen. Meine Mitarbeit wollte ich mit der Diplomarbeit verbinden.

Wie und wo konnte ich nun meine Idee anbringen? Auf dem 3. Treffen der Psychiatrie-Betroffenen am 5.7.80 wollte ich davon reden, aber angesichts der vielen Aktivitäten, von denen die vier Gruppen in diesem Bereich berichteten, und der kontroversen Diskussion um ein Benutzungsentgelt ans KommRum, hielt ich mein Vorhaben für zu unwichtig bzw. ich traute mich nicht, es einzubringen. Lediglich mit einzelnen Leuten redete ich am Rande dieses Treffens darüber und bekam positive Resonanz.

Dadurch ermuntert, sprach ich meine Idee auf den folgenden Bereichssitzungen der Psychiatrischen Aktion am 11., 18. und

25.7.80 an. Viele fragten interessiert nach und machten deutlich, dass sie auch etwas davon haben möchten. Sie stimmten meiner

Absicht zu, dass die Auseinandersetzung mit der Arbeit dieses Bereichs ein Teil meiner Diplomarbeit werden sollte. Jedoch musste das gesamte KommRum-Projekt noch seine Zustimmung geben. Eine KommRum-Mitarbeiterin des Bereichs Psychiatrische Aktion stellte meine Diplomarbeit auf den nicht-öffentlichen Plena vom

14. und 21.7.80 vor; aber es gab keine Diskussion (nur das letzte Plenum im Monat ist öffentlich, siehe Organisationsplan).

Um die Diskussion auf dem öffentlichen KommRum-Plenum vom 28.7.80 vorzubereiten, hatte ich ein Schreiben verfasst, um es im Büro aufzuhängen. Darin hatte ich meine Motivation und das Thema der Arbeit dargestellt und deutlich gemacht, dass ich kein Eindringling oder Ausforscher sein will, sondern mit ihnen zu gemeinsamen Gesprächen und Handlungen kommen möchte. Auf Anraten eines vom Studium her bekannten KommRummies hing ich das Schreiben wieder ab. Er machte mir deutlich, dass meine Diplomarbeit für sie das Unwichtigste sei, wenn man bedenke, was an Wichtigem auf den Plena nicht behandelt werden könne.

Auf dem Plenum vom 28.7.80 bringt eine KommRum-Mitarbeiterin, die zugleich an der TU Assistentin ist, meine Diplomarbeit auf die Tagesordnung, in der sie die vorletzte Priorität (Punkt 7 vor Praktikantenstelle) erhält. Dieser Punkt wird aus Zeitgründen,

d. h. wegen (relativer) Unwichtigkeit, nicht mehr behandelt. Ich stimme zu, dass durch meine Diplomarbeit nicht der Tagesord- nungspunkt "Persönliches" verdrängt oder gekürzt wird.

Anschließend ans Plenum gehe ich auf die Assistentin zu, um ihre Neugierde (?) zu befriedigen. Sie war verwundert bis verärgert, dass sie hintenherum, vom Institut her, von meinem Vorhaben erfahren hatte. Sie meinte, dass noch andere KommRummies Diplom- und Doktorarbeiten über das KommRum schreiben wollten. Mit einigen hatte ich darüber schon diskutiert und im Übrigen meine ich, dass ich mit meiner Arbeit niemandem etwas wegnehme.

Ein anderer KommRummie drückt seine Befürchtung aus, durch meine Diplomarbeit könnten Informationen aus dem KommRum an falsche Stellen geraten und dem KommRum schaden. Ich nehme seine Befürchtung ernst, und meine, andererseits bestehe die Gefahr der Isolation, wenn alternative Projekte zu sehr darauf bedacht sind, dass nichts nach außen dringt. Mir macht es Hoffnung, wenn ich erfahre, was andere schon erreicht haben. Wir kommen uns in dem Gespräch näher. Jetzt hat er nichts mehr gegen meine Diplomarbeit im KommRum.

Als ich auf das nächste öffentliche KommRum-Plenum am 25.8.80 kam, war es fast schon zu Ende. Sie hatten das Plenum um zwei Stunden vorverlegt, ohne diese Änderung auch öffentlich bekannt zu machen. Sie hatten die Öffentlichkeit und mich "vergessen".

Beim nächsten Plenum war ich verhindert, so dass ich endlich nach drei Monaten am 27.10.80 meine Diplomarbeit als Tages-ordnungspunkt mit der Bemerkung einbrachte, dass er schon einmal nicht behandelt wurde. Als dies jetzt wieder droht, setzten sich jedoch KommRummies für mich ein, die ich schon länger kannte. Ich schilderte mein Vorhaben, machte deutlich, dass es sich im Wesentlichen auf den Bereich Psychiatrische Aktion beschränke und sich insoweit von den Absichten anderer Komm-Rummies unterscheidet, die das ganze KommRum zum Thema machen wollen. Ich begründete das damit, dass ich selber erfahren möchte, worüber ich schreibe, und beim ganzen Komm-Rum nicht durchblicke. Ich wolle auch eine Forschungsmethode anwenden, die nicht hart eingreife, aber dennoch Erkenntnisse hervorbringe.

Darüber hinaus sei meine Diplomarbeit in den Sitzungen der Psychiatrischen Aktion und der Unterstützergruppe diskutiert worden ... und solle es weiterhin.

Nach der früher kritisch bis ablehnenden Haltung, die ich vermittelt spürte, überraschte mich, dass auch auf meine Nachfrage hin, niemand auch nur die leisesten Bedenken anmeldete, einige sogar konkretes Interesse zeigten.

Einschub: Eine Idee nimmt Gestalt an

Aus meinem Anliegen, gemeinsam mit Betroffenen an der Alternative zur herrschenden Psychiatrie zu arbeiten, folgte, dass ich den anderen nichts aufzwinge, z. B. durch eine vorgegebene (Forschungs-)Aufgabe, vielmehr, dass wir die Ziele gemeinsam entwickeln und zu erreichen trachten.

Auf dem 2. Psychiatrie-Betroffenen-Treffen wurde die Wut der (ehemaligen) Insassen über die Zwangsbehandlung mit "Medikamenten" produktiv: Sie schlossen sich zu einer Patienten-Selbsthilfegruppe zusammen, wollten ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Ihr Kampf gegen die herrschende Psychiatrie fand später auch Ausdruck in ihrem selbstgewählten Namen: Irren-Offensive. Ich war begeistert, über diese Alternative wollte ich meine Diplomarbeit schreiben. Von dieser Absicht kam ich aus mehreren Gründen ab:

– Damals war ich als Mitarbeiter im Treffpunkt Waldstr. sogenannter Professioneller und stand dadurch den Betroffenen gegenüber.

– Deswegen wurde ich damals nicht Mitglied in der Irren-Offensive (ich trat erst am 8.6.81 ein). Es fehlte also an der direkten gemeinsamen Arbeit.

– Mit der Diplomarbeit wollte ich auch meine Berufsrolle klären und erfahren, inwieweit gemeinsame Arbeit mit (ehemaligen) Insassen an der Alternative zur herrschenden Psychiatrie möglich ist und inwieweit meine Berufsrolle einer solchen Arbeit im Wege steht bzw. wie ich sie verändern muss. Die Patienten-Selbsthilfegruppe, später Irren-Offensive, wollte und will aber unter sich sein und keine Profis, Therapeuten, Helfer usw., auch keine entsprechenden Studenten, aufnehmen.

Also gründete ich zusammen mit anderen "Profis", vorwiegend Studenten, die (hilflose) Helfergruppe, später Unterstützergruppe der Irren-Offensive und schließlich Initiative Beschwerdezentrum. Hier hoffte ich, meine Studien und praktischen Erfahrungen wirkungsvoller einsetzen zu können und auch mit der Diplomarbeit einen wertvollen Beitrag zu liefern. Als gemeinsames Ziel hatten wir den Aufbau des Beschwerdezentrums entwickelt (Punkt 4.2.2.1.).

Um Informationen für die Diplomarbeit zu bekommen, verbieten sich gemäß dem Anspruch der Aktionsforschung harte Eingriffe. Ich wollte auch solche Eingriffe vermeiden, die den Gruppenmitgliedern zusätzliche Arbeit machen, wie z. B. Fragebögen ausfüllen. Außerdem halte ich es für unzulässig, Außenstehende an der Auswertung zu beteiligen, insbesondere auch wegen der schon mir gegenüber geäußerten Ablehnung: "Ich habe keine Lust, das (in der Diskussion am 27.3.81 Gesagte, Zus. K. D.) 'nem Professor in die Hand zu geben." Daraus folgte meine Absicht, daraus zu schöpfen, dass ich regelmäßig an den Gruppen/Beschwerdezentrums-sitzungen und ihren Aktionen teilnahm. Darüber hinaus ergab sich die Notwendigkeit eines Protokolls aus der Gruppe: Zum besseren Anschluss an die vorige Sitzung, zum Festhalten der Aufgabenverteilung, dessen, was wir planen, und was daraus geworden ist, zur Information für neu Hinzukommende und vorübergehend Verhinderte.

Die in den Sitzungen angefertigten Protokolle und meine zusätzlichen Gedächtnisprotokolle aus dem Zeitraum Juni 80 bis Januar 81 nahm ich mir vor, um in der Rückschau herauszufinden, über welche Themenschwerpunkte wir mit welchen Ergebnissen und welcher Entwicklung diskutiert hatten, welche Aufgaben und Ziele wir entwickelt haben, wie und wieweit wir sie erreicht und verändert haben. Dabei bekam ich einerseits den Eindruck, dass die Gruppe mehr geleistet hatte, als es sich im Gefühl der Mitglieder widerspiegelte, andererseits, dass sich die Gruppe in einem ständigen Selbstfindungsprozess befand, der sich immer weiterentwickelte. Mit diesem Prozess setzte ich mich näher auseinander und strukturierte ihn unter dem Hauptmoment "Entwicklung des Selbstverständnisses" in die, besonders seit unseren regelmäßigen Anstaltsbesuchen, immer wieder zentralen Fragen:

– Als wer oder was treten wir auf?

– Was wollen wir mit unseren Besuchen in der Irrenanstalt?

– Welches Verhältnis wollen wir zum Anstaltspersonal?


4.2.2. Entwicklung der Initiative

4.2.2.1. Entwicklung des Selbstverständnisses

Am Anfang hatte die Gruppe, aus der sich das Beschwerdezentrum entwickelte, das Bewusstsein von hilflosen Helfern. So nannten wir uns, als auf dem 2. Psychiatrie-Betroffenen-Treffen am

7.6.80 die (ehemaligen) Insassen unter sich sein, eine Patienten-Selbsthilfegruppe bilden wollten und erstmal die "Helfer" ausschlossen (siehe Punkt 4.2.1.). Als sich die hilflosen Helfer am 22.6.80 das erste Mal trafen, tauschten sie ihre Erfahrungen mit Psychiatrie, von der sie sich alle betroffen fühlten, aus. Es waren überwiegend theoretische Erfahrungen und solche, von denen andere berichtet hatten. Viele waren enttäuscht, dass die Psychiatrie-Enquête, in der die menschenunwürdigen Bedingungen in den Irrenanstalten der BRD und die Missstände beschrieben und offiziell öffentlich gemacht wurden, so wenig in Bewegung gebracht hatten. Viele waren von dem Kampf und den Erfolgen der Demokratischen Psychiatrie in Italien begeistert. Der Schwung Franco Basaglias auf dem Gesundheitstag und die ganze Bewegung auf dem Gesundheitstag hatte auch vielen von uns Mut und Kraft gegeben, hier in Berlin den Kampf gegen die Irrenanstalten (zusammen mit den Opfern) zu verstärken.

Die Insassen schilderten ihre Situation der Rechtlosigkeit und forderten uns auf, die rechtliche Situation in den Irrenanstalten zu untersuchen. Wir nahmen diese Aufforderung auf und beschlossen, uns in das (Un)Recht einzuarbeiten, um Auskünfte geben zu können und um die Grundlage zu schaffen, dass Insassen sich nicht alles gefallen lassen müssen.

Bei der Selbstdarstellung der Irren-Offensive (STATTBUCH 2, S. 487), wie sich die Patienten-Selbsthilfegruppe jetzt nannte für das Stattbuch 2 arbeiteten ehemalige Insassen und Helfer zusammen und stellten fest, dass sie an gleichen Zielen arbeiteten, wie Beschwerdestelle einrichten und Wohnmöglichkeiten, insbesondere Wohngemeinschaften, schaffen. Daraus entwickelte sich die Notwendigkeit der Zusammenarbeit, zu der sich beide Gruppen mit der Bereichsgruppe Psychiatrische Aktion des KommRum einmal im Monat treffen. Auf dem 1. Treffen am 13.7.80 entstand nach der Begeisterung über den Namen Irren-Offensive für uns der Name Unterstützergruppe der Irren-Offensive, der das neue Selbstverständnis ausdrückt.

Um eine Beschwerdestelle aufzubauen, wollten wir die Erfahrungen anderer Initiativen nutzen, die schon weiter waren in ihrer Arbeit. Dabei stießen wir auf den SSK (Sozialistische Selbsthilfe Köln), der im Sommer 1977 das 1. Beschwerdezentrum gegen Verbrechen in den Landeskrankenhäusern gründete (siehe Punkt

4.1.1. und 4.1.2.). Drei von uns – Adam, der bei der Tonbanddiskussion am 27.3.81 dabei war, Werner Fuß, der vom SSK nach 12½ Jahren Anstalt befreit worden war und dann dort ¾ Jahr lebte, bevor er nach Berlin kam, und ich – haben vom 19. bis 26.9.80 beim SSK gelebt und mitgearbeitet. Wir waren begeistert über die Erfolge des SSK und haben auch das harte Leben kennengelernt und die Schwierigkeiten, miteinander umzugehen, u. a. unter den finanziellen Bedingungen, die denen von Sozialhilfeempfängern vergleichbar sind. Kern des Selbstverständnisses des SSK ist gemeinsam leben, arbeiten und kämpfen (Unbequeme Nachrichten, Nr. 10, 1980, S. 2).

Für uns trifft höchstens gemeinsam kämpfen zu. Wir werden deshalb derzeit nicht so schlagkräftig sein können, es sei denn, wir haben die

Unterstützung einer ebenso entschlossenen und kampfkräftigen Gruppe wie der SSK. In Berlin sehe ich da nur die Instandbesetzer, die ebenso wie der SSK in besetzten Häusern wohnen und gemeinsame Arbeit anstreben. Bisher engagieren sie sich (nur) für Knackis und gegen den Knast. Vielleicht können wir sie für den Kampf gegen die Irrenanstalten motivieren, und wir uns für die Hausbesetzungen. So war der Diskussionsstand im Oktober 1980, die weitere Entwicklung siehe Punkt 4.2.4.

Vom SSK und Beschwerdezentrum Psychiatrie Bonn haben wir auch erfahren, dass es wichtig ist, in die Irrenanstalten hineinzugehen, Insassen zu besuchen, und zwar regelmäßig. Ohne das bleibt Öffentlichkeitsarbeit weitgehend wirkungslos. Vorher hatten wir uns durch Flugblattaktionen und Selbstdarstellungen in der Presse bekannt machen wollen. Seit Oktober 1980 machen wir regelmäßig einmal in der Woche Besuche in der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik, (KBoN oder Bonnies Ranch für Insider) weil sie die größte Anstalt in Westberlin ist und dort die Verhältnisse am schlimmsten sind (vgl. Tagesspiegel vom 24.5.79, S. 10, "Verwahrt und zu künstlicher Harmlosigkeit degradiert" von Otto Höffmann).

4.2.2.1.1. Als wer oder was treten wir auf?

Als sog. Privatperson, die jemanden besucht? Oder als Beschwerdezentrum? Oder als KommRum?

In der Diskussion am 2.11.80 in der Unterstützergruppe machten wir uns klar, dass wir nicht als KommRum auftreten.

Das hatte schon zu Schwierigkeiten zwischen der Irren-Offensive und dem KommRum geführt. Ebenso wie die Irren-Offensive sind wir eine selbständige und unabhängige Gruppe, die sich im KommRum gebildet hat, dessen Räume benutzt und mit dem KommRum kooperiert, aber nicht rechenschaftspflichtig oder gar dem KommRum gegenüber weisungsgebunden ist.

Wir einigten uns darauf, zunächst als an Psychiatrie-Patienten Interessierte Bürger aufzutreten und auf unserem Besuchsrecht zu bestehen, für das wir uns nicht legitimieren müssen. Im Gegenteil müssen Beschäftigte begründen, wenn sie einen Besuch oder den Zutritt verweigern wollen. In einem solchen Fall sollten wir eine schriftliche Ablehnungsbegründung fordern.

Steht die Frage, wer wir sind, nicht in Zusammenhang mit der Genehmigung, Verweigerung oder Schwierigkeiten machen undbesteht ehrliches Interesse, sagen wir, dass wir Helfer einer Patienten-Selbsthilfegruppe sind, und laden sie zu unserer Gruppe und ins KommRum-Cafe ein.

Den Insassen gegenüber sagen wir immer offen, dass wir ein Beschwerdezentrum aufbauen wollen.

Die erste schriftliche Selbstdarstellung diskutierten wir am 9.11.80 anhand einer Vorlage eines Gruppenmitgliedes. Wir einigten uns auf den neuen Namen INITIATIVE BESCHWERDEZENTRUM PSYCHIATRIE (Berlin) IM KOMMRUM und verabschiedeten die geänderte Formulierung zur Veröffentlichung in der "Initiative-Zeitung für Menschen aus der Krankenpflege". Daraus geht hervor, dass wir mit unserer Kritik an den psychiatrischen Verwahranstalten nicht zurückhalten, dass wir sagen, was wir machen: Patientenbesuche vor allem in der KBoN, Kontakte zu KommRum und zu Rechtsanwälten herstellen; und was wir machen wollen: Jeder Beschwerde nachgehen, soweit uns das möglich ist, bei den zuständigen Stellen in den Kliniken und bei der Verwaltung intervenieren, gegebenenfalls bei Gerichtsverfahren unterstützen und gleichzeitig durch intensive Öffentlichkeitsarbeit die Zustände in den psychiatrischen Kliniken bekannt machen.

Als wir nach der Besuchszeit einen Insassen besuchen wollten, der wegen Heroingebrauchs einsitzt, fragte uns der Pfleger in der Auseinandersetzung, mit dem Insassen reden zu wollen, ob wir von einer Drogenberatungsstelle kommen. Wenn wir Professionelle sind, sollen wir leichter Zugang bekommen. Wir haben als Bürger und Betroffene mit dem Insassen geredet. In der anschließenden Diskussion am 16.11.80 fand dieses Vorgehen Bestätigung. Wir wollen uns nicht als Professionelle legitimieren müssen. Dadurch schlössen wir Nicht-Professionelle, also insbesondere viele (ehemalige) Insassen von der gleichberechtigten, aktiven Arbeit aus.

Darüberhinaus sind wir der Meinung, dass sie das Leid und die Missstände eher besser beurteilen können, als sog. Professionelle. Öffentlich aufgetreten sind wir das erste Mal am 9.12.80, um Peter Lehmann auf seiner Pressekonferenz zur Vorbereitung seines Prozesses gegen die FU-Psychiatrie, Nußbaumallee, um Einsichtnahme in seine eigene Krankenakte zu unterstützen und uns selbst darzustellen. Die Bedenken, mehr darzustellen, als wir sind, zerstreuten wir in unserer Diskussion am 30.11. und 5.12.80. Dazu verhalfen uns auch Peters übrige Erfahrungen mit Öffentlichkeitsarbeit, die darauf hinauslaufen, dass nur massive Darstellungen überhaupt die Chance haben, eine Reaktion in der bürgerlichen Presse hervorzurufen. Dieses Auftreten ist Beispiel dafür, dass wir ehemalige Insassen in ihrem Kampf gegen Entmündigung und Diskriminierung unterstützen. Wir waren auch am 15.12.80 mit auf dem Landgericht, wo das Auftreten von ca. 30 Psychiatriegegnern als Sensation angesehen wurde.

(Die ganze Geschichte war am 1.2.81 von 20.15 bis 21.00 Uhr im Fernsehen, SFB 3, zu sehen. Die FU-Psychiatrie wurde verurteilt und geht in Berufung, weil sie verzögern will und weiß, dass es um Grundsätzliches, das Verhältnis von Patient und Arzt, geht.)

Weil Alinsky darauf hinweist, dass die Aktion Spaß machen muss, um Schwung zu geben und zu erhalten, brachte ich am

11.1.81 seine "Nicht besonders anständigen Regeln" konfliktorientierter Strategien (Alinsky, 1974 S. 113) in die Diskussion:

„ Macht ist nicht nur das, was man hat, sondern das, von dem der Gegner glaubt, daß man es habe.

Spott ist die mächtigste Waffe des Menschen. Er verführt die Gegenpartei zu falschem Verhalten und deckt ihre Schwäche auf. Denn:

Die eigentliche Aktion besteht in der Reaktion des Gegners. Ein sorgfältig angereizter Gegner wird durch seine wütende Reaktion zur größten Stärke der Bürgerbewegung.

Eine gute Taktik ist die, die den Mitgliedern der Gruppe Spaß macht. Solange man lachen und sich freuen kann, wird der Wille zur Aktion nicht erlahmen. Ständige Aktion ist unbedingt Notwendig, denn:

Der Druck darf niemals nachlassen. Ständiger Druck führt zu Fehlreaktionen des Gegners und unterstützt die eigene Aktion.

Die Drohung hat in der Regel mehr abschreckende Wirkung als die Sache selbst. Wenn man geschickt durchsickern läßt, was man plant, spart man sich oft die Aktion, weil der Gegner schon vorher Angst kriegt und nachgibt.

Suche Dir eine Zielscheibe, personalisiere sie und schieß Dich auf sie ein. Es ist sinnlos, anonyme Verwaltungen, Konzerne oder ganze Systeme anzugreifen: ein gezielter Angriff verpufft zu leicht in den bürokratisch organisierten Vorgängen großer Einheiten. Es hilft deshalb zur Forcierung der Polarisation, wenn man eine Person herausnimmt und sie von allen Seiten beschießt: mit gezielten Argumenten, mit Spott und Ironie, mit plötzlichen Aktionen oder mit langfristigen Strategien. "Wenn man sich allerdings auf ein Ziel einschießt, dann trifft man auch alle die Nebenfiguren, weil sie der Zielscheibe zu Hilfe kommen wollen."

Daraus entwickelte sich, das wir beim nächsten Mal zu sechst auf die geschlossene Station 1 a gingen, wobei der ersten Dreiergruppe kurz darauf die zweite folgte. Bis dahin waren wir immer zu zweit auf Station gegangen. In der vorherigen Diskussion gab es auch das Gegenargument, sachlich arbeiten zu wollen, und die Befürchtung, sich dadurch Informationsquellen zu versperren.

Entsprechend der Einschätzung Alinskys

" Macht ist nicht nur das, was man hat, sondern das, von dem der Gegner glaubt, daß man es habe." (1974, S. 113)

könnte folgerichtig sein, als Beschwerdezentrum aufzutreten. Die meisten von uns hielten es für überzogen, als Beschwerdezentrum aufzutreten, sie befürchteten, dass wir uns lächerlich machen, und hielten es für vorteilhafter, als "Privatpersonen" aufzutreten, und die Beschäftigten im Unsicheren zu lassen. Mir ist das nicht gelungen, weil mich ein Psychiater erkannte, der im KommRum gewesen war. Zudem hielt ich es für notwendig, ihm den Unterschied zwischen KommRum und Beschwerdezentrum klarzumachen.

Für das Treffen der Beschwerdezentren vom 6. bis 8.2.81 in Tübingen hatte ich unsere Selbstdarstellung auf den neuesten Stand gebracht: Da einige Interessierte zu unserem bisherigen Sonntagstreffen nicht kommen konnten, haben wir unser Treffen auf freitags, 18 Uhr verlegt. Für Spenden haben wir ein Konto eingerichtet:


Postscheck 316 36 – 102 Berlin West, Psychiatrie-Beschwerdezentrum, Werner Eberwein. Außerdem habe ich das in der Diskussion befindliche Beschwerdetelefon 851 90 25 angegeben.

Außer mehr stilistischen Änderungen und Ergänzungen habe ich den Namen geändert: IRRENOFFENSIVE-BESCHWERDEZENTRUM IM KOMMRUM (Berlin). Dazu haben mich mehrere Überlegungen geführt: Zum einen hat die Irren-Offensive schon in ihrem ersten Flugblatt, das sie in den Irrenanstalten/Klapsen verteilte, geschrieben: "Bei uns landen Eure Beschwerden nicht im Papierkorb, Ihr könnt hier (im KommRum, Zus. K.D.) anrufen, uns schreiben oder persönlich zu uns kommen." Darüber hinaus führte diese gemeinsame Aufgabe u. a. zu dem gemeinsamen Treffen jeden ersten Sonntag im Monat.

Zum anderen arbeiten im Beschwerdezentrum jetzt überwiegend offensive Irre, das sind ehemalige oder jetzige Insassen, mit, wenn wir uns nicht alle als offensive Irre bezeichnen, bei unserem Versuch, das Irrenhaus abzuschaffen.

Dann scheint mir ein Psychiatrie-Beschwerdezentrum in Gefahr zu stehen, die herrschende Ausgrenzung von Psychiatrisierten und von Psychiatrie fortzusetzen. Mir ist klar, dass wir uns auf die Irrenanstalten konzentrieren müssen, um überhaupt etwas in Bewegung zu setzen. Das Ziel sollte aber ganz allgemein ein Beschwerdezentrum sein, so wie es sich beim SSK entwickelt hat, der jetzt auch z. B. bei Umweltverseuchung eingreift. Diese Möglichkeit lässt der Name IRRENOFFENSIVE-BESCHWERDEZENTRUM zu, bei dem nur angegeben ist, von wem die Initiative ausging.

Außerdem ist der neue Name schlagkräftiger, hat schon bei der Entstehung der Irren-Offensive begeistert. Dadurch wird der weiteren Diskriminierung entgegengetreten, Vgl. die Entwicklung


bei den Schwulen. Über meinen Namensvorschlag gab es keine Diskussion; er wurde in späteren Selbstdarstellungen nicht über- nommen (vergleiche die letzte Selbstdarstellung in: Beschwerdezentrum Psychiatrie Bonn, 1981, S. 34 f., die ich als Kopie auf Seite 245 einfüge).

4.2.2.1.2. Was wollen wir mit unseren Besuchen in der Irrenanstalt?

Unsere wöchentlichen Besuche in der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik gehen auf die Erfahrungen von SSK und Beschwerdezentrum Psychiatrie Bonn zurück. Wir wollen dadurch die Situation der Entrechtung (vergleiche Punkt 3.3.) kennenlernen und öffentlich machen und darauf hinwirken, dass auch in der Irrenanstalt Menschenrechte gelten. Die Aufforderung dazu bekamen wir von Insassen auf dem 2. Psychiatrie-Betroffenen-Treffen.

Insassen, die sie vom KommRum her kannten, haben einige aus der Gruppe schon in der Anstalt besucht; aber fremde Insassen zu besuchen, das stellen sich viele von uns als schwierig vor. Um ein Beschwerdezentrum aufzubauen, müssen wir möglichst alle Insassen besuchen, von denen wir gehört haben, dass sie ungerecht oder erst gar nicht behandelt wurden, die rauswollen oder die sich sonst wehren oder wehren wollen und dabei unsere Unterstützung brauchen. Um mit dieser Frage weiterzukommen, halte ich es für wichtig, dass alle aus der Unterstützergruppe in der nächsten Zeit sich an den Anstaltsbesuchen beteiligen. Ich schlage vor, dass jeweils donnerstags Leute zusammen hingehen, von denen einige sich schon jetzt zutrauen, neue Patienten zu besuchen, mit anderen, die dabei noch Schwierigkeiten sehen und sie dabei überwinden können.

Wir haben noch über den Unterschied zwischen einer Initiative zum
Aufbau eines Beschwerdezentrums und sogenannter Laienhelfergruppen diskutiert. Beide besuchen Insassen, aber mit un- terschiedlicher Wirkung: Die Laienhelfer machen den Patienten lediglich das Leben erträglicher und stehen dadurch in Gefahr, das Elend der Psychiatrie zu verlängern. Eine Beschwerdegruppe kann auch das Leben der Insassen erträglicher machen, aber indem sie gegen das Unrecht und die Unmenschlichkeit der Psychiatrie angeht. Dabei trägt die notwendige Aktivität der Insassen zur Verbesserung ihrer Lage in doppelter Weise bei. Einmal dadurch, dass sich die Lebensverhältnisse verändern, zum anderen durch die Erfahrung, dass sich durch die eigene Aktivität etwas verbessern lässt. Sich wehren stärkt. (Diskussion vom 2.11.80.)

Am 9.11.80 diskutierten wir kontrovers, ob wir uns auf das herausragende Unrecht und Elend konzentrieren sollten, oder auf das alltägliche. Der SSK hatte bisher seine größten Erfolge mit dem Anprangern von herausragendem Unrecht: Die Aufdeckung von zwei Todesfällen führte bekanntlich zur Schließung des "Landeskrankenhauses" Brauweiler (vergleiche Punkt 4.1.2.2).

Aber auch die alltäglichen Stürze auf der Gerontopsychiatrie (Altenabteilung) in Bonn hat der "Klinikspitze" im Gefolge der Sta- tionsbesetzung durch die Beschwerdezentren den Hals gebrochen. Einig wurden wir uns, dass wir uns auf bestimmte Häuser und Stationen konzentrieren wollen, dafür aber auf einen allgemeinen Überblick verzichten. Durch den Austausch mit der Bür- gerinitiative Festes Haus wurde uns klar, dass das Haus 5 für sogenannte psychisch kranke Straftäter darunter sein soll, die alleinige Konzentration darauf wurde nicht beschlossen. Mit unseren Besuchen stellen wir Kontakte zu Insassen her, die uns von anderen Insassen empfohlen für Besuche werden.

Diese Kontakte sind die Voraussetzung dafür, etwas über die Missstände und das Unrecht zu erfahren und die Insassen in ihrem Widerstand dagegen zu unterstützen. (Diskussion am 16.11.80).

Von Beschäftigten hören wir, wenn sie uns ansprechen, häufiger, wir sollten eine Art Patenschaft für bestimmte Insassen über- nehmen. Dabei ist zu befürchten, dass unser soziales Engagement schnell aufgesogen ist und uns keine Zeit und Kraft mehr bleibt zum Kämpfen. Wir wollen nicht riskieren, das Elend der Psychiatrie zu verlängern. Die Beschwerdezentrumsarbeit kann demnach sowohl für den einzelnen Insassen als auch für den Mitarbeiter eine menschliche Härte bedeuten, weil wir nur diejenigen unterstützen wollen, die sich schon wehren, sich wehren wollen, rauswollen oder sich die "Behandlung" nicht gefallen lassen wollen, und uns um die anderen nicht kümmern können. Schmerzlich komme ich zu der Erkenntnis, dass die systematische Unmenschlichkeit, die die Institution Irrenanstalt produziert, auch uns zu einem Stück Unmenschlichkeit zwingt, um überhaupt eine Wirkung auf diesen Gewaltapparat haben zu können.

Wir können in solchen Fällen das KommRum empfehlen, denn eines der Ziele der Psychiatrischen Aktion ist die Übernahme und Vermittlung von Patenschaften (siehe Punkt 4.2.1.). Insassen, die vom Beschwerdezentrum nicht weiter besucht werden können, könnten demnach vom KommRum übernommen oder vermittelt werden!

Bei der Diskussion dieses Teils meiner Arbeit in der Psychiatrischen Aktion am 11.9.81 waren Patenschaften kein Ziel mehr und Klinikbesuche ersetzt (?) durch Psychiatrie-Betroffenen-Treffen. Die Insassen sollen also kommen. Immer wieder diskutierten wir, so auch am 23.11.80, ob wir einzelne Insassen rausholen oder zuerst kennenlernen wollen, was auf den Stationen an Unmenschlichkeit herrscht. Die erste Alternative wäre die radikalere, weil dadurch Insassen von der Unmenschlichkeit der Irrenanstalt befreit würden. Sie forderte von uns aber, Wohn- und Lebensmöglichkeiten bereitzustellen. Dazu sind wir in aller Regel nicht in der Lage. Die zweite Alternative stellt uns dann vor hohe Anforderungen, wenn wir das Ziel haben, die Unmenschlichkeit zu beseitigen. Diese Aufgabe wird so lange bestehen bleiben, wie es noch Irrenanstalten gibt.

Realistisch betrachtet sind wir derzeit (Februar 1981) dabei, Informationen über das Unrecht in den Irrenanstalten zu sammeln, Informationen über Patientenrechte " soweit wir sie kennen " zu geben und die Insassen zu ermuntern, sie dabei zu un- terstützen, ihre Rechte wahrzunehmen. Um dabei wirkungsvoller zu sein, können jeweils einzelne von uns Vollmacht oder Pfleg- schaft übernehmen (siehe Punkt 4.2.3.1.).

Unsere gesammelten Informationen sollen dazu führen, das konkrete Elend in "Bonnies Ranch" (= Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik

/ KBoN) öffentlich zu machen, als wirksamen Schritt, es zu beseitigen. In der Diskussion über Ziele der KBoN-Besuche am 27.2.81 waren wir uns einig, dass es uns darum geht, Rechtsbrüche und Schweinereien aufzudecken und Insassen bei ihrem Widerstand dagegen zu unterstützen. Bisher haben wir verschiedene Insassen auf verschiedenen Stationen, aber wenig kontinuierlich bestimmte Insassen besucht. Einer von uns hielt es für notwendig, dass bestimmte Leute von uns Kontaktperson für bestimmte Insassen werden, um Beschwerden durchziehen zu können. Unterstützt wurde der Vorschlag durch das Argument, dass sich Vertrauen entwickeln muss und dazu dieselbe Person vom Beschwerdezentrum denselben Insassen regelmäßig besuchen muss.

Ich wandte ein, dass wir dadurch den Interessen der Psychiater Vorschub leisten könnten, die uns Insassen für jegliche Art von Betreuung und Therapie, so wörtlich "zur Verfügung stellen" wollen. Ich berichtete in diesem Zusammenhang von dem Versuch der Anstaltsleitung des "Landeskrankenhauses" Eickelborn, die Arbeit der Bielefelder Beschwerdestelle für Opfer von Verbrechen in Landeskrankenhäusern dadurch zu behindern, dass sie ihr eine besondere Besuchsregelung auferlegten. So

"wird dringend angeraten, den Besuch rechtzeitig schriftlich... mitzuteilen, damit Sie nicht vergeblich kommen, weil eine Zulassung nicht möglich sein könnte", weil "die Einwilligung des Vormundes" nicht vorliegt oder "wenn aus ärztl./psychologischer Sicht das psychische Befinden so akut gestört bzw. verändert ist, daß zur Vermeidung einer Verschlimmerung bzw. Heilungsverzögerung" "ein Besuch... unterbleiben (muB)" (Unbequeme Nachrichten, Ausgabe Westfalen-Lippe, Nr. 5, Okt. 1980, S. 2)

Außerdem unterstützen wir, so meine ich, als Gruppe, als Beschwerdezentrum, die Insassen in ihrem Widerstand und nicht als Einzelne. (Allein machen sie Dich ein!)

Als Ergebnis kam heraus, dass sich Einzelne von uns für bestimmte, uns schon bekannte Insassen als Kontaktperson zur Verfügung stellen und weitere Mitarbeiter sie abwechselnd bei ihren Besuchen begleiten. Im Hinterkopf wollen wir behalten, dass wir auch gegen Missstände vorgehen wollen, die mehr als einen Insassen betreffen, z. B. die weitere geschlossene Tür auf Station 1a, besondere Isolier-, sog. Gummizellen usw.


4.2.2.1.3. Welches Verhältnis Wollen wir zum Anstalts-Personal?

Als wir am 22.6.80 mit der Hilflosen-Helfer-Gruppe anfingen, waren wir die Restgruppe für Beschäftigte und weitere Interessierte, meistens Studenten, die nicht in der Irrenanstalt waren. Wir wünschten uns auch Beschäftigte aus den Berliner Irrenanstalten als Mitglieder. Das stellten wir deutlich heraus auf der gemeinsamen Sitzung mit Irren-Offensive und Psychiatrischer Aktion am 7.9.80, als wir erfuhren, dass sechs Krankenschwestern der FU-Psychiatrie, Nußbaumallee, gemein sam gekündigt hatten, weil sie dadurch große Schwierigkeiten bekommen haben, dass sie die Insassen geduzt und mit ihnen die Tagesberichte diskutiert hatten. Seit dieser Zeit arbeitet ein Student mit, der früher als Pfleger in der Nervenklinik Spandau gearbeitet hatte. Im Oktober/ November 80 arbeitete einer unserer Diplompsychologen "als Pfleger im Irrenhaus", wie er seinen Erfahrungsbericht überschreibt, um das Irrenhaus von innen zu erleben.

In der sehr gespannten Auseinandersetzung am 2.11.80 darüber, als wer wir auftreten und was wir mit unseren Anstaltsbesuchen wollen, haben wir uns auch über die Kontakte zu dem Anstaltspersonal gestritten: Sollen wir den Kontakt aktiv suchen oder sollen wir abwarten, bis durch unsere Arbeit eingenommene Beschäftigte von sich aus auf uns zukommen?

Klar war allen, dass wir die Unterstützung "fortschrittlicher" Mitarbeiter brauchen, die die unmenschlichen Verhältnisse ändern wollen, unter denen auch sie selber leiden. Umstritten war, wie wir deren Unterstützung bekommen können, wie wir die "Fortschrittlichen" herausfinden. Eine Meinung, wir müssen uns danach umsehen. Ich meine, die "Fortschrittlichen" kommen schon auf uns zu.

Dagegen verschrecken wir die Insassen, wenn wir uns bestimmten Pflegern zuwenden, mit denen sie schlechte Erfahrungen gemacht haben. Wir spalten uns dadurch von den Insassen, weil für sie unklar wird, auf welcher Seite wir stehen.

Ein Beschwerdezentrum muss eindeutig auf der Seite der Insassen, der am meisten Entrechteten und Unterdrückten, stehen. Für Beschäftigte gibt es Personalrat, Gewerkschaft, Arbeitsgerichte ... und die Möglichkeit, sich selbst zu organisieren und zu wehren. Sie können sich der unerträglichen Situation auch leichter entziehen. Pfleger können sich fortschrittlich geben, um solche Informationen zu bekommen und weitergeben zu können, die unsere Arbeit behindern. Wer fortschrittlich ist, stellt sich durch seine Taten heraus. Eine dieser Taten ist es, auf uns zuzukommen. Beschäftigte werden auch offener reden können, wenn sie ins Beschwerdezentrum kommen.

Zu unserer Sitzung am 25.1.81 und auch später kam ein Pfleger von der Karl-Bonhoeffer-Nervenanstalt (KBoN), den wir dort kennengelernt hatten, als wir Eva (sie war an der Tonband-Diskussion am 27.3.81 beteiligt) besuchten. Er hatte Eva zugleich Ausgang zu uns verschafft (ohne Begleitung kommen Zwangseingewiesene nicht aus der Irrenanstalt). Er ist daran beteiligt, eine Initiative von KBoN-Pflegern aufzubauen. Diese Entwicklung scheint meine Meinung zu bestätigen.

Beim Beschwerdezentrum Psychiatrie Bonn hatten wir erfahren, dass ein Übergewicht von Beschäftigten die Beschwerde-zentrumsarbeit verwässert. Weil sie drinnen arbeiten, mahnen sie zur Vorsicht, müssen Rücksicht nehmen auf ihre Kollegen und ihren Arbeitsplatz. Zum gegenwärtigen Stand müssen die Aktionen von außen kommen. Diese werden umso besser sein, je genauer unsere Kenntnis von innen ist. Dabei können Beschäftigte unbezahlbare Dienste leisten.
Die erfolgreiche Aktion wird häufig bessere Arbeitsbedingungen mit sich bringen. (Vergleiche Personalvermehrung auf Altenstation im LKH Bonn nach der Besetzungsaktion, siehe Punkt 4.1.2.3.)

Bei unseren KBoN-Besuchen stehen uns Pfleger/Schwestern und Psychiater gegenüber, insbesondere wenn wir auf geschlossene Stationen wollen. Ihre Schlüsselgewalt gewährt uns Einlass

" wobei vermittelt wird, dass nicht jeder reinkommt " und versperrt den Insassen den Auslass. Da stehen sie erst einmal auf der anderen Seite. Um zu uns zu kommen, müssen sie die Seite wechseln.

Einschub: Vom Protokoll über Interview zur Diskussion mit Tonband am 27.3.81

Als ich im Januar 1981 aus den Protokollen die Entwicklung unseres Selbstverständnisses aufschrieb (vergleiche Punkt 4.2.2.1.), berichtete ich darüber auf unserer Sitzung am 25.1.81 und wollte mit den anderen darüber diskutieren, wie wir den Zusammenhang zwischen Beschwerdezentrumsarbeit und meiner Diplomarbeit herstellen. Ziemlich bald kam der Vorschlag, dafür einen Extra-Termin anzusetzen. Damit hatte ich nicht gerechnet, weil ich meinte, das gehörte auf eine ordentliche Sitzung. So kam erstmal kein Termin zustande.

Auf den folgenden Sitzungen verteilte ich an alle Kopien von dem, was ich bis dahin zur Diplomarbeit geschrieben hatte. Durch Äußerungen wie "Ach, du schon wieder mit Deiner Diplomarbeit!" verschreckt, war ich froh, dass sich sechs Mitarbeiter bei mir zum Sondertermin am 15.2.81 trafen.


Auf das Gelesene gaben sie mir Einschätzungen wie

"Ist eigentlich nichts Neues, kennen wir schon!" | "Das ist viel mehr, als ich in Erinnerung hatte." | "Du hast das klar und einfach geschrieben, nicht hochtrabend und wissenschaftlich abstrakt." | "Ich (bin) unserer Arbeit (Beschwerdezentrum) ein ganzes Stück nähergerückt, weil sie für mich transparenter ... wurde."

Das Selbstverständnis sei für die Gruppe wichtig, ich hätte die Entwicklung aber zu dokumentarisch dargestellt. Es käme nicht raus, was das für mich persönlich heißt, wie ich betroffen bin. Warum ich gerade mit Irren und nicht mit Obdachlosen z. B. gemeinsam arbeiten wollte?

Ich war betroffen, dass durch meinen Anspruch, etwas zur Diplomarbeit zu schreiben, meine Persönlichkeit nicht mehr auf- tauchte, in dem Geschriebenen. Danach war ich dankbar, dass sie mir das bewusst gemacht hatten und von mir persönlich was lesen wollten. Daraufhin schrieb ich auf, wie ich selber in die Anstalt gekommen bin und wie mein weiterer Weg aussah, der mich zum Beschwerdezentrum und zu gerade dieser Diplomarbeit geführt hat. Ich bekannte mich jetzt zu meinem Verrücktsein und zu meinem Leidensweg und wollte auch in dieser Diplomarbeit, d. h. öffentlich dazu stehen. Deshalb steht es jetzt am Beginn. Von da ab ergriff ich Partei für uns Betroffene auch in dieser Diplomarbeit.

Eine wichtige Frage am Anfang dieser Arbeit war, wie Betroffene und Professionelle zusammenarbeiten können. Unsere Praxis in der Unterstützergruppe der Irren-Offensive hat dazu geführt, dass immer mehr Betroffene, solche mit Anstaltserfahrung, bei uns mitmachten, wir also praktisch zusammenarbeiteten, ohne uns viel Gedanken darum zu machen. Ich wollte mehr erfahren, wie die Zusammenarbeit möglich geworden war und wie sie ablief. Als Empfehlung bekam ich in der Diskussion über die Diplomarbeit, Interviews zu machen.

Üblich sind Einzelinterviews, die ich aber aus mehreren Gründen nicht machen wollte: Bei Einzelinterviews gewinne ich einen enormen Informationsvorsprung; ich bin der einzige, der mit allen ausführlich zu bestimmten Fragen geredet hat. Dieses Ungleichgewicht aufzuheben, ist praktisch unmöglich; allein die Rückmeldung und Diskussion schwierig, wenn man bedenkt, dass dazu Sondertermine notwendig sind.

Aus all diesen Gründen habe ich ein Gruppeninterview vorgeschlagen, d. h. die Gruppe äußert sich zu bestimmten Fragen. Das entspricht auch unserer Erfahrung, dass Beschwerdezentrumsarbeit nicht von Einzelnen, sondern nur von einer Gruppe gemacht werden kann.

Mein Vorschlag, aus den dargelegten Gründen ein Gruppeninterview zu machen, fand am 20.2.81 grundsätzlich Zustimmung, jedoch über die Fragen und den Termin haben wir nicht diskutiert. Auf den folgenden Sitzungen lag Wichtigeres an, so, über die Arbeiterwohlfahrt angeblich ein Haus bekommen zu können und dass beim nächsten Mal unsere Mitarbeiterin Rosa zwangseingewiesen worden war und wir alles daransetzten, die zu Grunde liegende Situation zu lösen und sie wieder rauszubekommen. Endlich auf der Sitzung am 20.3. beschlossen wir, das Gruppeninterview auf der folgenden Sitzung am 27.3.81 zu machen.

Durch das Gruppeninterview wollte ich in der lebendigen Gruppensituation erfahren, inwieweit unsere Arbeit und Beschwerde-zentren nach der Meinung der Gruppenmitglieder eine Alternative zur herrschenden Psychiatrie darstellen und welche Auswirkungen diese Arbeit hatte. Um möglichst wenig Einfluss auszuüben, habe ich folgende offene, etwas indirekte Fragen entwickelt:

Frage1: Wie bist Du zum Beschwerdezentrum gekommen?
Was hat dazu geführt?

Frage2: Was hältst Du vom Beschwerdezentrum und der bisherigen Arbeit?

Frage 3: Was ist im Beschwerdezentrum anders?
(im Unterschied zur Klapse = Irrenanstalt bzw. zur Uni-/Profi-Arbeitsgruppe)

Frage 4: Wie findest Du die Zusammenarbeit von Leuten, die in der Klapse waren, (Betroffenen) und denen, die nicht drin waren, (Profis)?

Frage 5: Was hat es Dir bisher gebracht?

Frage 6: Wie soll es weitergehen?


Die letzte Frage kam aus der Gruppe, wohl um die im Beschwerdezentrum eingetretene Stagnation zu überwinden. Dies hatte wohl dazu geführt, dass das Gruppeninterview mit Tonband akzeptiert wurde, einige es sogar wünschten.

Die Diskussion findet sich, vollständig vom Tonband übertragen, im Anhang. Die Namen der Beteiligten sind je nach Wunsch geändert oder beibehalten. Einige bestanden auf ihrem Namen und wollten gerade nicht anonym bleiben.

In der Irrenanstalt waren: Eva, Gerhard, Helmut, Klaus, Martin, Tina, Uwe, Virginia und Werner.

Studenten sind: Adam, Helga, Klaus und Tina, die letzten beiden waren auch in Anstalten.

Als Diplompsychologen arbeiten: Sophia und Wilhelm.
An der Diskussion am 27.3.81 haben sich alle anwesenden 14 Menschen beteiligt, 5 Frauen und 9 Männer. 10 von ihnen waren in Irrenanstalten, 4 studieren Psychologie bzw. Sozialpädagogik, davon waren 2 in Anstalten, 2 arbeiten als Diplompsychologen. Demnach sind höchsten 6 von 14 (43 %) sog. Professionelle, aber 10 von 14 (71 %) haben Anstaltserfahrung. Die Beteiligten können durchaus als repräsentativ für die Beschwerdezentrumsmitarbeiter der damaligen Zeit gelten.

Da im Beschwerdezentrum nicht die Machtstrukturen der Anstalt herrschen, wo einer (der Psychiater) die Fragen stellt, die die anderen (die Insassen) beantworten müssen, war mir klar, dass auch ich mich den Fragen stellen wollte. Dadurch wurde aus dem geplanten Gruppeninterview eine Diskussion, die streckenweise zu so heftigen Auseinandersetzungen führte, dass die Fragen unwichtig wurden. Da es hauptsächlich meine Fragen waren, wollte ich nicht darauf drängen, dass sie durchgezogen werden. Wie in Kapitel 2 dargestellt, verbieten sich für den Aktionsforscher harte Eingriffe in die Gruppe. Für den Verlauf der fast dreistündigen Diskussion sah ich mich nicht mehr verantwortlich als die anderen. Dadurch sind nur die Fragen 1, 2 (ab S. 132 bzw. S. 160 im Anhang) und 6 (ab S. 178 im Anhang) ausführlicher diskutiert, die anderen mehr oder weniger unter den Tisch gefallen. So die Frage 4 nach der Zusammenarbeit von Betroffenen und Profis:

Adam: (lachend) "Das Miteinander haben wir ja genug praktiziert, ha."

Tina und Werner: "Ua."

Tina: "Ja, Betroffene und Dings brauchen wir nicht mehr zu beantworten ..."

Als ich noch weiter darüber reden wollte, unterbricht mich Wilhelm, und gleich darauf ist die Frage vom Tisch. Zur Frage 3, was im Beschwerdezentrum anders ist, sagt direkt keiner etwas.


Aus dem Ablauf der Diskussion ergibt sich meines Erachtens einiges, das ich unter Punkt 4.2.4. Beschwerdezentrum und Alternative behandle.

Nicht die ganze Sitzung am 27.3.81 nehmen die Fragen ein. Es ist einfach notwendig, dass die Mitarbeiter darüber berichten, was sie die letzte Woche gemacht haben, und darüber diskutieren. Im Anhang findet sich dieser Teil von Seite 213 bis Seite 242. In dieser Art läuft sonst eine Beschwerdezentrumssitzung ab. Die Fragen sind jedem Fall ein Eingriff, den meine Diplomarbeit erfordert hat.

Im Folgenden behandle ich die Frage 1 unter Punkt 4.2.2.2. Gründe für das Engagement der Mitarbeiter, denn sie beantworten eher die Frage: Warum bist Du im Beschwerdezentrum?

Die Fragen 2 und 6 sind unter 4.2.3. Ergebnisse und Einschätzung der bisherigen Arbeit zu finden, die die Beschlüsse zum weiteren Vorgehen in der Diskussion und deren Ergebnisse im weiteren Verlauf einschließen.

4.2.2.2. Gründe für das Engagement der Mitarbeiter

Folgende Motivationen und Ansprüche für das Engagement der Mitarbeiter wurden insbesondere aus der Diskussion deutlich:

Eva, Max und Uwe wurden von Beschwerdezentrums-Mitarbeitern in den Irrenanstalten, in denen sie damals Patienten, d.h. Leidende, sein mussten, besucht, bei ihrer Entlassung unterstützt und als Mitarbeiter gewonnen. Helmut war zum 2. Kaffee-Treffen aus Bonnies Ranch abgehauen, wir stellten ihm, wie der Pfleger wohl zutreffend sagte, "Geleitschutz", damit er seine Entlassungspapiere und damit Sozialhilfe bekam und nicht wieder festgesetzt wurde.

Werner und Gerhard waren, Tina und Martin waren und sind ... in der Irren-Offensive. Sie stellten dann die Verbindung zu ihr her.

Dazu Gerhard:

"Ich bin aus der Irren-Offensive raus, weil die Leute meine Beschwerden ("Ich will meine Pflegschaft loswerden ..."), weil die nichts damit zu tun haben wollten." (27.3.81)

Helga hat für ihr Sozialpädagogik-Praktikum "im Alternativen was gesucht" und hat "überhaupt keine Lust gehabt, wie die anderen Leute, in die Psychiatrie zu gehen, nach Bremen."

Eva und Helmut (s.o.), Uwe und Max hatten Beschwerden und Probleme. Gerhard (s.o.) und Max haben "jetzt immer noch eine Beschwerde offen ..." "Da ist zum Beispiel, als ich eingesperrt war, wie 'ne Frau sein musste." Beim letzten Mal in der Anstalt bekam er Schwierigkeiten beim Pillenverweigern, sie drohten ihm mit der Spritze. (Sitzungsprotokoll vom 16.11.80)

Eva wollte aus der Anstalt raus und ihre über 80(!)-jährige Pflegerin loswerden.

Uwe sollte auf eine geschlossene Station zwangsverlegt werden. Damit wäre ihm die weitere Schulausbildung verboten worden (Sitzungsprotokoll vom 23.11.80).

Eine andere Art von Beschwerde hat Klaus:

"Ich hab" auch 'ne Beschwerde, ... gegen die Psychiatrie insgesamt, als Einrichtung."

"Und beschweren heißt für mich auch anklagen." (Diskussion am 27.3.81)

Wir alle hofften, dass wir innerhalb des Beschwerdezentrums an der Beseitigung unserer Beschwerden und Probleme arbeiten könnten.

Angst , (wieder) in die Anstalt zu kommen, hatten Tina:

"Ich hab", bevor ich in die Irren-Offensive und ins Beschwerdezentrum kam, ein Wahnsinnsohnmachtsgefühl gehabt; die Möglichkeit, dass ich wieder in die Klapse reinkomme, das seh" ich einfach und die Angst hab" ich auch noch ..." (Diskussion am 27.3.81 )

und Sophia:

"Ich (werde) zeit meines Erwachsenenseins verfolgt ... von der Angst, in der Klapse zu landen"

"Ja, und hier eigentlich 'ne Möglichkeit sehe, ... aus diesen Ängsten heraus (zu kommen)" (Diskussion am 27.3.81)

Sie drücken es deutlich aus, Helmut hat "auch die Angst, dass es irgendwie doch wieder schwer wird," (27.3.81) während Adam sich vermittelter ausdrückt:

"Benutzer bin ich auch, ... von 'ner Gruppe, die mit mir zusammen was tun will und die sich auch persönlich untereinander tragen kann, und auch ... als Ausgeschlossener würd" ich"s auch nicht einsehen, selbst in die Psychiatrie zu kommen, d. h. dass da noch einiges passieren kann, zu sehen, dass es dann möglich ist, wie es sich auch bei der Rosa gezeigt hat, dass es auch so aufgefangen werden kann..." (27.3.81)

und Wilhelm es in der Diskussion nicht mehr aushält:

"Ich bin bald reif für die Klapse, wenn das so weitergeht." (27.3.81)

Dass sie Widerstand leisten wollen, äußern Martin und Adam "konkret und dagegen" (27.3.81) sowie Klaus:

"Gegen Irrenanstalten habe ich sowieso was, aus eigener Erfahrung und weil das so eine große Abschiebe ist." (27.3.81)

Für Tina:

"ist das 'ne unheimliche Hilfe, endlich offensiv zu sein und was zu tun, und da kann ich auch ..., es sind zumindest einige Leute da, die mit mir dagegen ankämpfen, die jemand rausholen würden, wenn jemand reinkommt." (27.3.81)

Wilhelm ist vorsichtiger (als Profi), er will

"so"n bisschen am Fundament dieses unheimlich festgefügten Systems ... kratzen ..., dass so Risse reinkommen." (27.3.81)

Werner hätte, nachdem er

"aus der Klapse abgegangen (ist) ... am liebsten ... ein Maschinengewehr genommen und diese ganze Regierung erschossen...", sieht aber ein, dass terroristische Aktionen nichts bringen, und dass er die "ganz fürchterliche Aggression auf die Gesellschaft" umwandeln muss: "Deshalb bin ich auch hier, um dieser Aggression einen Fluss zu geben", mit uns "auch etwas in Bewegung zu setzen." (27.3.81)

Getreu der Spruchweisheit: Allein machen sie dich ein, müssen wir den Widerstand gemeinsam leisten, darüber sind wir uns einig. Eva will den "Kontakt" auch mit "Nicht-Betroffenen", die sich dafür (für die Beschwerden) interessieren. Am deutlichsten äußert sich Wilhelm über die Arbeit von Professionellen und Betroffenen:

"Ich, als Psychologe ..., ein Rädchen ... in diesem ganzen Apparat ... der psychiatrischen/psychosozialen Versorgung ...so alleine da vor sich hinzuwurschteln ... Ich habe mir dann abgeschminkt, dass man da irgendwas machen könnte... "

Weiter sagt er, dass Beschwerdezentren "in diesem ganzen Bereich am meisten in Bewegung gebracht (haben) ... und das liegt ganz sicherlich natürlich daran, dass es eben nicht von Experten ausgegangen ist..., die Sprüche (gemacht haben) ..., sondern von Leuten, die selber aus diesem System (kommen) oder in diesem System drin gesteckt haben als Betroffene, Patienten, die Wirbel gemacht haben." (27.3.81)

Virginia und Sophia wollen Besuche in der Klapse machen, Sophia machen die "Zustände in der Klapse" "fürchterliche Angst", sie hatte "aber noch nie 'ne Klapse von innen gesehen..." "das erste Mal überhaupt hier", (27.3.81) durch die regelmäßigen Besuche des Beschwerdezentrums. Gerhard möchte:

"die Beschwerden, die man hat ..., in kleineren oder größeren Gruppen (abklären)", denn erst "wenn man... in die eigenen Probleme Einsicht hat, kann man auch Einsicht gewinnen in die Probleme anderer." (27.3.81)

Zusammenfassend lässt sich also sagen: Die meisten Mitarbeiter kommen aus der Angst, der Maschine Psychiatrie hilflos und allein ausgeliefert zu sein, ins Beschwerdezentrum. Sie wollen dagegen Widerstand leisten, um die eigene Ohnmacht zu überwinden. Sie haben erfahren, dass es dazu der Kraft der Gemeinsamkeit bedarf, und dass sie Menschen brauchen, die auf ihrer Seite stehen. Das ist besonders wichtig für diejenigen, die konkrete Beschwerden haben, für deren Beseitigung sie Unterstützung brauchen.


4.2.3. Ergebnisse und Einschätzung der bisherigen Beschwerdezentrumsarbeit

In unseren Sitzungen wird uns immer wieder klar, was wir noch alles tun müssen. Bei der Auswertung der Protokolle habe ich festgestellt, dass wir sehr kreativ waren, Ideen entwickeln, was wir tun wollen und wie wir es tun wollen, jedoch nur einen kleinen Teil unserer Ideen umgesetzt haben. Auch in der Diskussion am

27.3.81 zu der Frage: Was hältst du vom Beschwerdezentrum und seiner Arbeit? meint, wie viele andere, Helmut:

"dass Beschwerdezentrum eine gute Sache ist, aber dass zu wenig gearbeitet wird."

Uwe sieht sogar

"allgemein schwarz, dass wir, auf welchen Zeitraum auch immer, effektiv was erreichen gegen die ganzen Institutionen und gegen den ganzen politischen Apparat, alleine dadurch, dass wir die Gesprächsrunde hier machen ..."

Ich schließe mich Eva an:

"dass es sehr destruktiv zugeht ... wenn ich sage, es ist bisher nicht viel gelaufen und deswegen das, was gelaufen ist, auch noch unter den Tisch kehre ..."

Wie sah unsere bisherige Arbeit im Beschwerdezentrum denn aus, welche Ergebnisse hatte sie? Die erste Aufgabe, die uns damals hilflosen Helfern übertragen wurde, war, die rechtliche


Situation in den Irrenanstalten zu untersuchen. Damit haben wir uns durchgängig beschäftigt. Zunächst haben wir das Berliner Unterbringungsgesetz durchgearbeitet und unser Wissen den Psychiatrie-Betroffenen auf den Kaffee-&-Kuchen-Treffen, den Insassen bei unseren Anstaltsbesuchen und Sozialpädagogik-Studenten auf einer gemeinsamen Veranstaltung vermittelt. Unsere Beschäftigung mit dem Unterbringungsgesetz hat auch viele Fragen aufgeworfen, weitere Fragen kamen von_den Unterdrückten und Ausgeschlossenen, die uns dazu führten, engagierte Rechtsanwälte zu suchen. Wir haben sie inzwischen gefunden, mit ihnen haben wir auch Fragen geklärt, die über das Unterbringungsgesetz hinausgehen. Das Ergebnis dieser langwierigen Arbeit haben wir in der Broschüre DEINE RECHTE IN DER PSYCHIATRIE zusammengefasst. Wir haben sie in einer Auflage von 1.000 im August 1981 herausgebracht und vertreiben sie seitdem. Sie gibt wichtige Informationen, als Hilfe zur Selbsthilfe in bestimmten Situationen, wie: Die Polizei will dich abholen; Du sollst zwangsuntergebracht werden; Du willst raus aus der Anstalt; Du willst deinen Pfleger bzw. Vormund loswerden; Du willst keine Medikamente und andere Zwangsbehandlungen; Du brauchst einen Rechtsanwalt, den Du bezahlen kannst. Solche Rechtsanwälte können wir vermitteln.

Dadurch ist es für einige Menschen möglich geworden,drohende Zwangsunterbringung zu verhindern, dieZwangsunterbringung zu verkürzen und den Pfleger loszuwerden, so z.B. bei Eva (vgl. Diskussion am 27.3.81). Sie, Uwe, Max, Rosa und weitere Menschen, die in der Diskussion nicht erwähnt werden und nicht dabei waren, haben wirbei ihrer Freilassung, sogenannter Entlassung, unterstützt. Mit Helmut haben wir dafür gesorgt, dass er nicht wieder festgesetzt wurde.


So wie Max haben wir auch anderen beim Medikamentenverweigern dadurch den Rücken stärken können, dass wir sie aufklärten, Zwangsbehandlung ist in Berlin eine strafbare Körperverletzung. Einzelne Ratsuchende haben wir unterstützt, indem wir mit ihnen zu Behörden gingen, Briefe schrieben und telefonierten.

Die bisher erwähnte Unterstützung haben wir entweder bei unseren Besuchen in der Anstalt gegeben oder wenn Menschen zur Sitzung des Beschwerdezentrums kamen. Da es auch Insassen gibt, die die Anstalt nicht verlassen dürfen oder nur äußerst selten in Begleitung von Anstaltspersonal, besondere sogenannte psychisch kranke Straftäter, und da wir mit unseren Besuchen auch nur einen kleinen Teil der sich beschwerenden Insassen erreichen, haben wir nach Diskussionen, die sich auch deshalb in die Länge zogen, weil wir uns die Benutzung mit den Komm-Rummies einigen mussten, endlich am 3.4.81 den Telefondienst Beschwerdetelefon 851 80 2 jeweils freitags von 15 bis 17 Uhr, eröffnet. Zur gleichen Zeit ist auch Sprechstunde, nachdem auf den Beschwerdezentrumssitzungen keine optimale Beratung mehr gegeben war, weil einerseits durch die Fülle der Diskussi- onspunkte Rat suchende zu kurz kommen konnten, andererseits immer häufiger Menschen kamen, die Rat brauchten und nicht mitarbeiten wollten oder konnten.

Als Rosa, die im Beschwerdezentrum mitgearbeitet hatte, von "Freunden" auf die sozialpsychiatrische Station im Auguste-Vik- toria-Krankenhaus gebracht worden war und von dort in die Nervenklinik Spandau zwangseingewiesen wurde " so erhält man dort wohl den sozialpsychiatrischen Frieden " konnten wir mit Unterstützung unseres Rechtsanwalts die Zwangsunterbringung verhindern und ihre Freilassung nur dadurch erreichen und sicherstellen,

dass rund um die Uhr Leute von uns über eine Woche mit ihr in der Wohnung zusammen waren. Anderenorts nennt man das Krisenintervention. 14 Leute, auch aus dem engeren Bekanntenkreis, waren daran beteiligt.

Im Beschwerdezentrum kamen dadurch die sonstigen Anstaltsbesuche zum Erliegen, was Max zu der Reaktion veranlasst: "Die letzten drei Mal, war kein Mensch in Bonnies Ranch, und darüber möchte ich mich beschweren." Wir können also nicht Beschwerdezentrum und Krisenintervention zugleich machen, jedenfalls nicht, wenn wir diese mit so viel Leuten machen.

Wenn wir auch einige Menschen erfolgreich unterstützt haben, sich von einem Teil ihrer schwersten Unterdrückung, wie in der Anstalt eingeschlossen zu sein, zu befreien, bin ich doch unzufrieden, dass in unseren eigenen Reihen Menschen sind, die noch Beschwerden haben wie Max: "Ich ... hab" jetzt immer noch eine Beschwerde offen!" Genauso geht es Gerhard: "Ich will meine Pflegschaft loswerden." Wir anderen gehen auf ihre Beschwerden in der Diskussion am 27.3.81 (Protokoll davon im Anhang des Buches) nicht derart ein, dass wir für Abhilfe sorgen oder zumindest unsere künftige Unterstützung glaubhaft anbieten, wenn wir schon zur Tagesordnung übergehen.

Eine zentrale Aufgabe von Beschwerdezentren sind Anstalts-besuche, wie Adam, Werner Fuß und ich bei unserer Mitarbeit im SSK-Beschwerdezentrum und in der Diskussion im Beschwerdezentrum Psychiatrie in Bonn im September 1980 erfahren haben. Seit Oktober 80 machen Mitarbeiter von uns fast regelmäßig einmal in der Woche, eine Zeit lang auch zwei Mal, Anstaltsbesuche. Unzufriedenheit und daraus Frustrationen gab und gibt es immer wieder, weil diese Arbeit nur von wenigen Mitarbeitern getragen wird.

Schon am 9.11.80 habe ich vorgeschlagen, dass jeweils Mitarbeiter, die sich schon zutrauen, neue Insassen zu besuchen, zusammen mit Mitarbeitern in die Anstalt gehen, die dabei noch Schwierigkeiten sehen und sie dabei überwinden können. (Gedächtnisprotokoll vom 2.11.80, inhaltliche Diskussion mit Anregungen) Wir sind dann so verfahren: Der Höhepunkt war unser Besuch zu sechst auf der doppelt geschlossenen Station 1a am 15.1.81, nachdem ich am 11.1.81 Alinskys "nicht besonders anständige Regeln" konfliktorientierter Strategien in die Diskussion gebracht hatte (siehe Punkt 4.2.2.1.1.). Auch dieser Vorschlag hat nicht dazu geführt, dass sich alle an den Besuchen beteiligten. Das mag auch daran liegen, dass wir uns nicht im klaren darüber waren, als wer oder was wir dort auftreten, vielmehr immer wieder darüber diskutiert haben.

Mein Vorschlag, als schwierig vorgestellte Situationen im Rollenspiel zu üben, nahmen die anderen anscheinend zustimmend auf, jedoch haben wir nie Rollenspiele gemacht. Riecht das zu sehr nach psychologischem Expertentum?

Nach diesen Erfahrungen kommt Max zu der Vorstellung,

"dass da 'ne Verpflichtung festgelegt wird, soweit jemand in das Beschwerde-dings-da-bumms-da-Zentrum will, auch ... Praxis ... auch Klinikbesuche machen muss." (Diskussion am 27.3.81 zur Frage: Wie soll es weitergehen?)

Obwohl er seine Vorstellung nachhaltig vertritt, wird sie nicht beschlossen, vielmehr erklären einige, dass sie zur Zeit keine Besuche machen, zumTeil, weil sie andere Aufgaben übernommen haben, wie Rechtsbroschüre machen. Anstaltsbesuche machen kann demnach nicht als Gemeinsamkeit aller Beschwerde zen rumsmitarbeiter gelten.

Was da an Ergebnissen bisher herausgekommen ist, ist schon esentlich mehr als nichts, im Vergleich zum SSK sehr dürftig, aber das liegt daran, wie Martin meint,

"dass die Arbeit erst am Anfang steht, dass wir gerade erst anfangen ..."

und wie Uwe meint

"wir alleine sind zu schwach ... da brauch man Leute, die uns den Rücken stärken ..."

Deshalb will Helmut

"die Bewegung der Hausbesetzer mit einbeziehen ..., umso stärker, um so besser."

Das war ein Hauptthema, mit dem wir uns nach der Diskussion vom 27.3.81 weiter beschäftigten. Am 10.4.81 nahmen wir Verhandlungen mit den Hausbesetzern der Bülowstr. 54 auf. Nach mehreren Gesprächen wurden wir uns einig, dass Beschwerdezentrum und Irren-Offensive in der linken Hochparterre-Wohnung ihren Treffpunkt einrichten und weitere Wohnungen für Verrückte zur Verfügung stehen Helmut, Werner und ich begannen mit den Instandsetzungsarbeiten, um selber dort zu wohnen.

Umso erstaunter war ich, dass nach den langen Vorarbeiten die Mehrheit der Beschwerdezentrumsmitglieder im KommRum bleiben wollte und vom besetzten Haus einen Rückzieher machte

Ich war entschieden dagegen und trat der Irren-Offensive bei, die zu ihrem Einzug eine Pressekonferenz am 16.6.81 abhielt.

Das Beschwerdezentrum hat meines Erachtens damals die Chance nicht wahrgenommen, entscheidende Rückenstärkung zu bekommen.

4.2.4. Beschwerdezentrum und Alternative

Beschwerdezentren sind für sich genommen keine Alternative zur Irrenanstalt, weil sie an sich keine Lebensmöglichkeiten bieten, sondern eine Form des Widerstandes gegen die herrschenden Verhältnisse sind. Anders als in der Anstalt, wo man auf ruhige Patienten angewiesen ist, sind wir für die Arbeit im Beschwerdezentrum auf aktive Menschen angewiesen, die das Elend nicht weiter ertragen und sich gegen das Unrecht wehren wollen, um es abzuschaffen. An dieser Stelle setzt die Unterstützung des Beschwerdezentrums ein. Wir wollen Druck auf die Verantwortlichen ausüben, um so eine Alternative zu erzwingen.

Beschwerdezentren verbunden mit Selbsthilfen können eine Alternative sein, wie das beschriebene Beispiel des SSK zeigt. In diese Richtung zielten meine Vorschläge, das Psychiatrie-Beschwerdezentrum Berlin stärker mit der Irren-Offensive und den Hausbesetzern zu verbinden. Diese Verbindung hatte ich nur persönlich, nicht aber die Gruppen hergestellt.

Aber auch in unserem Beschwerdezentrum wird ein Stück der Alternative sichtbar, in dem anderen Umgang miteinander. Aus- schließen und Abschieben sind der übliche Umgang mit Verrückten. Inwieweit ist das bei uns anders? An einem konkreten Beispiel aus der Diskussion am 27.3.81 wird deutlich, wie wir mit Macht, Unterdrückung und Ausschluss umgehen.

Zunächst reproduzieren sich auch bei uns die herrschenden Mechanismen des Ausschlusses bei Uwe.

Als erstes sagt Uwe:

"das ist nämlich der Punkt ..., dass andere Leute deinen Vorstellungen ewig 'nen Strich durch die Rechnung machen. Das ist letztlich das, womit wir uns unser ganzes Leben rumzuschlagen haben."

Damit drückt er aus, was ihm dann widerfahren wird. Als erste Reaktion: Gemurmel, später, als er die Regel, die Fragen zu beantworten, nicht akzeptiert: "Ich weiß gar nicht, warum das notwendig ist", bekommt er gleich von Adam Redeverbot: "Ja, dann sei jetzt ruhig!", dagegen wehrt er sich: "du verbietest mir nicht den Mund ... Wir müssen uns mal tatsächlich akzeptieren." Darauf Adam:"Wenn du das (Interview) jetzt nicht mitmachen willst, kannst du rausgehen", und Helmut: "Halt dein Maull" unterstützt von Tina (im heftigen Durcheinanderschreien): "Hör jetzt mal zu, was Uwe kurz mit 'nein!" quittiert. Danach läßt er zu: "Dann kann meinetwegen reden, wer grade möchte." Nicht ohne sein Urteil abzugeben: "Ich glaub, ihr seid euch noch nicht im Klaren darüber, weswegen ihr hier seid."

Nachdem Sophia und Martin mit ihren Beiträgen zur ersten Frage zum Zuge gekommen sind, gibt Klaus Uwe Gelegenheit zu längeren Ausführungen, die er so abschließt:

"deswegen bin ich hergekommen, weil ich meinen Beitrag dazu machen will, das zu erreichen, was wir uns vorgenommen haben, was natürlich für mein Verständnis echt nur geht, wenn man jemand tatsächlich so lange aussprechen lässt, wie er gerne sprechen möchte. Das ist eine der Grundprinzipien der Menschenrechte ..."

für die wir uns einzusetzen haben. Im Anschluss daran macht Sophia ihm den Vorwurf: "Wenn du natürlich den ganzen Abend hier redest", mit Ironie gepaart, "wirst du 'ne ganze Menge verändern", während Wilhelm auf ihn eingeht: "Wir müssen noch was machen, er hat ja im Prinzip recht." Darauf hat Uwe die vernichtende Prophezeiung: "So, wie das heute hier abläuft, geht"s in zwei Jahren noch genauso", die mit genervtem Stöhnen quittiert wird.

Etwas später fragt Uwe vorher, ob er reden darf:

"Krieg ich von euch mal die Chance, mal was vorzuschlagen, dass wir mal anfangen, den (konkreten) Weg einzuschlagen, den wir einschlagen müssen?"

was ihm Tina:'nein, du hast dich an die Fragen zu richten, Uwe, so geht"s nicht!", und andere mit 'nein!" abschlagen.

Nachdem Klaus längere Ausführungen mit Unterbrechungen zur zweiten Frage: Was hältst du von unserem Beschwerdezentrum und seiner Arbeit? gemacht hat und Uwe darauf eingeht: "Ja, da brauch" ma Leute, die uns den Rücken stärken. Das ist jetzt hier die Frage (4), die ich gelesen habe; Wie findest du die Zusammenarbeit Betroffene-Profis?", wollen einige ihn nicht weiterreden lassen, wie Tina, weil sie "überhaupt nicht ein(sieht), dass einer die anderen (unterbuttert)", ja sogar: "Ich will, dass du gehst!", während andere Uwe unterstützen ... wie Helmut: "Nun lasst ihn doch mal!" und Gerhard: "Das war jetzt unterbrochen!", und Helga: "Jetzt lass ihn ausreden!", nachdem Helmut umgeschwenkt war: "Noch nicht fertig" wann bist du endlich fertig?!" Nachdem Uwe nicht mehr den Eindruck haben muss, dass keiner ihn reden lassen will, hat er den Mut zu sagen: "Ich lass" erst andere zu Wort kommen, wenn ich fertig bin ...", worauf sich einige andere streiten, bis Helmut Uwe gegenüber massiv wird:

"Hast du schon mal Jemand erlebt, der fürs Irrenhaus reif ist? Weißt du, was da mit dir gemacht wird? Da zum Fenster rausgeschmissen!"

Uwe lässt sich davon nicht beeindrucken, aber empört sind darüber Max: "Das war jetzt 'ne Aggression ... Das sind ja psychiatrische Maßnahmen hier!" und Wilhelm: "Jetzt hört doch mal auf, wir sind doch nicht bei den Tieren ..." Lediglich Werner bleibt dabei: "Ich würd" sagen, wir schmeißen ihn jetzt raus, ganz gewalttätig!", während andere sich "Alternativen" einfallen lassen. Wilhelm: "Es reicht mir jetzt endlich. Ich geh" jetzt nach Hause!" Nicht ganz so weit will ein anderer gehen: "Wir gehen jetzt in 'nen anderen Raum. .." Anscheinend ist keine Gemeinsamkeit mehr möglich.

Tatsächlich bleiben wir zusammen und "machen einfach weiter", wie Martin zutreffend vorwegnimmt. Klaus versucht eine an- dere Ebene, die gesellschaftliche, hereinzubringen:

"was hier passiert ..., das muss auch 'nen Sinn haben ... das scheint sozusagen zwangsläufig zu sein, weil wir uns anmaßen, gegen diese massenhafte Unterdrückung, ich stell" mir das irgendwie wie 'ne Wahnsinns-Maschine vor, die nichts zu tun hat, als ... das Leben kaputt zu machen, und da wollen wir was gegen machen ... dieser Druck, der wirkt sich dann hier aus, dass wir uns gegenseitig anmachen ... ich möchte das so verstehen, was jetzt bei uns abläuft, das is eben, was wir alle schon abgekriegt haben ... und dass wir das eben gegen das Irrenhaus richten oder gegen diese Unterdrückungsmaschine."

Aber Tina bleibt erstmal bei sich: "Ich bin unheimlich wütend ... auf den Uwe ... in dem Fall unterdrückt er die anderen ... Da mach ich mich kaputt, wenn ich alles zulass ..." Später fragt sie sich und uns:

"soll"n wir oder müssen wir das zulassen, ist es nötig oder machen wir da, wenn wir das nicht zulassen, wieder genau das Gleiche wie alle anderen, nämlich Leute ausschließen und ... bevormunden."

Und ist sich da zunächst mit Wilhelm einig: "dass es Räume geben muß... wo man sich auch mal austoben kann... aber nicht hier... weil wir ein ganz konkretes Ziel haben...", der später den Eindruck gewinnt: "dass unsere eigene Unsicherheit, was wir jetzt weiter machen, die Angst davor, dass wir vielleicht bekannter werden als uns lieb ist..." dazu geführt hat. Uwe zieht die Verbindung vom Gesellschaftlichen zum Individuum: "Wir s i n d die Maschine! Jeder einzelne!", und Klaus bemüht sich um die Dialektik oder um die Vielfalt, während Helga der Meinung ist, "dass das (chaotische Situationen) sowieso nicht anhält." Damit nimmt sie das Kommende vorweg, wenn auch weiteres Durcheinander an der Stelle auftritt, wo es darum geht, was jeder konkret macht.

Im Nachhinein wird mir die Reaktion auf Uwe verständlich: Er hat als Erster, ohne regelmäßig dabei gewesen zu sein, gesagt, was wir noch alles machen müssen, worauf die anderen auch später kommen, weil das Bisherige zu wenig ist; aber wer lässt sich schon gerne etwas von jemandem sagen, der selber nicht gezeigt hat, dass er es besser gemacht hat? Auch bei uns wird also mit Ausschluss gedroht; auch wenn Uwe nicht reden soll oder nur in einer bestimmten Weise, ist das versuchter Ausschluss.

Im allgemeinen dient die Ausschlussdrohung, wie der tatsächliche Ausschluss dazu, die Menschen zur Anpassung an die Normalität der Herrschenden zu zwingen. Reicht die Ausschlussdrohung nicht, folgt der Ausschluss selber – in unserem Bereich durch Abschieben, Zwangseinweisen in die Irrenanstalt.

Uwe lässt sich die in der Gruppe beschlossene Regel, dass jeder in dieser Sitzung sich zu den sechs Fragen äußert, nicht aufzwingen, vielmehr besteht er auf seinem (Menschen)Recht, ausreden zu können. Das ist der Auslöser für eine Auseinandersetzung, die andere an den Rand führt, das Feld zu verlassen, bis hin zu Wilhelms Befürchtung: "Ich bin bald reif für die Klapse ..." Es zeigt sich, dass wir letztlich nicht zulassen, dass jemand massiv Macht ausübt, weder diejenigen, die Uwe zum Schweigen bringen oder gar rausschmeißen wollen, noch Uwe, der die anderen dazu bringen will, dass sie seine Ideen ausführen.

Trotz aller Auseinandersetzung, die eine Fortführung des Gesprächs immer wieder unmöglich erscheinen lassen, bleiben alle bis zum Ende dabei: Niemand wird ausgeschlossen. Es muss auch niemand ausgeschlossen werden, weil Raum da ist, die Wut über versuchte Gängelung und Unterdrückung mit aller Heftigkeit auszudrücken und die Unterdrückung dadurch unmöglich zu machen.

Im Gegensatz dazu werden Gefühlsausbrüche sonst oft mit der Einweisung in die Anstalt geahndet. Dort werden sie verurteilt, mit einer Diagnose abgestempelt und mit chemischen Zwangsmitteln unterdrückt. Dann beginnt der Prozess, den Insassen zur Krankheitseinsicht zu treiben.

In der Anstaltshierarchie stehen die Insassen ganz unten: Die Psychiater haben von den Herrschenden, dem Staat und durch die normale Zwangsmoral die Aufgabe zugewiesen bekommen, die ausgegrenzte Unvernunft zu verwalten; die Schwestern und Pfleger haben nach den Anweisungen der Psychiater die Insassen unter Kontrolle zu halten; die Insassen haben die Pflicht, sich selbst zu unterdrücken, insbesondere ihren Wahnsinn, gemäß der häufigen Aufforderung: "Seien Sie doch vernünftig!", statt ihn produktiv zu machen. Im Beschwerdezentrum ist das gleichberechtigte Verhältnis von (ehemaligen) Insassen und den anderen (Professionellen) Bedingung für fruchtbare Zusammenarbeit, Über- und Unterordnung, die Ausübung der Herrschaft schafft nicht das Vertrauen, das notwendig ist, um von dem konkreten Unrecht, der konkreten Unterdrückung zu erfahren. Diese Kenntnis brauchen wir, um die elenden Zustände aufdecken und auf ihre Abschaffung einwirken zu können. Die Insassen brauchen das Vertrauen, dass wir auf ihrer Seite stehen, dass wir in der Lage sind, uns für die Verbesserung ihrer Situation einzusetzen, weil wir damit auch unsere Situation verbessern. Sie sollen nicht befürchten müssen, ausgebeutet zu werden, wie es Max als Frage aufwirft: "Willst Du Dich prominent machen mit meinem Problem?" und aus der Möglichkeit den Schluss zieht: "Ich hab" jetzt nichts mehr zu sagen, ich wollt"s sowieso nicht." (Diskussion am 27.3.81) Ich will nicht behaupten, dass bei uns Gleichberechtigung herrscht. Wenn aber unser Anspruch nach Gleichberechtigung verletzt wird, gibt es Widerstand in der Gruppe.


5. Aspekte der Psychiatriereform

Unter Psychiatriereform werden viele alternative Einrichtungen angeboten. An wenigen, die Auseinandersetzungen bestimmenden Beispielen werde ich aufzeigen, dass sie aus meinem Selbstverständnis nicht als Alternativen gelten können. Um zu zeigen, dass grundsätzliche Alternativen möglich sind, gehe ich kurz auf ein Ergebnis des politischen Kampfes in Italien ein, auf das Gesetz 180.

Die bekannt gewordenen Missstände in den Irrenanstalten haben die Verantwortlichen gezwungen, Reformvorschläge zu entwickeln. Mit viel Aufwand, jedoch unter Ausschluss der Betroffenen wurde die Psychiatrie-Enquête erstellt. Mit ihr belegen viele "Fortschrittliche" ihren Reformeifer.

So veranstaltete die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) die erste bundesweite Demonstration am 19.10.80 in Bonn unter der Hauptforderung: Löst die Großkrankenhäuser auf! Abgesehen davon, dass hier ein wohlklingender Name für Irrenanstalt gewählt wird, war und ist ein solcher Prozess im Gange: Die großen Anstalten verringern ihre Bettenzahlen (und damit das Personal), indem sie ihre chronischen, d. h. unheilbaren Patienten in Heime abschieben. Allein in Zehlendorf gibt es über 100 solcher Privatheime, in denen das Elend noch unauffälliger zum Verschwinden gebracht wird. Die Vorteile sind schlagend: Der Abbau der Bettenzahl läßt sich als Psychiatriereform verkaufen, die Unterbringung ist kostensparend (kostet weniger als die Hälfte der Anstaltsunterbringung) und für den Betreiber ein gutes Geschäft, da wenig Auflagen bestehen.

Ein weiteres Mittel, die großen Anstalten zu verkleinern, ist der Aufbau von Psychiatrischen Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern. Falls die DGSP-Forderung wirklich erfüllt würde, gäbe es dann statt weniger Großanstalten viele kleine Anstalten und Abteilungen. Für den Insassen bleiben aber Zwangsunterbringung auf geschlossener Abteilung, Zwangsbehandlung mit chemischen Mitteln, sogenannte Psychopharmaka, und die Stigmatisierung durch die psychiatrische Diagnose.

Anschließend an die erste Priorität, den Aus- und Aufbau der komplementären Dienste, insbesondere des Heimsektors, setzt die Sachverständigen-Kommission als zweite Priorität den Aus- und Aufbau der ambulanten Dienste. (Psychiatrie-Enquête, 1975,

S. 410) Nach Meinung von Frau Dr. Mattheis, zuständig für Psychiatrie beim Senator für Gesundheit und Umweltschutz, ist Berlin da besonders weit, denn wohl mit Stolz schreibt sie:

"Die meisten psychisch Kranken werden ambulant versorgt, und es ist für Berlin festzustellen, daß die ambulante Betreuung von psychisch Kranken im Sozialpsychiatrischen Dienst, bei den Beratungsstellen für Suchtkranke im öffentlichen und im freige- meinnützigen Bereich und in den Praxen der niedergelassenen Nervenärzte und Psychotherapeuten das Rückgrat der psychiatri- schen Versorgung darstellt." (Senator, 1977 in: Bundesministerium 1979, S. 130 f.)

Allein der Sozialpsychiatrische Dienst (SPsD)"betreut" rund 20.000 Menschen, d. h. verwaltet 20.000 Akten. Wie unter Punkt bereits in diesem Buch dargelegt, laufen die Zwangseinweisungen über den SPsD. Es gehört zu seinen Hauptaufgaben als "Rückgrat", dem Kopf der Versorgung, der Irrenanstalt, Patienten zuzuführen. Da nimmt es nicht Wunder, wenn Menschen in Not statt Hilfe eine Zwangseinweisung bekommen, wie einige Insassen uns berichteten, als wir sie vom Beschwerdezentrum aus besuchten.

Durch Zwangseinweisung trägt der SPsD, das Rückgrat der Versorgung, dazu bei, den Menschen in der Anstalt das Rückgrat zu brechen.

Aber auch der SPsD stellt "aufgrund seiner Überlastung mit Fürsorge-, Verwaltungs- und Ordnungsaufgaben ein völlig unzureichendes Präventions-, Beratungs- und Behandlungsangebot" dar. (Legewie, 1980, S. 3) Deshalb wird schon in der Psychiatrie-Enquête die gemeindenahe Versorgung vorgeschlagen: In überschaubaren, geografischen Bereichen sollen stationäre Dienste, (wie psychiatrische Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern) teilstationäre Dienste (wie Tag- und Nachtkliniken), komplementäre Dienste (wie Wohnheime und Werkstätten für Behinderte) und ambulante Dienste eng zusammenarbeiten. Das Angebot sollte erweitert werden, eine möglichst lückenlose therapeutische Kette gebildet werden. Nimmt man die Prävention des psychischen Elends ernst, kann es aber nicht um therapeutische Wohngemeinschaften und beschützende Arbeitsplätze gehen, sondern um Wohnraum und um Arbeitsplätze, die die Menschen nicht kaputt machen.

Um die gemeindenahe Versorgung zu erproben, hat die Bundesregierung ein Modellprogramm "Ambulante psychiatrische und psychotherapeutisch/psychosomatische Versorgung" finanziert. Eins der Modellprojekte ist der Treffpunkt Waldstr. " Beratung in Moabit, den ich mit aufgebaut habe und wo ich zwei Jahre als "Berater" gearbeitet habe. Ich habe erfahren, dass auch dort wieder Ausschluss und Abschieben vorkamen, weil Besucher "störten". Sie sollten dann zum Psychiater gehen und Psychopharmaka nehmen, sie wurden in eine kleinere Irrenanstalt be-gleitet oder ihnen wurde der Treffpunkt verboten, wie mehreren Jugendlichen oder einem Mann, der zwanzig Jahre in Gefängnis

und Anstalt verbracht hatte. Im Nachhinein stelle ich fest, dass dieses Vorgehen zum Förderungsantrag passt, in dem es heißt:

"In einem solchen Modell muß allerdings die Berücksichtigung medizinisch-psychiatrischer Aspekte durch enge Kooperation mit den medizinischen Einrichtungen gewährleistet sein." (Legewie, 1980, S. 5)

Zu den medizinischen Einrichtungen gehören die Praxis des Psychiaters, der in aller Regel Psychopharmaka verschreibt oder eine Depotspritze verabreicht, der SPsD, der auf Zwangseinweisungen spezialisiert ist, und die Irrenanstalt, wo die Menschenverachtung systematisch ist. Dabei dient die Behauptung, die Psychiatrie sei ein Teil der medizinischen Wissenschaft, als Deckmantel für die Greueltaten, wie ich in Punkt 3.5.1. deutlich gemacht habe.

Das bestehende Elend muss mit der Irrenanstalt und der Psychiatrie als legitimatorische Wissenschaft überwunden werden (Vgl. Basaglia, 1973). Es kann also nicht um neue Formen der Psychiatrie gehen, sondern die Abschaffung ist selbst ein positives Ziel. Erst wenn die Irrenanstalten beseitigt sind, wird der Weg frei für wirkliche Alternativen. Solange sie bestehen, gibt es die Möglichkeit, wenn es zu "schwierig" wird, abzuschieben statt sich auseinanderzusetzen. Das gilt sowohl für Bürger als auch für Professionelle, die in Institutionen arbeiten, die die Anstalten ersetzen sollen, ohne jedoch direkt Zwangseinweisungen zu verhindern und Entlassungen zu fördern.

Auf dem Wege, die Irrenanstalten abzuschaffen, muss deren Funktion bloßgelegt werden und das alltägliche Elend öffentlich gemacht werden. Den besten Einblick haben die Insassen, die die

Misshandlung am eigenen Leibe erleben müssen. Ihnen muss Raum geschaffen werden, in der Anstalt wie draußen ihre leidvollen Erfahrungen darzustellen.

Von dem Personal ist zu verlangen, dass es sich nicht weiter dafür hergibt, die Persönlichkeit der Insassen zu zerstören, sondern sich dieser Arbeit verweigern und Partei für die Insassen ergreift (vgl. Basaglia u.a., 1980, S. 13 ff.) Sie sollen darauf verzichten, ihre geborgte Macht auszunutzen, sondern gleichberechtigte Beziehungen anstreben.

Die Alternative ergibt sich aus der Negation des Bestehenden,

"das andere muß sich aus der Überwindung des Bestehenden ergeben... Man muß (das gegenwärtige System) Zug um Zug außer Kraft setzen: in der Praxis." (Sartre, in Basaglia u.a., 1980, S. 40)

Diese Praxis liegt vor in dem zwanzigjährigen Kampf um die Abschaffung der Irrenanstalten in Italien, der von der Demokratischen Psychiatrie geführt wurde, dessen namhaftester Vertreter Franco Basaglia ist. Durch das Gesetz 180 vom 13.5.1978 sind Irrenanstalten, selbst Irrenabteilungen illegal:

"Es ist in jedem Fall verboten, neue psychiatrische Krankenhäuser zu bauen. Es ist ebenfalls verboten, die vorhandenen psychiatrischen Häuser als Fachabteilungen von Allgemeinkrankenhäusern zu benutzen, und es ist auch verboten, in Allgemeinkrankenhäusern Fachabteilungen zu gründen und die vorhandenen neurologischen Abteilungen für solche Zwecke zu verwenden." (Artikel 7, Absatz 2, Übersetzung: Psychiatrie-Beschwerdezentrum Berlin 1981)

Das Gesetz 180 erhält dem Irren ausdrücklich seine persönliche Würde und seine zivilen und politischen Rechte. Eine

Zwangseinweisung ist nur mit Zustimmung des Bürgermeisters und nur für sechs Tage möglich. Soll der Irre länger behandelt werden, muss die Prozedur wiederholt werden. Die Schwerfälligkeit der Bürokratie ist hier für den gesellschaftlichen Fortschritt ausgenutzt worden. Gegen die Zwangseinweisung kann jeder Bürger, auch der Patient selbst, politisch und juristisch vorgehen.

Den hier üblichen und für eine Zwangseinweisung nötigen Vorwand der Gefährlichkeit des Irren für sich oder andere ist dort aus dem Wege geräumt. Hartung spricht von der "kopernikanischen Wende in der Psychiatrie" (1980, S. 162).

Um das zu erreichen, war ein langer und zäher politischer Kampf zu führen, der in der BRD aufgenommen werden muss. Dabei lässt sich die Entwicklung in Italien nicht lückenlos auf die BRD übertragen. Dort ging die Bewegung von den Pflegern und ihren Gewerkschaften aus. Sie rebellierten gegen ihre Arbeitsbedingungen, die sie zu schlecht bezahlten Aufsehern machten. Die Umwälzungen innerhalb der Anstalten, verantwortet von Psychiatern, die ihre Rolle als Folterknechte erkannten und ablehnten, fiel draußen auf fruchtbaren Boden. Er wurde insbesondere von der Kommunistischen Partei bereitet und führte zu einer verän- derten Haltung gegenüber den Verrückten, die in dem Gesetz 180 festgeschrieben wurde. In der BRD scheint der erste Schritt von den Beschwerdezentren und Selbsthilfeorganisationen wie der Irren-Offensive auszugehen.


6. Zusammenfassung

Diese Arbeit ist eine persönliche Arbeit. Ich war selber Anstaltsinsasse. Ich bin betroffen, deswegen kann die Arbeit nur engagiert sein. Ich teile die Wut auf die herrschende Psychiatrie mit den Betroffenen nicht nur, weil ich ihre Funktion mit dem Kopf begriffen habe, sondern weil ich ihre Gewalt am eigenen Leibe erlebt habe.

Wir wollten etwas in Bewegung bringen. Uns war klar geworden, dass Professionelle, sogenannte Experten, nicht nur für die Psychiatrie-Opfer etwas in Bewegung bringen können, sondern nur mit ihnen, weil sie dazu deren Erfahrungen brauchen, weil die Opfer die Erfahrenen, die Experten sind. Die Psychiatrische Aktion im KommRum hatte einen Treffpunkt für beide ins Leben gerufen. Auf dem Treffen im Juni 1980 bildeten die Opfer eine Patienten-Selbsthilfegruppe, in der sie unter sich sein wollten. Dadurch schlossen sie, umgekehrt wie sonst, die Professionellen und Studenten ohne Anstaltserfahrung aus. Ich fühlte mich damals als Mitarbeiter im Treffpunkt Waldstr. Beratung in Moabit mehr als Profi und gründete mit den Ausgeschlossenen die zunächsthilflose Helfergruppe. Aus ihr entstand die Unterstützergruppe der Irren-Offensive, wie sich die Patienten-Selbsthilfegruppe jetzt nannte. Von den Psychiatrieopfern bekam die Unterstützergruppe den Auftrag, die rechtliche Situation in den Irrenanstalten zu untersuchen und später ein Beschwerdezentrum aufzubauen.

Bei dem Bemühen, den Auftrag zu erfüllen, stießen wir auf den SSK (Sozialistische Selbsthilfe Köln, aus einem sozialpädagogi- schen Jugendprojekt entstanden), auf dessen Initiative sich 1977 das erste Beschwerdezentrum gegen Verbrechen in den LKHs (Landeskrankenhäusern) gründete. In Kapitel 4.1. schildere ich auch, welche Skandale das SSK-Beschwerdezentrum in den LKHs in Brauweiler, Düren und Bonn aufdeckte. Im Falle von Brauweiler erzwang es dadurch die radikale Alternative zur Psychiatrie: ihre Abschaffung.

Im September 1980 arbeiteten wir zu dritt eine Woche im SSK und dem Kölner Beschwerdezentrum mit. Im SSK lernten wir eine Alternative nicht nur zur herrschenden Psychiatrie kennen. Dort leben, arbeiten und kämpfen Menschen zusammen, die sonst als der Müll dieser Wohlstandsgesellschaft in den Abschiebeeinrichtungen landen.

Was wir in Köln erfahren hatten, wollten wir dann hier umsetzen. Aus der Unterstützergruppe der Irren-Offensive wurde die Initiative Beschwerdezentrum. Unser Selbstverständnis hatte sich gewandelt, seine Entwicklung ist ein ständiger Prozess geblieben. Wir sind in die Irrenanstalt gegangen, vorzugsweise in die größte Anstalt Berlins, die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. Wir haben das Elend dort kennengelernt. Wie in anderen Anstalten werden dort Menschen wie Vieh gehalten, mit chemischen Zwangsmitteln (Psychopharmaka) ruhiggestellt, ihrer Menschenrechte beraubt, entmündigt, misshandelt und obendrein noch maßlos ausgebeutet, wie in Kapitel 3 dargelegt.

Einige Insassen haben wir bei ihrer Freilassung unterstützt, bei anderen haben wir dafür gesorgt, dass sie einen engagierten Rechtsanwalt hatten. Aus unserer Auseinandersetzung mit der rechtlichen Situation ist die Broschüre "DEINE RECHTE IN DER PSYCHIATRIE" entstanden. Freitags von 15 bis 17 Uhr machen wir Sprechstunde, zur gleichen Zeit ist das Beschwerdetelefon 851 90 25 besetzt.

Beschwerdezentren allein sind keine Alternative zur Irrenanstalt, weil sie keine Lebensmöglichkeiten bieten. Jedoch ist es ein


Stück der Alternative, wenn wir das Elend nicht weiter hinnehmen, sondern dagegen angehen. Die Alternative zur herrschen- den Psychiatrie, die durch die Irrenanstalt gekennzeichnet ist, ist ihre Abschaffung. Das Beispiel Italien zeigt, dass dies möglich ist. Beschwerdezentren können dazu beitragen, Bedingungen zu schaffen, die auch hier einen Prozess in Gang setzen, der die Abschaffung der Psychiatrie zum Ziel hat. Die aktive Beteiligung der Psychiatrie-Opfer ist dabei unerlässlich.

Wie sich gezeigt hat, führt die Gemeindepsychiatrie zum Aufbau neuer psychiatrischer Institutionen, ohne die Irrenanstalten abzuschaffen. Deshalb kann sie für uns keine Alternative sein, vielmehr besteht die Gefahr, die Psychiatrie gemeindenah auszuweiten und dadurch die soziale Kontrolle auszudehnen.

Diese Arbeit ergreift Partei für die Psychiatrie-Opfer. Nicht zuletzt geschieht dies auch, um Wissenschaft zum Erkenntnisprozess (der wirklich Wissen schafft) werden zu lassen. Auf diesem, der Öffentlichkeit entzogenem, Gebiet kann er nur über die Erfahrungen der Psychiatrie-Opfer laufen. Daraus entstand für mich ein dauernder Zwiespalt. Einerseits trieb mich die eigene Betroffenheit und das riesige Elend in die Aktion, andererseits musste ich mich als Forscher zurückziehen, um diese Arbeit überhaupt zu Ende bringen zu können.

Ein Ergebnis der Arbeit ist, dass ich jetzt entschiedenes Mitglied der Selbsthilfe-Organisation von Psychiatrie-Opfern bin: Der Irren-Offensive.

 


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Diskussion
am 27.3.1981
im Psychiatrie-Beschwerdezentrum Berlin


Diskussion am 27.3.81 im Psychiatrie-Beschwerdezentrum Berlin

[HINWEIS: Bei dem "Werner", der sich in diesem Gespräch vielfach zu Wort melden wird, handelt es sich nicht um Werner Fuß, dem das Buch gewidmet ist.]

Klaus: Wir sind dann zu sechs Fragen gekommen in der Diskussion am (letzten) Freitag:

1. Wie jeder von Euch zum Beschwerdezentrum gekommen ist? Was dazu geführt hat?

2. Was jeder davon hält, vom Beschwerdezentrum und der Arbeit, die bisher gelaufen ist

3. Was im Beschwerdezentrum anders ist? Da könnte ein Unterschied sein für Leute, die in der Klapse waren, im Unterschied zur Klapse; für die anderen Leute, im Unterschied zur Arbeitsgruppe an der Universität z.B.

4. Wie ihr die Zusammenarbeit findet von Leuten, die in der Klapse waren, und denen, die nicht drin waren, sogenannte Profis.

5. Was es gebracht hat? Das waren meine Fragen, und dazu kam noch

6. Wie es weitergehen soll? (Nummerierung, Zusatz des Aufschreibers)

(Pause)

FRAGE 1

Klaus: Ja, ich hab das ja mal aufgeschrieben (siehe Motivation zur Arbeit, der Aufschreiber), wie das bei mir war, wie ich dazu gekommen bin, was da eine Rolle gespielt hat: Dass ich selber da drin war, in der Nußbaumallee, 69 war das, dass ich Analyse gemacht hab und danach Manisch-Depressives-Irresein mir bescheinigt wurde und ich mit Lithium behandelt werden sollte. Aber da habe ich nicht mitgespielt. Da bin ich so hart einer psychiatrischen Karriere entgangen, sonst säße ich vielleicht noch heute drin oder so. Dann hat auch so mitgespielt in der Waldstraße, die Arbeit da, ich wollt nicht mehr Therapeut oder Berater sein oder so, dieser Unterschied da; ich will was zusammen machen. Ge gen Irrenhäuser habe ich sowieso was, aus eigener Erfahrung und weil das so eine große Abschiebe ist.

(Pause)

Helmut: Was hat das jetzt mit den Punkten, mit den Fragen zu tun, die du dir gestellt hast?

Wilhelm und Klaus: Das war doch der erste Punkt.

Klaus: Da hab ich was zu gesagt.

Tina: Also, ich bin Betroffene, ich hab, bevor ich in die Irren-Offensive und ins Beschwerdezentrum kam, ein Wahnsinnsohnmachtsgefühl gehabt; die Möglichkeit, dass ich wieder in die Klapse reinkomme, das seh ich einfach, und die Angst hab ich auch noch und dann ist das ne unheimliche Hilfe, endlich offensiv zu sein und was zu tun, und da kann ich auch, ... es sind zumindest einige Leute da, die mit mir dagegen ankämfen, die jemand rausholen würden, wenn jemand reinkommt. Im Beschwerdezentrum seh ich mich also mehr ... also ich kann nicht überall einsteigen und seh mich mehr so als, wie soll ich sagen, so jemand, der so ne Verbindung macht zur Irren-Offensive, in die Irren-Offensive reintragen kann, was hier gelaufen ist und umgekehrt.

(Pause)

Wilhelm: Ich, also mich hat mein schlechtes Gewissen hierhergebracht. Ich, als Psychologe, bin immer in so nem Zwiespalt, in dem großen Boot der psychiatrischen/psychosozialen Versorgung drinzusitzen. Ein Rädchen eigentlich, vielleicht ein nicht ganz so gut funktionierendes wie manch andere in diesem ganzen Apparat, aber doch drin. Ich kann vielleicht noch einzelnen hier und da helfen, aber dies hat mir doch sehr große Kopfschmerzen bereitet so alleine da vor sich hinzuwurschteln. Ich hab lange gesucht, einen Punkt zu finden, wo ich meine, dass es auch sinnvoll ist, so'n bisschen am Fundament dieses unheimlich festgefügten Systems, das hier in Deutschland sehr festgefügt ist, zu kratzen, so"n bisschen, dass so Risse reinkommen. Ich habe also praktisch überall mal reingerochen. Ich war bei den Familientherapieleuten, bei Richter und so wat, also der hat eigentlich schon einen recht, äh – relativ festgefahrenen Status so, fast so wie andere Therapieformen auch, obwohl es immer noch etwas offener und gesellschaftsbezogener zum Teil da gelaufen ist als woanders. Ich war bei der DGVT, Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie, Mammutkongress hier an der Freien Universität, angeekelt bin ich wieder weg (lacht), das war alles so ein Stell-Dich-Ein, und man hatte den Bornemann eingeladen, der ging dann unter mit seiner recht kritischen Anschauung.

Helga: Ernest?

Wilhelm: Ja, ja (Gemurmel). Der hat erklärt, warum er nicht Therapie macht. Das ist ein Psychoanalytiker.

Helga: Der hat mit Reich zusammengearbeitet.

Wilhelm: Ja, ist ein Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs und der hat begründet, warum er nicht, also, obwohl er ausgebildet ist, nicht Therapie betreibt. Das war sein Anspruch (Husten) und, äh, das ging da voll ständig unter, ich fand"s fürchterliche, abgehobene Projektemacherei, denn auf der Mitgliederversammlung, auf dem Kongress, waren so vielleicht 10.000 Leute, war riesig, wahnsinnig viele Leute, Himmel und Menschen, und auf der Mitgliederversammlung der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie waren vielleicht 5.000, 5.000 Mitglieder haben die, waren da 200, 250 da, wahnsinnige Sprüche gekloppt,die mit dem, was da ablief an dem Wochenende, hat mit der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie überhaupt nichts zu tun. Ich habe mir dann abgeschminkt, dass man da irgendwas machen könnte.

Helga: (?) Hab mal ne ...

Wilhelm: Ja, pass" uff, (hust), auf dieser Suche bin ich dann zum Schluss zum Psychatrie-Beschwerdezentrum gekommen, also jetzt nicht zu dem erstmal, sondern zu den anderen, die schon existierten. Mir scheint das also, hm äh, also heute unter diesen Bedingungen der Punkt zu sein, der am meisten bisher gebracht hat, dass in diesem ganzen Bereich am meisten in Bewegung gebracht hat, am meisten Wirbel gemacht hat, ja, und das liegt ganz sicherlich natürlich daran, dass es eben nicht von den Experten ausgegangen ist, die in Deutschland sowieso immer ...

Helmut: Entschuldige.

Wilhelm: ja.

Helmut: dass ich dich unterbrechen muss, aber ich glaub , da sind noch andere da. Eine andere Person: Mensch, lass ihn doch mal ausreden.

Wilhelm: Ich bin ja gleich fertig. Ich wollte nur sagen, welche Stationen ich durchgemacht habe, bis ich hierhergekommen bin. Ist also, äh, dass Leute, die selber aus diesem System oder in diesem System dringesteckt haben als Betroffene, Patienten, die Wirbel gemacht haben, sehr viel mehr Fragen gestellt haben, als die anderen, die Sprüche (gemacht haben). Deswegen bin ich eigentlich hier.

Helmut: So, darf ich jetzt?

Klaus: Vielleicht kann ich nochmal sagen der Helga, du bist ja dazugekommen.

Helga: mh – Die Leute sagen jetzt hier, wie sie dazugekommen sind.

Helga: ach so, ja.

Helmut: Gut, ich möchte zu der ersten Frage was sagen, wie ich hierher gekommen bin. Das war in der Zeit, wenn ich mich erinnere, 1980 im November (Juni, Korrektur des Aufschreibers), da war das KommRum also ziemlich noch nicht aufgebaut, da fehlte hier noch der Tresen, und ich kann mich daran erinnern, dass ich am Tresen mitgearbeitet habe, also da was repariert habe, den hergestellt habe, und ich kann mich auch daran erinnern, dass ich mit eine Decke gezogen habe und ich damals noch in der Psychiatrie war und ich habe mich sehr gefreut, aber mir war das alles noch nicht so bewusst, dass es hier Menschen gibt, dass es hier einfach zwar auch Menschen gibt, die oftmals übertreiben, so Sprüche machen, aber andererseits ist hier ne Gruppierung da, ne Bewegung, und da seh ich vieles Positives, und das hat mir Hoffnung gegeben, Hoffnung für mich, also mich aufzuklären, tatsächlich ... (unverständlich), nicht nur über mich selbst was zu erfahren, sondern auch über viele andere, mit denen ich gern Zusammensein möchte. Ich hatte dabei große Schwierigkeiten, aber ich glaube, dass ich jetzt da angekommen bin, wo ich diese Schwierigkeiten langsam ... alles einfacher und leichter. Andererseits hab ich auch die Angst, dass es irgendwie doch wieder schwer wird. Das ist, warum ich hierhergekommen bin. Zum Beschwerdezentrum möchte ich sagen, dass es eine gute Sache ist, aber dass zu wenig gearbeitet wird. Man könnte ohne Weiteres, das soll jetzt kein Angriff sein, (Pause) wenn ich dran denke, was ich mit meinen Scheiß ich sag extra Scheißeinzelaktionen, bisher versucht habe, waren das sehr große Erfolge. Ich versteh an sich mein Schweigen nicht, doch ich sag ja anderseits auch, dass ich das langsam gelöst hab, da beginnt meine Veränderung, mein Werden, und ich denk mir, dass manches besser wird. Ich kenn jetzt nicht die anderen Fragen, auf die ich auch gerne antworten möchte. Kannst du mir vielleicht deinen Block geben oder –

Adam: Mach doch mal nur zu der einen Frage.

Helmut: Ich hab jetzt zwei Fragen.

Klaus: Ja, du hast zwei Fragen. (Pause, lange)

Helga: Bin ich jetzt an der Reihe, ihr guckt jetzt alle zu mir – ja, also,

ich bin jetzt vier Wochen in Berlin, komme aus Bremen und studiere Sozialpädagogik im Schwerpunkt Psychiatrie und hab überhaupt keine Lust gehabt, wie die anderen Leute in die Psychiatrie zu gehen, nach Bremen. Und hab jetzt im Alternativen was gesucht, zu sehen, was gibt's da überhaupt und Anregungen in der Universität, wo ich auch dachte, ich kann im Rahmen der kurzen Zeit mich auch irgendwie beteiligen. Also bin ich über Bernd vor allen Dingen hierhergekommen. Überhaupt zum KommRum bin ich durch Barbara gekommen, eine Psychologin vom GSPB, Mommsenstraße, und ich hab einen ganz positiven Eindruck, den nehm ich jetzt mit nach Bremen ... Ich will jetzt mal sehen, ob es so was auch in Bremen gibt. Mir ist da zwar nichts bekannt, aber etwas Ähnliches wird's schon geben.

Gerhard: Ja, es waren mal Leute aus Bremen hier.

Helmut: Kennst du die Adressen?

Helga: Die, die du mir gegeben hast?

Werner: Ja, es waren über zwanzig Leute hier.

Helga: Ich kenn' die zwanzig zwar nicht, aber ...

Klaus: Dann treffen wir uns ja spätestens auf dem Gesundheitstag in Hamburg.

Helga: Ja, ich hab' vor dahinzugehen, wenn's irgendwie möglich ist.

Helmut: Mit Säugling? (Gelächter) Hier kommt jetzt im ICC ein großer

Ärztekongress, ich hab's vor Kurzem im Radio gehört.

(Gespräch über Gesundheitstage und Ärztetreffen, im Durcheinander unverständlich)

Helmut: Geschichte vom schwarzen Mann ... Meine Zeit des Schweigens war von 1968 bis 1951.

Helga: Hast du gar nichts gesagt?

Helmut: Doch, ich hab' schon was gesagt ... (nicht verständlich)

Werner: Achtung, jemand will sprechen!

Virginia: Jaa, äh, ich komm zufällig hierher und zwar durch Einzeltherapie hier und dann hab ich den Gerhard und Rainer (Werner?) kennengelernt, die machen hier mit und sind sehr nett, das ist schon interessant, also dass sie auch sensibel sind für manche Situationen hier, sensibler als manche andere ... denke, dass ich hier vielleicht mitmachen kann, Interesse hab, mal in die Klinik zu gehen, ja das interessiert mich eben.

Eva: Ja, ich fang mal an; im November 1980 war das, glaub ich. Adam und Max, ihr beide habt mich besucht, haben mich eingeladen zum Kaffeetrinken ins KommRum, also überhaupt, das hat mir gar nicht gefallen, ich wollte gar nicht mehr her, weil ich überhaupt keinen Kontakt gefunden hab. War mit meiner Zimmernachbarin aus der Klapse ganz allein am Tisch gesessen und niemand hat sich um uns gekümmert, bis Adam gekommen ist, der hat einige Worte mit mir gewechselt. Dann wollt ich überhaupt nicht mehr herkommen und dann dacht ich, naja, versuchs doch noch mal, ne, wie war denn das, wie war das –

Adam: Du wolltest raus.

Eva: Ja, ihr habt mich gefragt, ob ich mal ins Beschwerdezentrum komm oder so.

Adam: Und du wolltest die Pflegerin loswerden.

Helga: Hast du die los, mittlerweile?

Eva: Die hab ich los, ja. Dann bin ich ins Beschwerdezentrum gegangen,find ich ganz gut, hauptsächlich also das mit dem Kontakt, wenn ich aus der Klinik entlassen bin, Kontakt zu Leuten, die sich dafür interessieren, auch Nicht-Betroffene.

(Pause)

Helmut: So, jetzt bist du dran! (drängend)

Werner: Ich denke nicht dran! (lacht)

Helmut: Dann vergess es!

Werner: Warst du denn schon fertig?

Eva: Ja.

Werner: Jaaao, ich bin also tatsächlich auch ein Betroffener, äh, bin eigentlich über die Irren-Offensive hierhergekommen, ich wollte in der Irren-Offensive mehr mit den Leuten was machen, und das war da in dieser Form, glaub ich nicht möglich, und da hat man mir eben gesagt, es gibt da ein Beschwerdezentrum, geh doch mal dahin, und das hab ich getan, und ich muss also sagen, dass ich nicht ganz begeistert bin zwar, aber es ist ungefähr das,was ich mir gedacht habe. Denn man kann was tun, und ich glaube, man kann auch etwas in Bewegung setzen. Ich bin aus der Klapse abgegangen und hatte eine ganz fürchterliche Aggression auf diese Gesellschaft, am liebsten hätte ich ein Maschinengewehr genommen und diese ganze Regierung erschossen und in dieser Form, naja, ist es wohl doch nicht möglich und meine –

Helga: Wird auch nichts bringen!

Klaus: Das stimmt! Eine andere Person: Richtig!

Werner: Verständlich (mehrstimmiges Gelächter), und diese Aggression, die muss ich also umwandeln in eben andere Dinge. Das tu ich eben auch. Deshalb bin ich auch hier, um dieser Aggression einen Fluss zu geben. Tja, das war's.

Klaus: Ja.

Max: Ich bin zwei Jahre und einen Monat in der Psychiatrie gewesen und hab jetzt immer noch eine Beschwerde offen

(Pause)

Helmut: Jetzt kommt ne Beschwerde! (mit Nachdruck)

Helga: Ne Beschwerde?

Eva: ... die sich angesammelt haben in den zwei Jahren?

Max: Ja.

Helga: Was noch zu klären ansteht?

Max: Ja.

(Pause)

Klaus und Helga wollen etwas sagen.

Max: Ich mag kein Interview.

Klaus: Du magst kein Interview. (Gemeines, schadenfrohes Gelächter im Hintergrund)

Klaus: Ne, also das hab ich bisher noch gar nich so mitgekriegt, oder vielleicht versteh ich das falsch. Du bis hier, damit die noch offene Beschwerde geklärt wird?

Max: Ja

Klaus: Ja – ja, du hast da was erzählt, aber das haben wir wohl nicht gemacht.

Max: Ja. Ja, ich komm ja auch dauernd hierher.

Werner: Du sagst uns ja die Beschwerde nicht (lacht dabei)

Gerhard: Aber das ist schon richtig, so versteh ich auch ein Beschwerdezentrum Berlin, dass man die Beschwerden, die man hat, dass man die mit jemand abklärt, in kleineren oder größeren Gruppen und nicht, dass man erst sich um Probleme anderer kümmert, sondern erst um die eigenen und dann um die Probleme anderer. Wenn man erst in die eigenen Probleme Einsicht hat, kann man auch Einsicht gewinnen in die Probleme anderer.

Werner: Da geht man in die Irren-Offensive, für die eigenen Beschwerden.

Klaus: Hast Du denn auch ne Beschwerde?

Gerhard: Aber sicher!

Klaus: Ja?

Gerhard: Aber natürlich.

Werner: Wer hat denn keine?

Klaus: Ja, äöh.

Gerhard: Ich bin aus der Irren-Offensive raus, weil die Leute meine Probleme, meine Beschwerden, weil die nichts damit zu tun haben wollen.

Klaus: Ich weiß nicht, mir fallen jetzt zwei Begriffe von Beschwerden auf, Beschwerden im Sinne von mir tut wat weh...

Gerhard: Nein, nicht Beschwerden physischer, sondern psychischer (Art) und Beschwerden mehr gerichtlicher Art: Ich will meine Pflegschaft loswerden, ich will mit dem Problem Pflegschaft fertig werden, und (Pause) aber ich werd trotzdem nicht mit meiner Pflegschaft fertig.

Helga: Bitte? –

Gerhard: Ich brauch, äh, sehr viel Kontakt, z. B. in Bezug auf Formulare Ausfüllen oder so, weil das ist meine Schwierigkeit, deshalb hab ich einen Pfleger und weil ich eben immer alles Mögliche unterschreibe. (Pause). Zigarette aus hier!

Helmut: Was?

Klaus: Du weißt das doch, das sieht man doch schon, wie du deine Zigarette hältst!

Sophia: Ich versteh das nicht ... was hier schon passiert ist

(unverständlich)

Gerhard: Der Klaus ist anständigerweise rausgegangen mit der Zigarette und der kommt –

Helmut: Ich bin ja auch kein anständiger Kerl, hä.

Uwe: Das ist ja genau, was allen hier das Leben schwer macht. Der eine meint, das ist richtig, dann kommt der andere und meint, nee, find ich nicht, genau det is et, warum, genau, das ist nämlich der Punkt, mit dem wir uns unser ganzes Leben rumzuprügeln haben, die Fehlerhaftigkeit anderer Leute. Naja, dass andere Leute deine Vorstellungen ewig 'nen Strich durch die Rechnung machen. Das ist letztlich das, womit wir unser ganzes Leben uns rumzuschlagen haben.

(Gemurmel)

Wilhelm: Darüber beschwer ich mich jetzt überhaupt nicht (übers Rauchen)

Gerhard: Ich versteh nicht, dass sich alle Leute mit allem, was sie denken, was sie empfinden, sich selbst damit identifizieren, das versteh ich nicht, wie viel Prozent von dem, worüber man sich Gedanken macht, wo man zufällig rankommt, das sind ja nicht immer Gedanken, die aus Problemen entstanden sind, das sind ja auch Gedanken, die einfach freien Lauf nehmen, die emotional bedingt sind, (gähn) Ich erleb immer, also als Kuckuck, ich möcht 'n Kuckuck bleiben und mich als Kuckuck besser entwickeln (lachen), erleb ich immer wie viel Dinge so in diesem Sinne –

Helmut: (singt) Auf einem Baum ein Kuckuck ...– (Durcheinander)

Uwe: Also ich fand das Lied, was du da eben kurz gesungen hast, das hab ich nie gemocht, da hab ich immer Angst gekriegt als Kind

Gerhard: Ich bin ein – ich weiß wenig über'n Kuckuck, vor vor allen Dingen über das männliche Teil vom Kuckuck, ich weiß über'n weiblichen Teil vom Kuckuck mehr als über'n männlichen Teil, aber, äh

Helmut: Ich hab nur angenommen, wir sind im Beschwerdezentrum Berlin.

Gerhard: Ich identifiziere mich mehr mit dem männlichen Teil

Helmut: Hat denn jemand noch Beschwerden gehabt?

Wilhelm: Ihr habt bis jetzt von Beschwerden gesprochen so allgemein, dass ich Schwierigkeiten hab, das zu verstehen.

Max: Da ist zum Beispiel, als ich eingesperrt war, wie 'ne Frau sein musste. Reicht das?

Klaus: Wie? Ich hab's akustisch nicht verstanden.

Max: (unverständlich) (großes Gelächter)

Helmut: Jetzt habt ihr was Ekelhaftes gemacht.

Werner: Was denn?

Helmut: Erstesmal habt ihr seinen Satz herausgefordert, dann hat er seinen Satz gesagt, ich finde es zwar schön, dass ihr lacht, aber andererseits finde ich es nicht schön, dass er betroffen ist.

Wilhelm: Ich wollte dir den Satz auch nicht rauslocken, ich wollte dich eigentlich noch weiterfragen, weil du's nur angedeutet hast, wusst ich jetzt nicht, ob du jetzt über uns auch sauer bist, weil keiner weiß, was deine Beschwerden sind.

Max: Oder irr ich mich hier, was soll denn der Scheiß da, ich denke, ich bin im Beschwerdezentrum Berlin.

Wilhelm: Ja, ich weiß nicht, was du von uns willst?

Max: Willst du dich prominent machen mit meinem Problem?

Gerhard: Also ich möcht mein Problem angehen, ja also vor allen Dingen bin ich sauer auf meinen Pfleger, der die Probleme nicht mit mir bespricht, der hat vierhundert andere Leute neben, unter sich und über sich hat und die Probleme einfach nicht mal mit den Leuten angeht, die irgendwie bei ihm in der Pflegschaft sind.

Werner: könnte man, könnte man ...

Gerhard: lch möcht ja nicht nur verwaltet werden, sondern ...

Werner: Du, könnt man nicht erstmal dieses Interview fertigmachen?

Gerhard: Er sagt doch, er sagt doch, er wollt wissen ...

Werner: Ich hab das Gefühl, das hat gar nichts mehr mit dem zu tun, was wir gerade gemacht haben.

Eine andere Person: Warum denn nicht?

Gerhard: Warum ich hier bin.

Klaus: Ja.

Werner: Ach so, da hab ich gar nicht, das hab ich missverstanden.

Max: Also ich hab den Eindruck, dass sich hier einige Leute zurückziehen wollen aus, aus, äh, für mich ist das vollkommen klar, dass sobald, ich hier mitarbeite, ich auch 'n Grund habe und den hab ich vorhin gesagt ... (unverständlich) und das tipp ich auch nicht

(Pause)

Adam und Klaus: Ja, ja.

Max: Ich hab keine Lust, das 'nem Professor in die Hand zu geben.

Klaus: Ja, wir können das so machen, ähem, dass wir das Tonband abstellen, wenn du was sagst, wenn du es nicht draufhaben willst.

Max: Ich hab jetzt nichts mehr zu sagen, ich wollt's sowieso nicht.

Klaus: Ah ja.

Adam: Also ich hab studiert, bevor ich ins Beschwerdezentrum gekommen bin. –

Helga: Ich dachte, du studierst noch.

Adam: Immer noch. (Lachen) Es ist mir jetzt wichtiger geworden, auf die Art und Weise über's KommRum und Beschwerdezentrum halt was mit Psychologie zu tun zu haben, mit Menschen und da 'n Feld gefunden zu haben, ja, öh, ich andere Sachen machen kann, als wenn ich als Psychologe irgendwo arbeiten würde oder mich darauf vorbereiten würde. Ich hab auch lange vorher so wie der Wilhelm ... gesucht nach irgendwelchen Möglichkeiten.

Wilhelm: Wir haben uns auch ein paar mal getroffen dabei. (Lachen)

Adam: ... nach irgendwelchen Möglichkeiten, halt nicht als Psychologe arbeiten zu müssen, sondern in einem Feld, und mich hat auch schon lange die Psychiatrie interessiert, hat ich als Schwerpunkt im Studium gehabt, naja, und dann halt hier vom KommRum gehört, so 'n Möglichkeit, mit anderen Studenten zusammen hier Praktikum oder sowas Ähnliches zu machen, bin an die Psychiatrische Aktion geraten und dann, dann dieses Kaffeetrinken und dann die Irren-Offensive und das, ach so, da hieß es ja Helfergruppen, die daraus entstanden sind. Die Irren-Offensive als Selbsthilfegruppe, und da gab's noch so'n Häuflein Studenten, die auch in der Richtung was machen wollten, konkret und dagegen und so und da hab ich mich dann zugeschlagen. Und über, ja, – so’n bisschen konkreter ist es dann geworden beim Besuch beim SSK in Köln, da ist es dann ...

Helmut: Hotel Astor, Hotel Astor.

Adam: konkreter geworden, ein Beschwerdezentrum aufzumachen.

Helga: Was ist SSK?

Adam: Sozialistische Selbsthilfe Köln, das sind Leute, die zusammen leben und arbeiten und auch ein Beschwerdezentrum aufgebaut haben, auch Leute aus der Psychiatrie aufgenommen haben, die da mitleben und arbeiten können und auch Häuser besetzen gegen die Spekulanten da in Köln und Versicherungen, die sind ziemlich drin im Geschehen in Köln. Ne Gruppe, die wohl unheimlich viel Erfahrung hat ,und die weiß wohl von der Geschichte, was in den letzten zehn Jahren in Köln so abgelaufen ist. Wo alle möglichen Gruppen hinkommen, die irgendwelche Aktionen planen wollen, der SSK weiß, wo-strategisch am besten Bescheid, wie man vorgehen kann.

(Pause)

Einige Personen: mh, mh, mh.

Helmut: (unverständlich)

Gerhard: Also ich stell immer wieder fest, dass nicht immer wieder, sondern, dass ich eigentlich jemand bin, ein Teil der Leute, die im Beschwerdezentrum ist, zu den Leuten zählt, die mehr als Unterstützer sind und die anderen, die mehr als Benutzer sind.

Adam: Benutzer, Benutzer bin ich auch, also von, von 'ner Gruppe, die mit mir zusammen was tun will und die sich auch persönlich untereinander tragen kann und auch als Ausgeschlossener würd ich's auch nicht einsehen, selbst in die Psychiatrie zu kommen, das heißt, dass da noch einiges passieren kann, zu sehen, dass, dass es dann möglich ist, wie es sich auch bei der Rosa gezeigt hat, dass es auch so aufgefangen werden kann, das find ich schon ganz gut.

Helmut: Hujuhuu (klatscht)

Klaus: Max, was du sagst, klar hab ich ne Beschwerde, wenn ich im Beschwerdezentrum mitmache, ne, das hat des bei mir überhaupt klargemacht, ich hab auch ne Beschwerde, ne, gegen die Psychiatrie insgesamt, als Einrichtung, ich bin so im Studium draufgekommen, dass das der Knackpunkt ist von der Arbeit, die Psychologen machen können. Wenn du Therapie machst, da veränderst du vielleicht den Menschen, wenn du Glück hast, ja, aber der Knackpunkt ist für mich die Psychiatrie, und beschweren heißt für mich auch anklagen.

Helmut: (posaunt) Die Justiz, die deutsche Bürokratie. Übrigens, da ich denke, dass wir hier im Beschwerdezentrum sind, habe ich eine Beschwerde über 10.000 Mark vorzubringen, die eine sozialtherapeutische Einrichtung betrifft ...

Werner: Helmut, kannst du mal die Sophia reden lassen?!

Helmut: Ach so, die ist dran, ja, die hat längst ...

Uwe: Na, ich meine, wenn wir hier im Beschwerdezentrum sind, und irgendwas zu beklagen haben, dann nützt das überhaupt nichts, wenn die Klagen nur die hören, die in diesem Raum anwesend sind, sondern dann müssten wir uns endlich mal um Verbindung kümmern und bräuchten wir eigentlich echt mal, also, paar Minuten Sendezeit im Sender Freies Berlin oder wir müssten 'n vernünftigen Artikel schreiben, der ne Chance hat, in den Tagesspiegel zu kommen.

Klaus: Haben wir schon, letztes Mal

Helga: ... Letzte Woche ...

Klaus: ... war 'ne Frau vom Sender Freies Berlin da, das wird dann gesendet Samstagnachmittag im Juni, und inzwischen sagt der Werner mir, der nicht da ist, dass, äh, 'n Typ, der heißt Udo, vom SFBeat, äh, das machen will, wenn wir innerhalb von vierzehn Tagen dies Beschwerdetelefon machen, 'ne, ansonsten ist noch nicht viel passiert.

Helmut: Was kostet das Beschwerdetelefon?

Klaus: Kost nichts, das Telefon steht ja hier, wir müssen's nur besetzen.

Helmut: Da erklär ich mich bereit, das Telefon zu besetzen.

Adam: oh!

Klaus: Ja.

Uwe: Da müsst ihr aber vorher erst mal ...

(Durcheinander)

Klaus: Ich würde vorschlagen, am Ende da 'ne Liste zu machen oder so, wer wann macht oder so.

(Pause)

Uwe: Naja, dann ist vor allem wichtig, die Zeitung auch mal endlich an Land zu kriegen, die Zeitung von der Irren-Offensive.

Adam: Entweder erzählst du jetzt was dazu, wie du hergekommen bist, oder die Sophia erzählt.

Uwe: Wie ich hierher gekommen bin, soll ich jetzt erzählen?

Tina: Warum?

Helmut: Aber an sich war die Sophia erst dran, ne ...

Uwe: Ich weiß gar nicht, warum das notwendig ist –

Adam: Ja, dann sei ruhig!

Uwe: Wir müssen einfach – du verbietest mir nicht den Mund!

Adam: Ich verbiete dir nicht den Mund, ich sage, dass wir jetzt darüber reden (Durcheinander) die, die hergekommen sind ...

Uwe: Ich möchte auch nicht, dass hier irgendwas eskaliert. Wir müssen uns mal tatsächlich akzeptieren.

Tina: Uwe, vielleicht hast du nicht mitgekriegt, wir haben letztes Mal beschlossen (mit Nachdruck), dies Interview durchzuziehen.

Uwe: Ne, ich weiß nicht, ...

Adam: Du bist später gekommen (heftig), wir haben letztes Mal wirklich beschlossen, dies Interview zu machen. Wenn du das jetzt nicht mitmachen willst, kannst du rausgehen.

Uwe: Eben ging's um ganz was anderes.

Adam: Ja, weil du das reingebracht hast.

Helmut: Es geht für mich klar, klipp und klar, dass die Sophia was zu sagen hat. Halt dein Maul!

Uwe: Ne, Sophia hat jetzt was zu sagen und nicht zu dem Zeitpunkt, wo ich was sagen wollte. Ich wollt eigentlich ...

Helmut: Du hast genug gesprochen, und du hast hier 'ne Drohung ausgesprochen, du hast hier ne Drohung ausgesprochen ...

Uwe: Dass, wenn ich mal was zu sagen habe, dass ihr mir halt auch mal, mal wirklich auch 'n paar Minuten Zeit lassen müsst, bis ich det, was ich sagen wollte, auch so gesagt habe, dass ihr in der Lage seid mit eurem Miniverstand das auch zu ... hä, hä, hä, hä

Tina: Jetzt hör mal zu!

Uwe: Ich will auch echt nur so sagen, dass ich meine, die ganzen Initiativen, die ihr gemacht habt, beim Sender Freies Berlin und, naja, ich weiß nicht ...

Adam: Das war gar nicht das Thema. (Heftiges Durcheinanderschreien)

Tina: Jetzt hör mal zu ...

Uwe: Es geht hier eben darum, dass wir …

Tina: (außer sich, mit überschlagener Stimme) Der Klaus hat hier eine Frage.

Uwe: Schrei doch nicht

Tina: (gesteigert) Hör jetzt zu!!!

Uwe: Nein!

(Erregtes Durcheinanderschreien)

Tina: Wer meinst du denn, wer du bist?

Uwe: Lass mich doch mal eine Minute ... (Durcheinander)

Helmut: Wir brauchen keinen Bundesparteitag!

Uwe: Pass mal auf, ich meine, lasst mich doch mal 'ne Minute aus...

Helmut: (schreiend) Wir brauchen keinen Bundesparteitag!

Uwe: Dann kann meinetwegen reden, wer gerade möchte.

Sophia: Wenn du was wichtiges zu sagen hast, heb dir das doch lieber auf, für den Moment, wenn jemand bereit ist, dir wirklich zuzuhören.

Uwe: Für den übermorgigen Tag heb ich mir auch noch was auf ... (Chaos)

Helmut: Brauchst du Therapie?

Uwe: Lasst mich doch irgend 'ne Sekunde mal irgendwas aus sprechen, dann könnt ihr irgendwas dazu sagen, aber nicht wenn ihr mich mittendrin nach anderthalb Sätzen unterbrochen habt.

(Chaos)

Wilhelm: Wir möchten gerne von allen unter uns, möchten wir wissen, warum und weswegen wir hierhergekommen sind, um uns besser kennenzulernen. Das würden wir von dir gerne auch wissen.

Tina: Das ist ein Interview, da stellt der Klaus immer eine Frage und da versucht jeder drauf zu antworten.

Uwe: Ich glaub, ihr seid euch noch nicht im Klaren darüber, weswegen ihr hier seid.

Helga: Na, hier läuft so 'n Tonband schon die ganze Zeit, das wird sehr erfrischend sein, das dann anschließend zu hören.

Gerhard: Das wird mit Ton und Film gesendet werden, im SFBeat, oder ... damit du endlich mal 'n Eindruck von dir selber bekommst!

Uwe: Das ist auch mal günstig.

Sophia: (stöhnt Lachen, Durcheinander)

Adam: Lass doch erstmal die Sophia machen.

Sophia: Also, darf ich jetzt anfangen?

Adam: Ja.

Sophia: Ja, ich bin eigentlich auf zwei Gleisen hierher gekommen, die eine ist, dass ich Psychologie studiert habe und während meines Studiums eingehendst theoretisch beschäftigt habe, Antipsychiatrie und und und, ziemliche Rosinen im Kopf hatte und nach dem Studium im institutionellen Rahmen gearbeitet habe, in eigentlich einem recht guten Team, und gemeint hatte, da könnte man 'ne ganze Menge machen, der Erfolg war dann eben, dass das gesamte Team geflogen ist, was für mich ein ungeheurer Schock war und mich auch fürchterlich runtergezogen hat und, ja, ich vor mich hingepräpelt habe und eigentlich immer mehr dahin gekommen bin, dass eben so im institutionellen Rahmen also nichts drin ist, oder nur sehr wenig drin ist, dass Grenzen eben ganz schnell gezogen sind und, ja, eigentlich von dem hier eine ganze Menge erwartet habe. Die andere Seite ist die, dass ich selber eigentlich, und vielleicht ist das auch überhaupt der Grund, warum ich Psychologie studiert habe, ja, Zeit meines Erwachsenseins verfolgt werde von der Angst, in der Klapse zu landen. Jetzt bin ich auch wieder theoretisch beschäftigt habe mit den Zuständen in der Klapse, die mir fürchterliche Angst machen, ich aber noch nie 'ne Klapse von innen gesehen hatte, das erste Mal überhaupt hier, ja, und hier eigentlich 'ne Möglichkeit sehe, sich den Platz zu suchen zu können (?), was einmal für mich überhaupt ein Bedürfnis ist, aus diesen Ängsten heraus, und zum anderen eben auch so als Ausgleich für beruflichen Schwachsinn, den ich so mache bisher,

(Bandende. Seite 1)

Helmut: Den Anzug, den kauf ich mir aber, der sieht aber gut aus!

Gerhard: Das braucht man doch nicht zu überlegen, das weiß man doch so!

Klaus: Die Frage hast du verstanden, ja?

Martin: Ja, wieso ich hierherkomme.

Adam: Überhaupt ins Beschwerdezentrum.

(Pause)

Du bist ja schon oft hier gewesen.

Helga: Das ist wohl deine Beschwerde

(Mehrfaches Lachen, darin untergehendes Reden)

Martin: Ja, ich bin auch ins KommRum gekommen, über das Kaffeetreffen im September, da hab ich dann halt auch die lrren-Offensive kennengelernt, und dann hab ich halt gesehen, dass die Irren-Offensive größtenteils so als Selbsterfahrung abläuft, und das Beschwerdezentrum, die Irren-Offensive ist da anders, ja noch Konkreteres gegen die Psychiatrie halt macht, also nicht nur so 'ne Art Selbsthilfegruppe ist, sondern auch eine Arbeit betreibt, um die Verhältnisse in den Klapsen aufzulösen, deshalb komm ich her.

(Pause)

Klaus: Wolltest du da noch was sagen, Uwe?

Uwe: Mh, wenn ich darf, ausnahmsweise.

Klaus: Ja.

Uwe: Wenn sich die Leute nicht immer selbst am Wichtigsten halten. Ja. ich mein, ich denke für meinen Teil, dass jeder etwas dazu beitragen sollte, ähm, Klagen von Leuten oder Beschwerden (Klaus rülpst) zusammenzutragen, hier zusammenzutragen, um dann über, ähmähm, einen möglichst großen Umfang zu verfügen, dieser Beschwerden, und die dann irgendwie zu sammeln, auszuarbeiten und mit dem wir dann, dann haben wir was auf der Hand, und können dann damit irgendwohin gehen und sagen, hier, das ist das, was wir in einem Jahr an beschissenen Zuständen in der Psychiatrie zusammengetragen haben. Wir müssen aber irgendwas, müssen was sammeln, irgendwelche Informationen sammeln, wir können nicht, meinetwegen mit irgendeinem Luftschloss zu irgendwelchen Verantwortlichen hingehen und sagen, da ist es beschissen, dann denkt er sich, ja, weiß ich ja und, sondern wir müssen das irgendwo, wir müssen – das mit dem Beschwerdetelefon, das ist für mich 'n guter Gedanke, es ist eine notwendige Voraussetzung, das zu erreichen, was wir uns vorgenommen haben. Und das heißt unter anderem, dass es beim Beschwerdetelefon allein nicht bleibt, sondern, dass wir uns selbst um Informationen und Beschwerden kümmern müssen, und die müssen so weitreichend sein, wie's geht, und in erster Linie die stationären Zustände betreffen, und dann, wenn wir dies ein Jahr oder meinetwegen ein halbes Jahr kontinuierlich gesammelt haben, dann wird das Ganze zusammengefasst, und ich meine, dann können wir zum Beispiel einmal im Jahr 'ne Pressekonferenz geben über Zustände in den Stationen, und dabei eben feststellen, hat sich etwas geändert oder hat sich nichts geändert, äh, wenn sich nichts geändert hat, ist die Notwendigkeit eben umso größer, etwas zu tun, hat sich etwas verändert, dann ist die Notwendigkeit der Veränderung bei Weitem nicht kleiner geworden, und ich meine, um so weit zu kommen, müssten wir jetzt alle anfangen, was zusammenzutragen, genauso, wie wir was zusammentragen müssen, wenns endlich mal zur Zeitung kommen soll; und das Gleiche müsste sich auch hier abspielen.

Sophia: Das sind deine Appelle, aber warum bist du hier?

Uwe: Ja, ich bin eigentlich hier, um eben diese, eben diese Methode, ein paar von den Methoden, die wir haben, hier vorzuschlagen, ähm, so vorzuschlagen, dass die Leute das verstehen, dass es so oder ähnlich nicht anders geht und dass, dass möglichst viele Leute erfahren müssen, was konkret beschissen ist an der Psychiatrie, dass es beschissen ist, weiß jeder, oder fast jeder oder viele, aber was beschissen ist und wie beschissen es ist, das wissen sie nicht und darum dafür müssen wir eben arbeiten, und wir müssen dann eben konkret jede Menge Leute finden, die mit uns zusammen erst in der Lage sind etwas zu verändern, wir alleine sind zu schwach. Gegen die ganzen Institutionen und gegen den ganzen politischen Apparat und alles anzukommen, allein dadurch, dass wir die Gesprächsrunde hier machen, also dass einer nach dem andern gefragt wird, jetzt meinetwegen, Runde heißt auch was anderes, aber in dem Punkt sag ich mal, jeder müsste mal an jedem zweiten Tag erzählen, warum er hergekommen ist, und ich glaube nicht, dass also dadurch irgendwelche Leute auf unsere Seite gezogen werden können, die mit uns gemeinsam gegen diese Missstände angehen können, abgesehen davon, dass die Kla gen, die wir haben, nur in diesen Wänden bleiben, deswegen seh' ich allgemein schwarz, dass wir, auf welchen Zeitraum auch immer, effektiv was erreichen. Wir müssen uns einfach konkrete Methoden einfallen lassen, und eben aus der Notwendigkeit heraus, also dieser Tatsache heraus und auch aus der Notwendigkeit heraus, dass was geändert werden muss und eben durch 'n Konzept, das praktikabel ist, deswegen bin ich hergekommen, weil ich meinen Beitrag dazu machen will, das zu erreichen, was wir uns vorgenommen haben, was natürlich für mein Verständnis echt nur geht, wenn man jemand tatsächlich so lange aussprechen lässt, wie er gerne sprechen möchte. Das ist eine der Grundprinzipien der Menschenrechte. Man kann nicht einerseits auf die Straße gehen und gegen Argentinien schimpfen und andererseits quatscht man hier laufende Meter andern Leuten dazwischen, ne, verstehste?

Helmut: Hilfe!

Uwe: Also, das geht nicht.

(Pause)

Helmut: (singt) Sooooo geht das nicht, sagt der alte Sozialdemokrat und spricht; und spricht, aber ändern, das will er nicht.

Klaus: Das war, was du sagen wolltest, ja?

Frau: Also Scheiße, auf deutsch gesagt.

Klaus: Ja, da hast du ja schon einiges gesagt, was du vom Beschwerdezentrum ältst und seiner Arbeit.

Uwe: Ja, manche Leute sagen, ich habe zwanzig Minuten geredet, aber da waren's tatsächlich nur zehn Minuten. Mir soll's ja nur recht sein, wenn die andern Leute unrealistisch sind und wenn sie mich noch dazu als unrealistisch bezeichnen, dann sind sie natürlich völlig beknackt, aber ich bin realistisch. Wenn die andern mir das nicht glauben, dann sind sie noch beknackter. Und wenn sie sich darüber aufregen, dass ich sage, dass sie noch beknackter sind, dann sind sie unendlich beknackt.

Sophia: Wenn du natürlich den ganzen Abend hier redest, wirst du 'ne ganze Menge verändern.

Uwe: Ja, wenn ich dir 'ne Gelegenheit gebe, mich zu kritisieren, dann seid ihr noch beknackter.

Helmut: Ne, dann bist du beschissen.

(Giftiges Gelächter, Durcheinanderreden und Lachen)

Wilhelm: Das war jetzt die Frage.

Klaus: Die zweite Frage, äh, ist ...

Sophia: Das geht noch weiter

Klaus: Ja.

Wilhelm: Wir müssen noch was machen, er hat ja im Prinzip recht.

Klaus: Ja.

Helga: Na klar.

Werner: Wie ich das hier finde. (Lachen)

Klaus: Ja.

Max: Ich will die erste nochmal hören.

Klaus: Die erste war, wie bist du zum Beschwerdezentrum gekommen ...

Max: Ja klar, das Band ...

Klaus: Das Band willst du nochmal hören?

Helga: Jetzt gleich?

Uwe: So, wie das heute hier abläuft, gehts in zwei Jahren noch genauso (Genervtes Stöhnen)

Man muss den konkreten Weg einschlagen (Durcheinander)

Helmut: (brüllt) Was wollen die Radikalen denn hier?

Uwe: Wenn wir das Konzept bereits haben.

Klaus: Willst darauf was sagen, konkret.

Max: Rückspulen! Muss ich das nochmal sagen? (verärgert)

Adam: Ich bin dagegen.

Helga: Also, ich möcht das auch nicht hören.

Max: Dann nehm ich die Kassetten dann mit, oder wie?

Klaus: Ich überspiel erst, das können wir ja nachher machen.

Max: Naja, das dauert dann noch länger.

Mann: Da sind dann zwei am Arsch, nicht nur einer, eh.

Tina: Was willst du denn konkret hier?

Max: Was soll denn jetzt die Fragerei, es dreht sich da rum, dass es das eine ist und dass noch mehr aufgenommen wird.

(Durcheinander)

Werner: Dann müssen wir fünf Tage hier insgesamt ...

Mann: Ich versteh das nicht (im Durcheinander)

Max: Um was geht's denn, ich will das ganz einfach ... soll ich mich jetzt rechtfertigen,

Martin: Dann brauch ma Stunden (Durcheinander)

FRAGE 2

Klaus: Die zweite Frage ist, was hältst du vom Beschwerdezentrum? Von diesem Beschwerdezentrum hier und seiner Arbeit?

Max: Wer will sich dazu äußern, dann könn ma reihum gehen, die Fragen durchklappern.

?: Genau

Wilhelm: Nicht so lange hin und her. (Lachen, Durcheinander)

Werner: So geht's nicht weiter.

Klaus: Ja, wir ham jetzt ja schon einiges gehört dazu.

Helga: Also ich find's manchmal chaotisch, aber auch erfrischend.

Uwe: Krieg ich von euch mal die Chance, mal was vorzuschlagen, dass wir mal anfangen, den Weg einzuschlagen, den wir einschlagen müssen?

Tina: Es geht nicht um den Weg, es geht ums Beschwerdezentrum.

Uwe: Ich hab euch gerade gefragt, ob ich die Chance kriege

Tina: Nein, du hast dich an die Fragen zu richten, Uwe, so geht's nicht

Viele: Nein!

(großes Durcheinander)

Klaus: Um effektiv arbeiten zu können ...

Uwe: Da muss man jeden mal fragen, wie er sich das vorstellt und das dann aufschreiben, und daraus 'n Konzept, das müssen wir auch machen, damit wir nächstes Mal nicht wieder die gleiche Diskussion machen.

Klaus: Ja, deswegen wird's ja auch aufgeschrieben, dat is doch jut, ne?

Uwe: Anfangen müssen wir, das is ja das.

Klaus: Ja, aber wenn die Leute was ganz Verschiedenes wollen, ja, dann muß man erstmal gucken, was man gemeinsam machen kann, ne.

Uwe: Ich frag mich da sogar ...

Klaus: Wenn der eine das und der andere jenes machen will ... (Durcheinander)

Max: ... dass ich das nochmal hör, damit wir das forsch durchmachen, zur Diskussion mit anzufangen.

Helga: Die Fragen, die jetzt_noch offenstehen, meinst du?

Martin: Dass jeder 'n bisschen Selbstdisziplin übt und nicht immer so blindlings rumlabert.

Klaus: Ja.

Helmut: Ja, gut, welche Fragen steh'n denn noch offen?

Werner: Vier Stück. Wie ich das finde? Wie es weitergeht? Was andere machen zum Beispiel? Wie ist die Zusammenarbeit? Was hat es gebracht?

Klaus: Ja.

Helmut: Dürft ich dann mal was sagen?

Werner: Natürlich!

Helmut: Also, wie war die erste Frage nochmal?

Klaus: Ja, was hältst du denn vom Beschwerdezentrum?

Helmut: Das ist doch Vergangenheit, das, was er jetzt gerade vorgelesen hat.

Klaus: Da hast du schon zu was gesagt, ich hab noch nichts zu gesagt ...

Helmut: Ja, Klaus, dann bist du jetzt dran.

Klaus: Im Vergleich zum SSK , da war ich ja auch, die machen ja sehr wirkungsvolle Sachen, ne, die ham ja erreicht, dass ein Irrenhaus, Braunweiler, geschlossen wurde, weil sie da drei Todesfälle aufgedeckt und das hat zur Schließung dieses Irrenhauses geführt. Jetzt laufen gerade die Prozesse, im letzten Spiegel da gegen Stockhausen und so. Das hat der SSK in Bewegung gebracht.

Helga: Der Klaus Ja.

Helga: Stockhausen.

Klaus: Nein, der SSK hat gegen den Stockhausen ...

Helmut: SSK Köln, SPK Highdelberg.

Klaus: Bei uns läuft das irgendwie, das ist ja auch kritisiert worden, da tut sich noch nichts, sowas haben wir noch nicht. Die Beschwerden, die haben wir noch nicht öffentlich gemacht und so, und das find ich zutreffend, ich denk aber, das ist auch schon wesentlich mehr als nichts, was hier gelaufen ist, vielleicht auch ne andere Art von Herangehensweise, wir haben so 'n bisschen geguckt, also wie sieht das da aus, und welche Rechte haben Patienten. Und das denk ich, ist auch ne ganz gute Möglichkeit, um was zu machen. Wir wissen nämlich mittlerweile, dass das alles Körperverletzung ist, wenn nicht aus nem Notfall Psychopharmaka gegeben werden. Und wenn wir da Druck machen können, dann, dann bricht das zusammen, also die werden dann wieder was anderes machen, aber das ist 'n Knackpunkt, und dann hier das mit den Pflegschaften und so weiter, das sind ganz gewaltige Sachen, da wissen die Leute nicht, dass sie den Pfleger loswerden können, im Prinzip, wenn da noch einer hintersteht. Und das denk ich, das trifft ja praktisch alle Leute so, also fast alle Leute, die da drin sind. Dass das 'ne Breitenwirkung hat und prophylaktisch ist. Das mit der Vollmacht, dass man die dem Freund oder der Freundin gibt, das hab ich auch gemacht, mit der Bettina, das denk ich, wenn das so verbreitet ist, wenn das in der ganzen Irren-Offensive läuft, und wenn dann einer eingeliefert wird, sofort mit Vollmacht, dann läuft das schon ganz schön anders, und in sofern, ja ich meine, wir sind ja am Anfang, aber ich denke das ist ne andere Art und Weise, wie der SSK, die auch wirksam sein kann, aber das dauert noch 'n bisschen irgendwie, die Sachen mit den großen Schweinereien rauszufinden, ne.

Uwe: Ja, da brauch ma Leute, die uns den Rücken stärken. Das ist jetzt hier die Frage, die ich gelesen habe, wie findest du die Zusammenarbeit Betroffene Profis.

(Durcheinander)

Zu dem, was er hier vorgeschlagen hat ...

Martin: Halt dich doch an die Fragen, Mann.

Uwe: ... wenn du den Punkt, zum Beispiel, was er vorgeschlagen hat, praktizieren willst, dann können wir das nicht alleine machen, dann können wir nicht nur als Gruppe von Betroffenen dastehen, die sich mit der ... ‚

Tina: Ich seh das überhaupt nicht ein, dass einer die anderen ...

Helmut: Nun lasst ihn doch mal!

Mehrere: Nein (gebrüllt).

Gerhard: Das war jetzt unterbrochen!

Helmut: Nun lasst ihn doch mal, ich fand das jetzt sehr interessant, was er da vorhin gesagt hat.

Tina: Du redest jetzt überhaupt nicht!

Martin: Wir sind jetzt bei der Frage, und ich bin der Meinung, dass jeder auch mal schaffen kann, in zwei, drei Sätzen es so zu formulieren, was er halt meint, und wenn sich das wiederholt, kann man das sehr kurz fassen.

Mehrstimmig: Jeder, jeder!

Tina: So, ich lass mich nicht von einem unterbuttern, dass seh ich überhaupt nicht ein, dass einer das wirklich fertigbringt, mit uns wirklich Kasperl zu spielen. Uwe, also ich lass mich von dir nicht so verarschen, ne. Ich bin stocksauer auf dich.

Uwe: Wie gekonnt ihr mich verarscht, das merkt ihr selber nicht.

Helmut: Wir wollen jetzt keine Diskussion ...

Tina: Ich will, dass du gehst!

Helmut: Und jetzt halt dein Maul! (Pause)

Max: Also reihum, oder?

Helmut: Ja, ich hatte mich zu erst gemeldet. (Durcheinander)

Martin: Also, ich fang jetzt an. Ich bin der Meinung, dass die Arbeit erst am Anfang steht, dass wir gerade anfangen, das Beschwerdetelefoneinzurichten, dass wir noch nicht allzu lange Klinikbesuche machen, dass wir jetzt auch die Rechtsinformation rausgebracht haben, dass wir auch 'n normales Verhältnis, also das, was wir grade mit der Rosa gemacht haben, mit der Krisenbetreuung und Aufenthalte in den Kliniken, dass wir da sehr viel Arbeit die wir, wie der Uwe schon gesagt hat, erst bewältigen können, wenn wir noch sehr viel mehr Leute werden, und ich seh da auch sehr viel weitere Sachen, die wir machen können zum Beispiel Straßentheater oder so was, um Öffentlichkeit zu schaffen, aber das ist halt noch reichlich entwicklungsfähig, und ich find die Arbeit, die jetzt hier so abläuft, also eigentlich mit einigen Abweichungen, die mal so laufen, im allgemeinen doch ganz gut, das war's.

(Pause)

Uwe: Darf ich so lange sprechen, bis ich fertig bin? (leise) Was bisher gelaufen ist, ist eigentlich zu wenig. Ich mein, man kann sich unheimlich damit brüsten, dass man Verbindung zum Sender Freies Berlin hat oder dass man Artikel schreiben kann, die man vielleicht in die Zeitung bringt, aber auch nicht so sicher. Wir sind ja so bekannt und so anerkannt auch nicht, dass, wenn wir jetzt meinetwegen zum Tagesspiegel, oder sagen wir nicht allein zur taz oder zum Tagesspiegel, sondern nehmen wir auch die Morgenpost, dass wir hingehen können und sagen können, das ist 'n Thema, das uns alle betrifft, das muss da rein, und die sagen, okay, das bringen wir rein. So akzeptiert, so anerkannt sind wir gar nicht. Wir müssen echt dafür sorgen, wenn wir in Aktion treten, dass wir 'ne Chance haben, gehört zu werden. Und da geht's nicht allein um Verbindung mit dem Sender Freies Berlin oder um 'n Artikel, der, wie gesagt, ich sag also nochmal, vielleicht also in die Zeitung kommt, sondern wir müssen so arbeiten, dass das, was wir in der Öffentlichkeitsarbeit machen, tatsächlich ankommt und abgesehen davon, dass ich schon meine, dass wir noch 'n bisschen mehr Möglichkeiten haben als nur ein Beschwerdetelefon oder eine Sendezeit oder ...

Helmut: Kannst du Möglichkeiten sagen?

Uwe: Wir haben zum Beispiel die Möglichkeit, uns selber um Beschwerden zu kümmern und nicht so lange zu warten, bis die Leute zu uns kommen ...

Gerhard: Aber wir können ja mit den Leuten reden.

Uwe: Wir müssen zu den Leuten hinkommen und müssen ...

Helmut: Wir sind ja bei den Leuten, du, wir haben ja angefangen, zu den Leuten zu gehen, aber wir haben vergessen, dabei, mit den Leuten zu reden. Vielleicht haben da einige Leute schon mit den Leuten geredet, wer weiß, vielleicht ist da einiges schon im Gange ...

Uwe: Ja, du, Moment, lass mich, ich bin noch gar nicht ...

Helmut: Sag mir andere Möglichkeiten

Uwe: ... ich bin noch gar nicht fertig.

Helmut: Noch nicht fertig – wann bist du denn endlich fertig?

Uwe: Ja weißt du, das find ich echt überheblich von dir ...

Helga: Jetzt lass ihn doch ausreden!

Uwe: Schäbig, ja.

Adam: Ne, aber mir scheint auch, dass du gar nicht weißt, was hier gelaufen ist.

Uwe: Ich glaub, ich weiß wohl, dass ihr in die Station 1 gegangen

seid, in Bonnies Ranch, aber ich weiß auch, dass die Station 1 a allein auch nicht ausreicht, und dass die Bonnies Ranch auch nicht der große Schmutzfleck in Deutschland ist, sondern dass wir sehr wohl noch Spandau haben und Havelhöhe, und dass wir, dass das Beschwerdezentrum auch dafür geeignet ist, mal nach Havelhöhe zu gehen, um mal zu überprüfen, wieviel ...

(Zwischenrufe)

darf ich mal zu Ende reden ... Mittel die eigentlich haben, für 'ne Beschäftigungstherapie

Werner: Such doch mal 'n paar Leute, die da mitmachen! Das kann man doch nicht alles verwirklichen, was du alles sagst.

Uwe: Geh doch mal hin und guck dir das an in Havelhöhe.

Helmut: Weißt du, was du bist? Groschenmiefprofo...

Uwe: Und was die Patienten in der Beschäftigungstherapie ... (Chaos)

Uwe: Wenn da keiner mitmacht ...

Helga: Wenn du fragst, dann geht noch einer mit?

Helmut: Hör mal, weißt du, was du bist? Du bist ein Theoretiker, der in die Praxis übertritt!

Max: Kannst du, äh, mal jemand anders reden lassen? Ich hab eben ...

Frau: Die Theorie ist grau ... (Lachen)

Uwe: Ich lass erst andere zu Wort kommen, wenn ich fertig bin, das ist 'n Ding ...

Werner: Du bist erst morgen früh fertig!

Sophia (im allgemeinen Chaos): Ich halt das nicht mehr aus! Ich kann es nicht mehr hören!!

Tina: Wie ein Professor!

Sophia: Verdammt noch mal, ich bin Jahre an der Universität gewesen und hab mir das Gewäsch angehört, ich komm nicht hierher, um mir das nochmal anzuhören!

Gerhard: Wie viel Jahre hast du studiert?

Sophia: Es stinkt mir!!

Tina: Er holts aus ihm raus, aber leider auch nur Gewäsch!

Uwe: (versucht was zu sagen)

Helmut: Also, ich hab dir gesagt, du bist ein Theoretiker, der in die Praxis übertritt

Helga: Ich finde, an der Uni läuft nicht nur Gewäsch, ich glaub, dass du jetzt da auch einen Teil projizierst, dass er das Fett abkriegt. Aber an dir stört mich auch, dass du wirklich so lange redest.

Werner: Der Uwe, der war kein einziges Mal an der Universität.

(Durcheinander)

Also folgendes: Ich habe noch was zu sagen ...

Uwe: In diesem Fall gibt's zwei Möglichkeiten, die uns im Laufe der Arbeit hier im Beschwerdezentrum

Helmut: (schreit) Du jetzt halt deine Schnauze!!

Helga: Du hast ja die größte!

Werner: Also hier sind die Leute von der Irren-Offensive, da gehts ja genau so zu wie in der Irren-Offensive, die tragen alles irgendwie ...

Uwe: Um nochmal auf die Frage zurückzukommen, das ist zu wenig, was wir hier gemacht haben.

Werner: Also ...

Sophia: Du sprichst ja immer von dir!

Helga: Ja Mensch, wenn das seine Meinung ist...

Werner: Nein, er müsste eigentlich ich dazu sagen, dann würd's stimmen.

Uwe: Wenn ich schon wir sage, dann habt ihr immer noch was zu meckern, wenn ich ihr sagen würde, dann hättet ihr auch drüber gemeckert. Was soll denn das? Also ich fand's schon okay, dass ich wir gesagt habe.

Wilhelm: Ich seh den Sinn da nicht mehr.

Helmut: Hast du schon mal jemand erlebt, der für's Irrenhaus reif ist?

Uwe: Ja, allerdings.

Helmut: Weißt du, was da mit dir gemacht wird?

Uwe: Ja, was denn?

Helmut: Wenn er sehr aggressiv ist, dich da zum Fenster rausgeschmissen

Uwe: Pass ich denn da durch?

Helmut: Da passt du durch!!

Werner: Nein, da geht er nicht durch.

Helmut: Trotz des Gitters, das ist nämlich genauso groß wie du.

Werner: Mach ma doch weiter ...

Max: Das war jetzt ne Aggression ...

Helga: Das sind ja psychiatrische Maßnahmen hier

Uwe: Das kommt auch erst, wenn (Durcheinander)

Werner: Helmut, Helmut (unverständlich)

(Durcheinander)

Helmut: Ich kann für nichts garantieren.

Wilhelm: Wir sind doch nicht bei den Tieren. Jetzt hört doch mal auf; ich bin hierhergekommen, damit endlich mal aus dem Laden hier was wird. Jedes Mal, das ist jetzt das dritte Mal, drei Wochen lang ist praktisch nichts passiert weil jedesmal irgendeiner hier Zoff macht, irgend 'nen Quatsch ablässt, Kasperltheater spielt.

Max: Ich hab noch was zu bemängeln, die letzten drei Male war kein Mensch in Bonnies Ranch, und darüber möchte ich mich beschweren.

Wilhelm: Es reicht mir jetzt endlich. Ich geh jetzt nach Hause! Ist doch wahr!

Max: ... weil, äh ...

Wilhelm: Morgen muss ich wieder raus. Einzelne Leute rackern sich ab, und rennen in die Klapse, und was kommt bei raus? Det verpufft allet! Wir können uns ja hier auch nicht mehr zusammen treffen und überlegen, was wir jetzt weitermachen.

Werner: Das ist richtig, ja.

Sophia: Das kommt hier, das landet hier nicht.

Wilhelm: ... einzelner Leute ... (Durcheinanderbrüllen)

Werner: Ich würd sagen, wir schmeißen ihn jetzt raus, ganz gewalttätig, ja. Er kriegt es verboten, hier drin weiterzumachen. Ganz einfach, da bin ich also mit einverstanden.

Martin: Wir machen einfach weiter und lassen uns nicht mehr totbrabbeln ... dass wir jetzt einfach weitermachen ganz konkret und uns nicht mehr unterbrechen lassen.

Werner: Wie willst du das.machen, wenn er ... die Stimmen sind ja zu laut. Mann: Wir gehn jetzt in 'nen andern Raum und lassen ...

Martin: ... wir machen jetzt weiter mit der Frage, da kann ja wer was zu sagen.

Werner: Das geht ja nicht, du kannst ja hier nichts sagen, wenn hier so rumgebrüllt wird.

Martin: Und wenn jemand unterbrochen wird, schmeißen wir ihn raus. Frau: Ich weiß schon wieder nicht mehr, was die Frage ist.

Werner: Du, ne, einfach wie ich das hier so finde. Es geht praktisch um den Laden hier.

Wilhelm: Also mich nervt det. Es ist fürchterlich, weil ich die Idee vom Beschwerdezentrum unheimlich gut finde.

Werner: Ja, genau.

Wilhelm: Wesentlich, und auch, was anfangs ist, find ich auch unheimlich gut.

Werner: Und auch die Arbeit, die gemacht ist, bis jetzt.

Wilhelm: Und es wird immer wieder bei diesen Sitzungen hier zerhackt, weil einer aus der Reihe tanzt und sich nicht drum kümmert, was wir insgesamt machen wollen, weil es um unser aller Probleme mit dieser Scheißpsychiatrie geht.

Werner: Ja. Du, Klaus, wollen wir dann aufhören mit deinem. weil dat ... und 'n andermal weitersetzen?

Wilhelm: Lass das ruhig laufen.

Werner: Oder wollen wir konkret überlegen ...

Klaus: Ich möcht jetzt wat sagen, was hier passiert, jetzt mehrfach, das muss auch 'n Sinn haben, ja, also ich denke, ich komm nur weiter, wenn ich mich bemühe, irgendwie alles, was passiert, ja welchen Sinn hat das, wie produziert sich das, ja, nämlich Irrenhäuser haben auch ihren Sinn, nämlich Profit zu machen, mit Psychopharmaka und die Leut abschieben zu können, damit die Verhältnisse aufrechterhalten werden. Was mich hierdran aber ärgert, ist, dass wir uns jetzt gegenseitig selber anmachen, und das scheint auch sozusagen zwangsläufig zu sein, weil wir uns anmaßen, gegen diese massenhafte Unterdrückung, ich stell mir das irgendwie wiene wahnsinnige Maschine vor, die nichts zu tun hat, als Leute kaputtzumachen, alles kaputt zu machen, ja, alles, das Leben kaputtmachen. Und da, dieser, dieser Druck, der wirkt sich dann hier aus, dass wir uns gegenseitig anmachen und da denk ich, das möcht ich irgendwie so, wie du das auch sagtest, ne, deine Aggressionen, die du hast, ja, dass du dich da selber nicht mit kaputtmachst, sondern die woanders hin, ne. So, das denk ich auch, ich möchte das so verstehen, was jetzt bei uns so abläuft, das ist eben, was wir schon alle abgekriegt haben, ne, und das wir das eben gegen das Irrenhaus richten, oder gegen diese Unterdrückungsmaschine.

Tina: Ja, ja, aber ich denk, du kannst ... Ansprüche haben, dass du Leute therapierst, und was für mich heute hier abgelaufen ist, ist für mich nichts Neues, ich bin unheimlich wütend im Moment, ich kenn das, ich bin unheimlich wütend, also wisst ihr ...

Max: Auf wen denn?

Tina: ... auf den Uwe, das kenn ich langsam, und ich mein, das hat seine Ursachen, ich weiß, warum der Uwe das macht, aber ich hab keine Lust, ich, komme mir vor wie im Kasperletheater, dass einer einfach, in dem Fall unterdrückt er die andern, und zwar brutal, wo ich eigentlich 'n ganz anderes Interesse hab, und ich will da einfach nicht mitmachen, Da mach ich mich kaputt, wenn ich alles zulass und ständig, dass man mit mir, also dass man mich vergewaltigt, dann bin ich demnächst kaputt, aber das lass ich nicht mehr zu.

Klaus: Ich denk aber, was du jetzt beim Max (gemeint ist Uwe) siehst, das ist der Max gar nicht, da steckt der ganze ...

Tina: Uwe, ne!?

Klaus: Uwe, ja, da steckt die ganze Maschine hinter, ja.

Tina: Sehr richtig, ja, aber trotzdem sind wir jetzt zusammen, und nicht die ganze Maschine, und ich muss ...

Uwe: Wir sind die Maschine! Jeder einzelne. Martin: Sind wir eben nicht!

Wilhelm: Was ich sehe ... Klaus und andere: Nicht nur ...

Tina: Es ist doch der Uwe!

Klaus: Auch ...

Helga: Es ist nicht nur er.

Martin: Aber heute, ganz konkret, ist er's.

Uwe: Jetzt will ich mal wissen, ob du deine Meinung änderst, nachdem alle gegen deine Meinung sind, oder ob du bei deiner Meinung bleibst.

Klaus: (überzeugt) Ich bleibe bei meiner Meinung ...

Uwe: Ob du dich verbiegen lässt von anderen? Da bin ich mal gespannt.

Klaus: Ne, was ...

Wilhelm: Das hilft mit nicht, was du gesagt hast, also dass wir uns jetzt gegenseitig anmachen, das ist ein Stück von uns und von unseren eigenen Verkorkstheit, und da kann man natürlich auch sich selbst entschuldigen, indem man auf die Maschine hinweist, weil die ja so schön, kann man sagen der andere ...

Sophia: Ne, ja doch ...

Wilhelm: ... als handelnder Mensch, sozusagen als der liebe Gott, der mich leitet, und dann bin ich hier für meine, für das was ich mache, nicht mehr verantwortlich. Und was wir lernen müssten, find ich doch ist, dass wir für uns Verantwortung tragen, und dass ich gegen diese Psychiatrie bin, ist ein Teil von der Verantwortung, die ich bereit bin zu übernehmen, dann seh ich auch, welche Aufgaben vor uns stehen, und da gibt's bestimmte Notwendigkeiten, die diese Maschine setzt, und diese Notwendigkeiten, die muß sich auch in unserer Auseinandersetzung niederschlagen, und darum bemüh ich mich auch. Und das ist hier kein Freiraum, ich bin der Meinung, dass es Räume geben muss, in unserer Gesellschaft, wo man sich nicht mal austoben kann, Himmel Herrgott, wo soll man, irgendwo muss man das mal loswerden, aber nicht hier, nicht hier! Weil wir hier ein ganz konkretes Ziel haben ...

(Durcheinander)

Wilhelm: ... Weil wir nämlich hier ein ganz konkretes Ziel haben, da sind mir einfach Vorgaben gemacht, da kann ich nicht hier Theater spielen, weil es nämlich bedeutet, das Ziel, das habe ich von vorneherein unter den Teppich zu (kehren), da bin ich nicht bereit zu.

Helga: Ich versteh das schon, dein Argument, aber ich find das andere, ich bin da völlig deiner (Klaus) Meinung.

Wilhelm: Ja, das hilft mir aber doch nichts, diese Erkenntnis.

Helga: Aber ich bin der Meinung, dass das sowieso nicht anhält, so 'ne Situation, also mich hat das auch schon gestört, die chaotische Situation, aber ...

Wilhelm: Seit vier Wochen hat sich nichts gerührt hier.

Helga: ... aber, gut, das wird ja nicht immer so anhalten, denk ich.

Sophia: Von selbst tut sich im allgemeinen wenig.

Wilhelm: Von selbst nicht.

Helga: Ja aber, aber es eskaliert, ne, einer weicht ab vom Thema, und die anderen hacken dann, weiß Gott, auf einem rum, und dann eskaliert das weiter, doch so hab ich das empfunden, und das find ich auch nicht gut, wie 's läuft.

Sophia: Es ist doch nicht so brutal, wenn jemand vom Thema ab weicht, ich mein auch, man muss zuhören, dann kommt er wieder hin, oder ihm auf die Sprünge helfen.

Helga: Ja aber, ich hab heute konkret erlebt, dass einige Leute länger reden konnten und denen also mehr zugehört wurde und länger als andere wieder.

Helmut: So dann möcht ich jetzt zum Thema kommen, du ich möcht jetzt zum Thema kommen. Darf ich mal die Akte haben? (Er bekommt sie.)

Helga: Und dann find ich, vor allem, was ich ganz schlecht finde, in allen Gruppen, was mich stört, das es sehr destruktiv zugeht, im Grunde genommen, wenn ich sage, es ist bisher nicht viel gelaufen und deswegen das, was gelaufen ist, auch noch unter den Tisch kehre, das find ich schade, also wenn ich sag, nur weil sie in der Spandau-Nervenklinik nicht waren, deshalb ist Bonnies Ranch scheiße, das wirkte einfach alles, find ich destruktiv.

Martin: Vor allen Dingen war er kaum hier, hat kaum was mitgemacht.

Sophia: Das ist doch das Problem.

Uwe: Aber andererseits find ich doch's bemerkenswert, dass die ganzen letzten vier Wochen nichts gelaufen ist, Obw0h1 1ch gie ganzen letzten 4 Wochen gar nicht hier war

Martin: Die Rosa ist da gerade aus der Klapse rausgekommen ...

Helga: Ich war auch in Bonnies Ranch, weißt du das, und ich bin erst viermal hier oder dreimal hier gewesen, und das war die letzten vier Mal.

Uwe: Warum es zum Beispiel plötzlich so laut geworden ist? (Durcheinanderreden)

Wilhelm: Das liegt einfach an dir, so wie du das hier reinbringst.

Helga: Weil du dich nicht an die Fragestellung gehalten hast, hab ich beobachtet.

Uwe: Sieh das doch mal so, wie das ist. In zwei, drei Monaten sieht das anders aus.

Helmut: Darf ich dann mal was sagen?

Uwe: Ja, du darfst, ja.

FRAGE 6

Helmut: Auf dem Punkt steht: Wie soll es weitergehen.

Vielstimmig: Genau, genau! Mhm. Mhm.

Helmut: Das ist der Punkt.

Tina: Und da will ich wirklich fragen, solln 'n wir so was, was heut war, überhaupt zulassen. Also, dass es jedesmal möglich sein kann, dass hier Leute reinkommen, einfach reinplatzen, überhaupt nicht auf das, worüber gerade gesprochen wird, eingehen, und das ist für mich die Frage, solln 'n wir oder müssen wir das zulassen, ist es nötig oder machen wir da, wenn wir das nicht zulassen, wieder genau das gleiche wie alle anderen, nämlich Leute ausschließen und, was weiß ich, Leute bevormunden. Also ich, für mich, seh das so, ich seh das hier eben als Beschwerdezentrum und nicht als Aggressionsabladegruppe oder dass ich meinen Frust abladen kann gut, das find ich auch wichtig, damit kann ich auch meine Aggressionen woanders hinlenken, indem ich mich eben, ich hier mitmache, um mich zu beschweren und zu kämpfen, das ist schon klar, aber nicht auf die Art, wie's heut gelaufen ist, ne .

Werner: Also, wir sollten festhalten, dass wir das so nicht mehr machen wollen, ne. Nur ist die Frage, jetzt, was tun und so sind wir draufgekommen.

Martin: Rausschmeißen!

Wilhelm: Also ich hab den Eindruck gewonnen, dass unsere eigene Unsicherheit, was wir jetzt weiter machen, die Angst davor, dass wir vielleicht bekannter werden als uns lieb ist, und wenn andere Leute kommen und Anforderungen an uns stellen, dann kann man jetzt, solange man noch still und heimlich arbeitet, etwas in den Hintergrund drängen, das ist ganz gut, wenn mal so ein bisschen Abwechslung ist, dann kommt man nicht dazu, sich darüber mal Gedanken zu machen, also, es gab auch schon mal 'n Abend, wo ich dann ganz froh war, dann um neune abzumarschieren, und mir 'n Bier einpfeifen zu können und so, ich hatte nämlich keine Lust, ja, und das ist mein Eindruck, ja, dass das zusammengehört, dass wir so weitergehen, was wir angefangen haben auch weitermachen, also zu überlegen, wie man bekannt wird, also ich find's wichtig, dass wir bekannt werden, das setzt uns selbst auch unter Druck, dass wir nicht sagen können, gehn wir nun hin oder nicht, kümmern wir uns drum oder nicht, wirklich auch dieser Maschine uns zu stellen, ich hab das Gefühl, dass wir da noch unheimlich kneifen, und Kasperletheater hier Raum greift, find ich 'n Symptom dafür. Du hast doch mal den i-Punkt draufgesetzt, als wir mal in irgendeiner Kneipe saßen, ich fand 's zwar auch füüüürchterlich hier ...

Helmut: Aber die Frage ist immer noch offen, wie soll's weitergehen.

Werner: War doch 'n Beitrag dazu: Mehr Öffentlichkeitsarbeit. Das find ich unwahrscheinlich wichtig. Nur die Schwierigkeit ...

Tina: Also, was ich ganz wichtig finde, also was schon längst fällig wär, endlich mal ne Pressekonferenz. Warum denn nicht?

Klaus: Ja, ich denk, det läuft. Die bisherige Entwicklung zeigt ...

Helga: Das ist die Forderung. Könnte es sein.

Klaus: Könnte es auch gut sein, und dann denk ich, wenn das so weiterläuft wie bisher, wir haben ja eigentlich, ja, gut, beim Peter Lehmann waren wir auch dabei, bei der Pressekonferenz als zusätzlicher Unterstützer, ansonsten, hier die SFB-Frau kommt auf uns zu, wenn wir jetzt das Beschwerdetelefon machen, kommt der SFBeat-Typ auf uns zu, und die Zeitungsleute, die hören auch Radio, dann kommen die Zeitungsleute auch schon, dann brauchen wir nur hier zu sitzen, so ungefähr.

(allgemeine Heiterkeit)

Also ich denke, dass ziemlich bald so was läuft, und da könnte es dann gut sein, nicht die einzelnen Zeitungsleute abzufertigen, sondern dann wirklich eine Pressekonferenz zu machen.

Tina: Ja. Sonst hast du ja ständig Störer da.

Helga: Ihr könntet's ja auch unter Umständen offiziell machen, öffentlich.

Wilhelm: Ich möcht von euch gerne wissen, ob ihr wirklich – also ich hab 'n bisschen Schiss davor; ob ihr auch da Hemmungen habt, ja, du hast es mal ganz offen gesagt,ja ... aufgefallen, dass es mir auch so geht, also mit dem Beschwerdetelefon, det, det, det is nich nur ne technische Frage, hab ich den Eindruck, ja ...

Helga: Wieso?

Wilhelm: Ja, das Beschwerdetelefon hat nur 'n Sinn, wenn das Beschwerdezentrum bekannt ist, sonst kann man sich das ja schenken, ja.

Helmut: Du, ich möchte dir ne Antwort geben und ...

Wilhelm: Denn, denn klingelt das ununterbrochen.

Werner: Wir wollten doch auch so'n bisschen mal ausmachen, wer das Telefon denn besetzt, ne.

Helmut: (schnarcht, dann) Ich möcht dir gerne eine Antwort geben ...

Klaus: (leise) Du, der Werner wollt jetzt was sagen.

Helmut: Ich persönlich habe keine Hemmungen ...

Helga: Was, das Telefon anzunehmen, oder ... (Gemurmel)

Helmut: Um tatsächlich ganz radikal vorzugehen, da hab ich keine Hemmungen, ich weiß auch persönlich, wie.

Martin: Da sind wir uns ja einig, es ist nur die Frage, ob wir der Sache gewachsen sind.

Helmut: Warum quatscht denn der dauernd dazwischen?

Martin: Lass mich doch dazwischenquatschen!

Klaus: Mir fällt da ein, ich hab da die Waldstraße auch mit aufgebaut, und da war es genau das gleiche, ja, einerseits ham wa befürchtet, es kommt überhaupt keener, ne, dann sitzen wir da und drehen Däumchen, andererseits denken wir, wenn wir also zu viel Lärm machen, dann rennen uns die Leute die Bude ein, und wir wissen gar nicht, wie wir mit den ganzen Irrsinnsproblemen fertigwerden, ja, wenn die Massen kommen.

Helga: Ja, gemeinsam sind wir stark, je mehr, desto stärker.

Klaus: Ja, und die Erfahrungen, auch von Peter Lehmann, so draufklotzen, bis es schlimmer gar nicht mehr geht, und dann tut sich 'n bisschen was.

Helmut: Ja ich möchte jetzt nochmal ...

Klaus: Da ist immer so'n time-lag (Zeitverschiebung), also da hab ich von mehreren Leuten, Frauenhaus-Café oder wie das hieß, die haben auch, das dauert 'n halbes Jahr, bis so ne Öffentlichkeitsarbeit so wirklich einschlägt, ja, bis das, ne, ach die Leute nicht heute, nicht morgen, nach nem halben Jahr kommen sie dann an, ne. Wenn du da ne Telefonnummer angibst, dann rufen sie eine Woche lang an und fragen, was ist das überhaupt, und dann zwei Monate später kommen sie dann so kleckersweise, und irgendwann wird's denn viel.

Max: Es geht nirgends geheimnisvoll zu!

Helga: Ich wollt ja nur sagen, dass ...

Klaus: Außerdem kann man ja auch sagen, das es uns zu viel, wenn wirklich hundert Leute anrufen, dann können wir sagen, wir sind zwanzig, naja ...

Uwe: Deswegen kann ich deine Meinung nicht teilen, im Prinzip können wir eigentlich gar nicht genug machen und dann, selbst wenn der Zeitpunkt kommt, dass jeder, der im Beschwerdezentrum aktiv ist, seine Arbeit kriegt und nicht mehr machen kann, sich nicht mehr engagieren kann, dann kann man immer noch sagen, ne, das interessiert uns nicht, wir können höchstens per Post was zuschicken oder so, Informationsmaterial, oder hier meinetwegen mal reicht vielleicht nur'n Telefongespräch, und ansonsten konzentrieren wir uns wirklich nur auf die Angebote, die wir von außen kriegen, die wir wirklichverwertenkönnen, diefür die Sachedes Beschwerdezentrums zugängig, äh, richtig sind. Also deswegen würd ich gar nicht die Gefahr sehen, dass uns irgendwas zu viel wird. Lass es erstmal so weit kommen, dass uns was zu viel wird, und dann können wir immer noch Prioritäten setzen.

Klaus: Und da kann man ja auch verschieden mit umgehen, wenn's wirklich zu viel ist, da kann man ja den Leuten sagen, ja, schreibt mal auf, ne, sammelt Zeugen und so, die müssen ja mitmachen, die müssen dann halt mehr mitmachen, wenn's zu viel ist, und das find ich dann auch positiv. Also gerade die Idee, wie ich das hier so verstehe, also nicht für andere machen, sondern mit anderen.

Wilhelm: Also, wer sind wir denn, wie kommen wir denn zu... wir kommen ja schon durch die relativ, im geheimen oder privaten Initiativen von uns, die Hälfte von uns setzt sich doch so zusammen, schon. Du kommst ja auch von der, anders wärst du ja gar nicht zu uns gekommen.

Helmut: (leise dazwischen) Klaus, Klaus, Klaus, wenn du grade sagst, mit anderen, dann möchte ich sagen, sollte man doch ganz einfach, da wir ja von Telefonketten und sonst was gesprochen haben, mal die Bewegung der Hausbesetzer mit einbeziehen, weil sie sagte, umso stärker, umso besser, und ich glaube, dass die ...

Uwe: Wenn ich den Vorschlag gemacht hätte, dann wär' hier'n Tohuwabohu ...

Helmut: Dass man denen das ganz einfach und leicht beibringen kann, indem man ganz einfache, leichte Wege geht.

Werner: Warst du schon mal bei den Hausbesetzern?

Helmut: Ich hab selber Häuser besetzt.

Werner: Warst du mal bei 'ner Zusammenkunft...

Helmut: Ich war bei mehreren Zusammenkünften.

Max: Wann denn?

Werner: Hast du sie angesprochen, hast du was gesagt? Helmut: Bisher noch nicht, ich hab da, ich bin da...

Tina: Du hast Erfahrung gemacht! I

Helmut: ... ich kann sagen, dass ich momentan da grad so 'nen Krieg führe, und das ist nicht sehr gut.

Werner: Die Leute haben soviel eigene Probleme, die kriegen selbst ...

Helmut: Das kann jeder sagen, aber die interessieren sich für die Probleme.

Werner: Das waren vielleicht zweihundertundfünfzig Leute, die da waren ...

Helmut: Es sind doch aber genug Leute da, die sich für die Probleme interessieren.

Werner: Du kannst nicht auf jeder Hochzeit tanzen.

Tina: Trotzdem kann es sein, dass sie sich mit uns solidarisieren, denk ich, mit allen Diskriminierten, egal ob Schwule oder was weiß ich, aber das sind die Gruppen, ich mit uns solidarisieren, da gehören auch die Hausbesetzer dazu, das ist doch klar, weil die kriminalisiert werde

Werner: Solidarisieren, ja, aber nicht mit uns arbeiten.

Max: Du, ich wollt mal wissen, wieso ...

(Werner meint was, unverständlich)

Uwe: Jetzt, wo sich die Fragen alle um die Methode drehen, was wir in der nächsten Zeit machen, und wie wir das, was wir uns gesetzt haben, erreichen wollen, denk ich, dass wir uns verschiedene Punkte eigentlich noch notieren.

Max: Ich möcht mal kurz was vorlesen hier, ich hab mich eben angemeldet. Hier, ich hab da so 'nen Zettel, das letzte Mal, was ich nicht ganz verstanden hab: Werner und Max waren beim Besetzerrat im Kuckuck, war chaotischer als in der Irren-Offensive. Sie flogen raus, weil sie kein Haus besetzt hatten.“

Werner: (lacht) Das stimmt.

May: Also, ich hab damit erstensmal nur soviel zu tun, dass ich da freiwillig weggegangen bin, und das andere, das kenn ich nur aus der Bild-Zeitung, die ich selbst nicht gelesen hab, und der letzte Satz, da kann ich nicht zustimmen, weil ich in nem besetzten Haus wohne.

Mann: Wie machen wir das sonst?

Tina und Helga: Wer hat denn das geschrieben?

Klaus: Ich hab 'n Protokoll geführt.

Tina: In der Bild-Zeitung stand das so oder nicht?

Klaus: Ach Quatsch! Hier in den Protokollen, die wir hier schreiben.

Uwe: Wer kommt denn jetzt eigentlich vom Thema ab?

Wilhelm: Jetzt ist es der Max, der vom Thema abkommt.

Max: Ja, ja, das, nur, das hab ich zu Haus. Kannst du mich mal ...

Uwe: Lass uns doch jetzt bei den Beschwerden bleiben.

Max: Ich wollts nur wissen, weil ich ...

Wilhelm: Könnt’st ja erstmal sagen. Mir geht’s auch oft so, dass ich Sachen habe und warte, dass ne Lücke kommt, ums loszuwerden.

(Band l, Ende Seite 2)

Adam: Das find ich auch Scheiße!

Helmut: Was hat das Tonband gekostet?

Klaus: Das hab ich... (ausgeliehen)

Max: Kommt das in... Uwe: Ich weiß nicht....

Wilhelm: Ich bin wirklich der Meinung, was die Tina angefangen hat, wir müssen uns auf Regeln einigen, wie wir diesen Freitagabend gestalten, dass hier jeder auch zum Zuge kommt. Da werden einzelne Leute untergebuttert, ich mein, im Lauf meines langjährigen Studiums mir etwas härtere Ellbogen angewöhnt als vielleicht manche andere, ja, ich setz mich manchmal auch durch, und es gibt ja noch andere Macker hier, ne, (lacht) (Lachen) aber du setzt dich auch durch auf deine Art, aber das, du kannst wirklich nicht sagen, dass du's nicht schaffst, und hier gehen einzelne Leute bei unter und die Sache leidet auch unheimlich.

Max: Und ich hatte schon den Eindruck, das funktionierte hier mal ganz schön, ich will auch nicht den Grund wissen, weswegen es in letzter Zeit in die Brüche gegangen ist, das kann außerhalb, bestimmt auch innerhalb sein, dass es darum auch geht wegen dem Studium, dass sich hier einige Professoren festbeißen, wegen dem Wissen, das sich da erst durchzusetzen hat.

Uwe: Ich mein, wenn es uns gelingt, die Themen hier rauszuhalten, die hier gar nicht reingehören und die man genau so gut in irgend ner Pinte bei nem Glas Bier bequatschen kann oder zu Hause bei ner Tasse Kaffee, ja, sondern, dass wir uns nur auf die Themen konzentrieren, die das Beschwerdezentrum weiterbringen, dass wir dann eine solche Diskussion gar nicht mehr führen brauchen, und auch gar nicht mehr führen dürfen, wenn wir uns dazu entschlossen haben. Was wir im Augenblick machen, das können wir in irgend ner Kneipe auch ...

Werner: Der Max wollte was sagen, ehrlich. Das war die Einleitung, er wollte jetzt etwas sagen.

Klaus: Er hat ja schon was gesagt, ich hab den Eindruck ...

Max: Was mischst du dich in meine Angelegenheiten, ich brauch deinen Schutz nicht.

Tina: Der Max war ja schon fertig.

Uwe: Ich war jetzt auch schon wieder fertig.

Werner:
Heißt du Max?

Tina: Das ist Max und das ist Uwe.

Werner: Wie heißt du denn?

Adam: Ich heiß Adam.

Werner: Aadam, ich hab den Adam gemeint.

Adam (leise): Du hast mich gemeint?

Werner: Entschuldige bitte.

Max: Das nehm ich dir nicht ganz ab, ich hab das Gefühl, du führst ein mieses Spiel.

Werner: Was, was ist?

Max: Ja. Du sitzt mir noch zu weit (weg) und ich kann mich so nicht mit dir unterhalten.

(Durcheinander und allgemeine Heiterkeit)

Uwe: Ich will das jetzt mal anders ausdrücken, wir kommen einfach viel zu langsam voran.

Werner: Ich glaub Adam, dass du was sagen wolltest.

Adam: Ich hab doch was gesagt vorhin.

Werner: Du warst fertig?

Adam: Ja.

Helga: Ich find halt, je weniger ein Laden funktioniert, desto notwendiger ist es, Regeln aufzustellen.

Adam: Die müssen jedesmal wieder neu diskutiert werden ...

Klaus: Ne, also ich denk, das ist, also ich hab' so den Eindruck ...

Adam: So läuft das aber, wir sind dauernd dabei, Regeln aufzustellen.

Wilhelm: Ach so, ihr habt das schon ...

Adam: Die ganzen Diskussionen gehen nur darum, Regeln aufzustellen, und am Ende sind wir dann so weit, dass wir irgendwelche Regeln aufgestellt haben, die beim nächsten Mal nicht eingehalten werden.

Tina: Habt ihr denn schon mal Regeln aufgestellt?

Adam: Nein, wir haben keine Regeln aufgestellt, aber halt so die Auseinandersetzungen gehen doch darum und was dann dabei rauskommt hinterher, das ist zwar noch nicht ausgesprochen, aber das ...

Wilhelm: Ganz schlimm ...

Adam: Zum Beispiel die Regel, sich ans Thema zu halten.

Tina: Vielleicht ist einfach der Stamm der Leute zu gering, es sind wahrscheinlich nicht genügend, die sich gegen solche Störer durchsetzen können. Dass einfach so das Publikum, das hier wechselt, einmal sind die da, einmal sind die da, und dann kommen eben noch die Störer dazu, sind die auch am Reinpowern.

Max: Also, äh ...

Adam: Ich glaub, dass keiner sich so richtig traut, dass die Störer viel zu sehr sich durchsetzen können.

Max: Also ich hab ...

Adam: Gar nicht so richtig trauen.

Eva: Eigentlich kannst du so mit den Störern gar nicht so richtig reden, hab ich das Gefühl, also, da muss ja Gewalt angewendet werden, wenn man jemand rausschmeißen will, und Gewalt ist auch wieder Scheiße, verstehst du.

Max: Ich hab so langsam das Gefühl, dass wir inzwischen bei der zweiten Frage angelangt sind, ich hab die Forderung gestellt und den Satz gesagt, dass einer nach dem anderen mal reden soll, dass man die Punkte, die er aufgestellt hat, ich weiß ja nicht, woher die jetzt kamen, fertig werden, nur haken wir uns jetzt an dem Thema fest, das in der Bild-Zeitung breitgedroschen wird, soviel ich weiß, das sind Fragen, die jetzt hier langsam fallen.

Tina: Die Störer, meinst du?

Max: Auch.

Wilhelm: Wie, wie wie ... soll's weitergehen, die Frage, die diskutieren wir jetzt weiter, det, was mit uns allen – das hat sich ja durchgesetzt, das was uns allen am meisten Sorgen bereitet, reden wir doch darüber.

Max: Also, ich hab mal von nem Psychologen gehört, dass er das überhaupt nicht mochte zu diskutieren, also ich mach jetzt mal weiter, ich bin noch auf dem selben Weg geblieben, und ich hab keinen Bock dazu, wobei das da noch offen steht, was da lief.

Tina: Wir sind jetzt bei dem nächsten Punkt, also ein bisschen chaotisch ist es schon gelaufen, wir sind schon beim letzten (Punkt).

Adam: Beim letzten Mal?

Werner: Ja, wie's weitergehen soll, wie soll's denn nun weitergehen?

Max: (unverständlich)

Adam: (lachend) Das Miteinander haben wir ja genug praktiziert, ja Tina und Werner. Ja.

Tina: Ja, Betroffene und Dings brauchen wir nicht mehr zu beantworten

... (lacht) (Werner lacht lauthals) wie die zusammenarbeiten!

Eva: Am besten, wir hören das Band! (Durcheinander reden und lachen)

Klaus: Um das in Worte zu fassen ... (lachen)

Wilhelm: Ich denke, du willst Aktionsforschung betreiben ... (Gelächter)

Werner: Das dürfte nicht schwer sein, da irgendwelche Sätze draus zu machen!

Uwe: Na, vielleicht sag ich mal was dazu, ich glaub, was wir bisher gemacht haben, war völlig richtig und völlig notwendig. Wir brauchen 'n Beschwerdezentrum, äh, äh, Telefon, und wir müssen in die Bonnies Ranch und mit den Leuten reden und wir müssen sehen, dass wir konkret was anfangen, was wir verwerten können, aber ich denk auch, wir müssen das, was wir bisher gelobt haben durch andere Möglichkeiten ergänzen. (unterdrücktes Lachen im Hintergrund) Wir haben jetzt auch einige ...

Werner: Ich hab eben dran gedacht, dass ich den mit in Haus fünf nehm, die lassen den nicht mehr raus da.

(Lachen)

Klaus: Ja Uwe, ich find deine Ideen sehr gut, ich fühl mich nur heillos überfordert, ja ...

Werner: Uwe, Uwe, hör mal zu!

Klaus: ... ich red nur für mich, ja, ich denke, das ist bei den anderen auch so, aber dann sagen die nee, meinen sie nicht, ich fühl mich maßlos überfordert, und zum anderen ärger ich mich, dass du die tollen Ideen hast, mach doch irgend etwas davon!\

Uwe: Ich hab noch tollere, die kann ich noch gar nicht ausdrücken, weil die ja auch schon wieder ganz schön lange dauern.

Klaus: Mach's doch, setz sie doch um! Geh doch voran! Zeig uns, wenn du uns zeigst, ja ... dann kommen wir dir schon hinterher.

Werner und Klaus (durcheinander, unverständlich)

Gerhard: Pause, Pause, echt jetzt mal Pause!

Werner: Für wen?

Uwe: Das hab doch doch vorhin versucht, indem ich mal kurz gesagt habe, lasst uns doch die Diskussion mal wieder konkret machen, und da wollt ich einfach sagen, lass uns die Punkte notieren, die wir machen, ja und ich meine, ich kann natürlich noch härter sein und plötzlich sagen, okay, vorschlagen: Wer hat Lust, mit mir nach Havelhöhe zu gehen, ich kenn diesen Typ, der ...

Helga: Lässt du mich was fragen, ich war ...

Uwe: ... ja, ich kenn den Typ, der die Beschäftigungstherapie macht, und dann können wir den Fragen was, wie viel Geld er kriegt für'n Vierteljahr und meinetwegen rechnen wir aus, wie viel das für ein Jahr ausmacht und vergleichen das mit dem, was zum Beispiel der Nervenklinik Spandau zur Verfügung steht und der Bonnies Ranch,

rechnen das noch in Relation um, was die Patientenzahl betrifft, also wie viel sind ungefähr gekommen in Havelhöhe, wie viel in Spandau und in Bonnies Ranch, damit wir mal ein Verhältnis haben ...

Wilhelm: Nein , nein, ich halt das nicht aus! (Unruhe)

Uwe: ... wir überlegen uns endlich mal ...

Wilhelm: Ich halt das nicht aus! Ich bin bald reif für die Klapse, wenn das so weitergeht!!

Klaus: Das ist ja ganz schön

Wilhelm: Ich schreib gleich meine Vollmacht aus ...! (Gelächter)

Uwe: Ich mein, wir müssen ... (wird von Lachen unterbrochen)

Wilhelm: Dann kannst du mich in ... besuchen, dann weiß ich wenigstens, was dahinter steht, mit der Scheiß-Lage

(Gelächter)

Uwe: Ich weiß gar nicht, was du so lächerlich daran findest.

Wilhelm: Jetzt aber mal im Ernst, ich mach mir Sorgen um mich, wenn du so weitermachst.

Uwe: Is ja, is ja, – du solltest dir auch wahrscheinlich 'n bisschen Sorgen machen.

Wilhelm: Ja, mach ich mir ja zunehmend.

Helmut: Und der wird dann dein Vormund. (Durcheinander und lachen)

Wilhelm: Ja, ich weiß mir nicht anders zu helfen, bei dir.

Uwe: Du musst einfach – wir brauchen da gar nicht großartig zu rechnen, aber wichtig ist doch zumindest, dass wir wissen, ...

Sophia: Uuh, immer diese blöde Rechnerei!

Uwe: ... dass wir wissen, was bedeutet diese Zahl für die Beschäftigungstherapie in Havelhöhe, von der ich auch konkret weiß, dass das, was es da gibt, zu wenig ist, und wir müssen uns da schon überlegen, was Havelhöhe angeht, ob das zutreffend ist für Havelhöhe, ob das nicht zu wenig ist, wa. Und wenn wir das konkret haben, dann können wir sagen, wir haben ausgerechnet, das Geld, das Havelhöhe für die Beschäftigungstherapie kriegt, ist zu wenig ...

Eine andere Person: Genau!

Werner: Das wissen wir schon!

Uwe: Dann haben wir schon mal eine Information ...

Helga: Das Geld ist immer zu wenig!

Adam: Sag das doch in einem Satz, das kann man in einem Satz sagen ...

Uwe: Wenn du das sagst, dann haben wir kein Gesprächsthema ... (Durcheinander, unverständlich)

Adam: Wir brauchen doch noch gar nicht so konkret zu besprechen, sondern nur, dass wir ... die Beschäftigungstherapie in Havelhöhe.

Werner: Klaus, wer geht mit? Jawohl, wer geht mit?

Adam: ... erst mal die reinbringen und nicht schon alles sozusagen vorbereiten, das machen wir ein anderes Mal, nur die Idee reinbringen.

Uwe: Okay, okay, ich weiß nicht, vielleicht habt ihr mich dazu gebracht, dass ich, wie ihr vorgeschlagen habt, in Einzelheiten, was wir da alles machen müssen, aber wer kommt jetzt da zur Havelhöhe, hinfahren und sich das mal angucken.

Adam: Ja, das sind erst mal die Ideen, sowas könnt man machen, gut, jetzt, also ich, vielleicht ist das auch der Grund, dass wir jetzt da drüber reden, weiß ich nicht, dass wir letztes Mal, naja, ich hab das ...

Uwe: Au, das wird aber ganz schön schnell vom Tisch gewischt, aber sehr schnell!

Adam: Ne, die Idee ist aufgenommen, äh, das ist nicht vom Tisch gewischt.

Uwe: Ne, Moment, bis jetzt hat sich noch keiner dazu gemeldet, nicht.

Werner: Wir sind alle anderweitig beschäftigt. Ich geh zum Beispiel

Sonntags in Bonnies Ranch in Haus fünf, kommst du mit?

Uwe: Naja, hör mal, dann kannst du da ja, kannst du ja ...

Werner: Du kannst ja auch allein hingehen, ich geh auch teilweise allein.

Uwe: Was is'n notwendiger?

Adam: Also, wir müssen ja auch wissen, wie's jetzt mit unserer Gruppe weitergeht und wie's überhaupt mit unserer Arbeit mit Psychiatrie weitergeht, das sind erstmal zwei verschiedene Sachen. Jetzt weiß ich nicht, worüber wir zuerst diskutieren wollen. Wie's mit der Gruppe weitergeht, wie wir diese Arbeit überhaupt hier schaffen können, dass das 'n bisschen effektiver wird, dass wir nicht alles hier besprechen müssen, sondern uns vielleicht noch mal aufteilen in Untergruppen und da so allgemein über das, was man gegen Psychiatrie so alles machen könnte und machen müsste.

Uwe: Also, ich kann das konkret noch nicht sagen, ich könnt überall irgendwelche Termine sagen, aber ich muss erst mal gucken, wo da noch 'n paar Stunden frei sind, so ohne weiteres ...

Wilhelm: He, Klaus und Tina, ihr zwei nervt mich jetzt aber auch ganz schön, wa! Jetzt geht ihr raus!

(Lachen)

Werner: Mach doch den Vorhang vor, dann siehst du mich nicht mehr!

Wilhelm: Irgendwie ne Teepause.

Werner: Hör mal zu, wie geht das mit Rosa weiter! Wilelm: Nu hört doch uff, mit dem Scheiß nochmal!

Max: Falls wir mal zum Thema kommen, ich hab noch nächste Woche Donnerstag, das steht noch offen, das letzte Mal ...

Adam: Also, was wollen wir denn jetzt mit den Fragen noch machen?

Helmut: Bist du ruhig, jetzt lass ihn doch mal ausreden!

Adam: Nein, wir wollen jetzt – bei den letzten Fragen haben wir!

Uwe: Das sind alles Dinger hier, eih!

Werner: Wie waren die letzten Fragen denn?

Adam: was wollen wir weiter machen, wollen wir da noch weiter drüber diskutieren oder nicht, entweder ...

Werner: Jetzt? Im Moment weitermachen?

Adam: Sagen wir, wir diskutieren da noch weiter drüber oder wir schließen das ab.

Werner: Also ich hab die Nase voll. (Durcheinander)

Helmut: (singt) Wir haben die Schnauze voll und wir gehen nach Haus.

Uwe: Wer spinnt denn als nächstes? Ich meine, ich hab den Vorschlag gemacht, die Gelder für die Beschäftigungstherapie in Havelhöhe, wer macht n anderen Vorschlag?

Werner: Du, wir machen alle schon was. (einer rülpst, durcheinander)

Uwe: ... über Aspekte des Beschwerdezentrums nachdenken ...

Werner: Unsere Arbeit geht weiter.

Uwe: ... Das steht in zig Büchern ...

Werner: Trotzdem, wenn einer ne ... macht, es geht weiter.

Uwe: Ich les gerade, ich weeß nich, hab gerade über die menschlichen Widersprüche gelesen, da schlag ich Arno Plack: "Die Gesellschaft und das Böse" auf, und da les ich genau den gleichen Scheiß, ja ...

Helmut: (singt) O Gott im Himmel ...

Uwe: ... Ding getan und andererseits sitzen wir hier und denken über den Sinn des Beschwerdezentrums nach.

Werner: Du, Uwe, hör mir mal zu.

Uwe: Heh, fass dir mal an den Kopp, Alter! (Durcheinander)

Werner: Ich will dir mal was sagen, wir sind unwahrscheinlich wenig Leute hier, es sind wenig Leute hier, hör mal zu, hör mal zu, ...

Helga: Du, wenn wir hier sitzen, könn wir nichts anderes tun, als über das reden, was gelaufen ist oder was laufen soll. Sonst brauchen wir uns hier gar nicht zu treffen.

Uwe: Ne ...

Helga: Das ist ja absurd, wenn du hier sitzt.

Werner: : Hör mal zu, Uwe, hör mal zu ...

Uwe: Na klar ...

Werner: Ich will dir jetzt mal was sagen, jetzt hör bitte mal zu! Wir sind wenig Leute, und wir können uns nicht aufsplittern und jetzt jede Klinik hier in Berlin besuchen, und zur Zeit machen wir eben Bonnies Ranch, ja, da gibt es eben Leute, die gehen jeden Mittwoch hin, und dann gibt's Leute, die gehen jeden Sonntag hin, und denen kannst du dich bitte mal anschließen! Ja?

Uwe: Warum muss ich mich gefälligst denen bitte mal anschließen ...

Adam: (schreit) Du kannst auch allein was machen ...

Werner: Weil du die ganze Zeit hier Vorschläge unterbreitest, dass wir alle zu wenig machen, verstehst du das, darum sag ich dir was, verstehst du das? Geh mit den Leuten mit, und dann brauchst du diese Havelhöhe nicht zu machen ...

Uwe: Nein, ich kann ja ... (das folgende geht unter)

Werner: Weil du dich beschwert hast, dass niemand mitkommt

Uwe: Ich kann allein nach Havelhöhe gehen ...

Adam: Ich bin nicht bereit, dauernd unser Konzept zu ändern, nur weil

einer kommt und noch was anderes hat.

Uwe: Ne, ich hab ...

Eva: Hier hast des ja in der Hand.

Max: eh, mh, ah ...

Uwe: Das ist ein Punkt, dass zwei Leute ...

Adam: (ruft) Jetzt machen wir weiteeeeeeeer!

Uwe: Das machen wir doch gerade.

Tina und Adam: Ne, ne, ne.

Wilhelm: Also, das hast du schon vor einer Stunde gesagt, was du jetzt gesagt hast.

(Durcheinander)

Deine Idee mit Havelhöhe.

Uwe: (nachdrücklich) Quatschschsch!

Wilhelm: Seitdem ich hier mitmache, kenn ich das schon ...

Uwe: Ne, das stimmt ja alles gar nicht, als Gott geboren wurde, hab ich schon davon gesprochen.

Wilhelm: Als du geboren worden bist, das scheint mir dasselbe zu sein.

Helga: Weißt du was, mir stinkt, dass du mir deinen Hut aufsetzen willst, die ganze Zeit.

Uwe: Ne, ich will wirklich mal sagen, also ich war im letzten ...

Wilhelm: Da bist du noch sauer, wenn man sich den nicht aufsetzt. Das ist ja noch das Größte.

Uwe: Ich mein, wenn mittwochs ...

Helga: Da wirst du ja vergewaltigt!

Uwe: Wenn mittwochnachmittags 'n paar Leute zu Bonnies Ranch gehen, dann sollten das eigentlich nur zwei Leute tun, damit dann noch die anderen übrig bleiben, noch was anderes tun können.

Adam: Quatsch, da geht gar keiner hin, ich bin drei Wochen alleine dagewesen, eh Mensch, da gibt's noch nicht mal genug Leute, die in Bonnies Ranch gehen, das stimmt doch nicht, was du da erzählst!

Helga: Ja, drück doch uns nicht immer deine Vorstellungen auf, mir jedenfalls, das nervt mich.

Uwe: Und ihr drückt doch überhaupt keine Vorstellung auf ...

Helga: Ja doch, du sagst, es ist verkehrt, dass wir da, weiß ich am Sonntag hin gehen ...

Uwe: Ja, ich bin doch der einzigste, der hier was vorschlägt, was habt ihr denn ...

Adam: Weil du die ganze Zeit redest, Mensch, ..., lass doch andere mal was sagen, jetzt sei mal ne halbe Stunde ruhig!

Uwe: Äh, ..., ich soll das gefälligst auch einhalten, damit der gnädiger Herr ...

Helga: Das musst du selbst mal in die Hand nehmen, das musst du in

die Tat umsetzen.

Adam: Weil kein anderer bereit ist, überhaupt noch was zu sagen, solange du noch redest. So ist die Situation...

Uwe: Wenn du mal was sagst, dann bringt es das Beschwerdezentrum enooorm weiter.

Helmut: (schreit) Ua, wir sind ja alles Geisteskranke!

Max: In der nächsten Woche, 'n Tag sich frei machen ...

Helga: Bitte? In der nächsten Woche? 'N Schreiben zu machen?

Max: Das fortsetzen, in die Klinik zu gehen, ich bin jetzt auch nicht mehr dazu gekommen. Ich weiß auch nicht wieso.

Adam: Na, vielleicht können wir das – also, ich würd' vorschlagen, dass wir das mal packen, die Leute, die sich um die Klinikbesuche kümmern wollen, dass die sich ... treffen und so, dann andere, die noch was machen wollen, auch sagen ...

Max: Also nochmal ne Spaltung.

Helga: Ne, ne ...

Adam: Und, und das gibt soviel andere Sachen noch, ne, die wir hier gar nicht zu besprechen kommen, und das war mal das Wichtigste (mit den Klinikbesuchen), das haben wir so besprochen, letztes Mal waren zwei Leute da, die wegen, ja mit ihrer, was das Beschwerdezentrum auch machen will, dass Leute herkommen, und die werden dann beraten hier, so 'ne Beratungshilfe oder so, sowas ist da gelaufen, hier im Beschwerdezentrum, ne, dann konnten wir uns nicht mehr um diese Klinikgeschichten kümmern, ne, und das sind oft die Sachen, die, äh, die die ganze Gruppe nicht machen muss, die die ganze Gruppe auch überfordert, dass wir sonntags, ne, freitags mein ich, den ganzen Tag hier sitzen müssten, um das alles durchzusprechen.

Max: Ja, ich kann das, das ...

Werner: Du, aber guck mal, wenn wir da nochmal so 'n Zeitraum ansetzen, um das zu besprechen, dann kommen wir zu überhaupt nichts mehr, zu gar keinen Aktivitäten mehr.

Max: Aber mal langsam ...

Werner: Es steht doch noch nicht mal fest, dass Mittwoch gegangen wird und sonntags.

Helmut: Es steht aber auch fest, dass freitags Besuchszeit in Bonnies Ranch ist.

Max: Ja, ich denk ...

Helmut: Und dass sich da ohne weiteres noch ne andere Gruppe bilden könnte, da wir ja schon ach so viele sind, das steht auch fest.

Max: Da waren schon vorhin ..

Helga: Freitags ist keine Besuchszeit.

Helmut: Freitags ist Besuchszeit in Bonnies Ranch. Bittschön, in Haus fünf, dem Superknast von Bonnies Ranch, ist Besuchszeit mittwochs und freitags.

Adam: Ja, ist doch egal, ob freitags da Besuchszeit ist.

Helmut: Das ist nicht egal!

Adam: Ich hab eben gefragt, ob wir, wir haben eben darüber geredet, ob wir vielleicht 'n paar Untergruppen bilden, zu bestimmten Themen, wie zum Beispiel Beratung, zu Rechts, zum Rechtspapier, da gibts schon ne Untergruppe.

Max: Dazu hab ich keine Lust.

Adam: Die treffen sich schon extra, weil, wenn wir das hier noch besprechen wollten, dann würden wir nie mit durchkommen.

Max: Ich hab ne andere ...

Sophia: Die Arbeitstherapie mach ich.

Adam: Arbeitstherapie machst du.

Max: Ne Vorstellung, dass, dass da ne Verpflichtung festgelegt wird, Soweit jemand in das Beschwerde-dings-da-bumms-da-Zentrum will, auch ... (unverständlich) Praxis ... auch Klinikbesuche machen muss.

Adam: Ja, und das auch mal durchgesprochen werden kann, zwischen den Leuten, die bereit sind, in die Klinik zu gehen, das find ich halt sehr wichtig, und dann hier reingetragen werden kann, die Ergebnisse, und nicht das, was heute läuft, und dann brauchen wir auch nicht mehr so lange das alles durchzusprechen, dann gibt's schon ne Gruppe, die das macht.

Werner: Also, bitte, wer geht in die Klinik? Ich schreib mir die Telefonnummern auf von den Leuten, dann können wir den Rest ausmachen.

Max: Nein! Und das machst du?

Uwe: Ich muss aber sicher sein, nicht dass wir ...

Werner: Und da ich in die Klinik gehe, möchte ich gerne wissen, wer da noch reingeht.

Helga: Was, am Sonntag?

Max: Das ist uninteressant, ich will hier keine Dings abgeben, ich will die Leute sehn!

Helmut: Wir wollen jetzt nicht wissen, was du willst, wir wollen wissen, was die anderen wollen.

Werner: Wir wollen doch jetzt irgendwie ne Arbeitsgruppe machen, Arbeitsgruppe ...

Adam: Ich hab den Vorschlag eingebracht, wir haben noch gar nicht drüber geredet, ich weiß nicht ...

Werner: Du, mir dauert das zu lange, ehrlich, deinen Vorschlag hab ich angenommen.

Adam: Ja.

Helmut: Du, ich hab eben meine Hand gehoben und hab gesagt, ich, schreib bitte meine Adresse auf ...

Werner: Also bitte, hast du mal deine Telefonnummer, Helmut?

Uwe: Ist das sicher, nicht, dass das wieder vier Wochen, ich kenn das nämlich schon.

Helmut: (Gibt seine Telefonnummer)

Werner: Okay.

Klaus: Und wer noch?

Helga: Was denn?

Werner: Klinikbesuch.

Helga: Sonntag?

Werner: Na, überhaupt, wer Klinikbesuch machen will.

Sophia: Ich möchte gerne, aber im Moment kann ich noch nicht.

Werner: Was heißt im Moment, wie lang dauert der Moment?

Sophia: (unverständlich)

Werner: Ich glaub, deine Telefonnummer hab ich auch.

Max: Hast du mal was zu schreiben da?

Werner: Den Adam hab ich auch, oder bist du umgezogen?

Adam: Noch nicht, ich zieh aber bald aus ...

Werner: Adam, die hab ich auch, die Telefonnummer, okay. Gut dann machen wir eben was aus dann.

(allgemeiner Adressenaustausch)

Max: Ja, da kann man ja auch auf deinen Vorschlag eingehen ...

Adam: ... mit der Beratung, wenn da sowas ist wie, irgendwann wird es wahrscheinlich notwendig sein, dass wir nicht nur ein Beschwerdetelefon haben, sondern auch feste Zeiten, wo Leute kommen können, die sich beraten lassen wollen, was sie machen können, und naja, das brauchen wir ja nicht heute zu beschließen, aber irgendwann, denk ich schon wird es eintreten, dass es öfter vorkommt, dass Leute hierher kommen und da was wissen wollen.

Werner: hmh.

Wilhelm: Also, ich würde daran interessiert sein, da was zu machen, die Nachfrage, die ich dazu hab, wie ist das eigentlich mit dem Rechtsratgeber. Also bestimmte Fragen hab ich einfach, wo ich selber Rat brauche, und wo ich andere nicht beraten kann, fällt mir gerade ein, wenn ihr da 'n bestimmten Stand habt mit diesen Beratungsführern oder wie man das nennt so, dass wir das hier mal richtig durchsprechen, nur die Sache und die wichtigsten Sachen durchgehen, dass wir alle 'n bisschen firmer sind.

Adam: Vielleicht, wenn das fertig ist.

Klaus: Ja, nächsten Dienstag, 18 Uhr, sind wir bei der Ingeborg, es könnte sein, dass wir da im Wesentlichen fertig werden, das mal durchzusprechen, das müssen wir dann noch zusammenstellen.

Wilhelm: Da könnte man das dann machen, an einem Freitag kommt das ins Zentrum, dann reden wir darüber, und wenn irgend ein anderer kommt, dann kann der draußen seine Zigarette rauchen und dabei sich ausmären (= ausquatschen), also so, dann ist das doch ganz klar, worum's geht, is ja dann bekannt.

Adam: Das können wir ja dann machen, wenn's fertig ist. Mann, in ein oder zwei Wochen irgendwie.

Klaus: Wir können ja nächsten Freitag mit anfangen.

Max: Ich hab mal ne Frage, und zwar, als ich eben, wie ist denn das bei euch beiden, wann kommt ihr denn in die Klinik?

Klaus: Wen meinst de?

Max: Du und Tina.

Klaus: Ich mach im Moment keine Besuche, ich schaff das nicht.

Tina: Ich schaff's auch nicht, Max.

Helmut: Wo bist du denn?

Max: Auf'm Boden, auf'm Teppich.

Tina: Also Max, ich hab das schon mal gesagt, ich kann das nicht, ich hab keine Zeit.

Helmut: Du sagst grad, wann kommt ihr uns in der Klinik besuchen und ich frag dann, wo bist du denn, in welcher Klinik, und du sagst, auf'm Boden.

Max: Es dreht sich um die, äh, was ich vorher schon gesagt habe, eine Verpflichtung festzulegen, für die Leute, die freitags herkommen.

Helmut: Überleg doch mal!

Max: Ich bin kein, also ich wollte da mitmachen.

Helga: Ach so, wolltest du jemand, der mitgeht.

Max: Ja, die die aufgeschrieben sind, sind's ja bisher.

Helga: Ja, also Freitag nächste Woche bin ich nicht mehr hier. Ich bedauere das sogar ein bisschen.

(Durcheinander)

Klaus: Ich denke, dass das auch besser wird, wenn so mehr Gemeinsames gemacht wird, dass die Leute mehr gemeinsam in Bonnies Ranch gehen, dann wird das schon besser, ich denk auch, dass jeder da mal gewesen sein muss, äh, ich denk, ich mach im Moment was anderes, nämlich hier diese Rechte, die Patienten haben.

Werner: Das ist auch sehr wichtig, die hab ich also verteilt in Bonnies Ranch.

Klaus: Hast du schon verteilt?

Werner: Ja.

Klaus: So weit, wie sie sind?

Werner: Ja.

Uwe: Also das sind jetzt alles Punkte, die echt korrekt sind, aber ein Ding, was echt nicht – (bricht ab, weil Klaus und Helga flüstern, dann leise) – ich will, dass ihr zuhört hier. Aber ein Ding, was echt wichtig ist, ist, dass alle Informationen, die wir haben, zum Beispiel sämtliche Besuchszeiten von allen Kliniken in Berlin, also Spandau, Havelhöhe, Waldhaus, Klinikum Steglitz, äh, äh, äh, Bonnies Ranch, alle hinschreiben, auch die entsprechenden ...

Klaus: (ruft) Mach das doch! Von Bonnies Ranch wissen wir's, mach das doch!

Uwe: Warum soll ich das alles alleine machen? Nur, nur, nur ...

Klaus: Ja, mach doch irgendwas!

Uwe: ... nur, weil ihr das nicht für nötig haltet ...

Klaus: Ja, wieso? Hier kommst du an, du sagst: Macht ihr! Ja, mach du doch auch was, fang irgendwas an, sag, du machst meinetwegen Havelhöhe ...

Uwe: Ich kann nen Teil davon machen, aber ich mein, ich will nicht alles machen ...

Klaus: Nein.

Uwe: ... und damit ihr dann hinterher zeigen könnt, also guck mal, der macht alles alleine, da wird auch was dran stimmen, ne, also so ...

Helga: Find ich gut, den Vorschlag mit den Besuchszeiten ...

Uwe: Die ganzen, auch die einzelnen Stationen und die dazugehörigen Ärzte und der Chefarzt, solche Sachen, dass wir immer wissen, da ist der Patient auf der Station, also müssen wir mit dem Arzt sprechen

... (unverständlich, weil Werner laut dazwischenredet) ... heh, Werner, Werner ...,

Werner: Nur Mist wird hier erzählt!

Uwe: Werner!!

Werner: (schreit) Jaaa!

Uwe: Was ist denn daran Mist?

Werner: Eins ist Mist, du erzählst, was man machen könnte, und wir haben was getan und können noch nicht mal sagen, was wir gemacht haben! Verstehst de!

Uwe: Ua, und was ist daran meine Schuld?

Werner: Ja, duuu bist Schuld!

Uwe: Aha! Da hätt ich ja besser ...

Werner: Weil du zu viel redest.

Helmut: Deine Schuld ist da dran, dass du erstmal gute Vorschläge bringst, aber zweitensmal dich so hier scheißverdammt in den Mittelpunkt stellst, was du sicherlich brauchst ...

Uwe: Naja, wenn du mich im Mittelpunkt siehst, dann ist das wohl irgendwo schon ganz ehrlich.

Werner: Jetzt hört mal auf hier!

Helmut: Du, ich mach das auch, ich mach das auch, ich find das ja nicht unbedingt als Schwäche ...

Werner: Du, Helmut, kannst du dich mal unterbrechen oder nicht?

Helmut: Nein, ich hab noch was ...

Werner: Du Uwe, kannst du unterbrechen jetzt?

Uwe: Nä! Ich kann nicht unterbrechen, weil ich mich nicht unterbrechen lasse!

Helga: Du, ich bin – dann müssen wir den Saal räumen, uns 'n anderen Raum suchen, wo wir uns weiter unterhalten können ...

Werner: Ja, dann müssen wir eben den Saal räumen.

Helga: ... bis ihr fertig seid. Das ist 'n Vorschlag.

Uwe: Ne, also ich find ... (geht im Durcheinander unter)

Wilhelm: Also ihr müsstet – jeder soll mal sagen, was er macht!

Eva: Ich krieg jedesmal Kopfschmerzen, wenn ich herkomm, in's Beschwerdezentrum.

Uwe: Na gut, dann machen wir eben das, ... (unverständlich) dann sag ich eben, ich seh zu, dass ich entweder mit der Helga Montagnachmittag zur Havelhöhe fahre und einfach mal 'n paar Notizen mache, damit wir auch konkret im Beschwerdezentrum was liegen haben! (Händeklatschen) Du, es ist Tatsache so, manche Leute gehen da zu la nach Bonnies Ranch und kommen hierher und haben nischt, gucken sich das an und sagen ja ...

Adam: (schreit) Jetzt hör endlich auf zu reden, eh, da ist so viel da!

Uwe: Na, hab ich das schon mal gesehen?

Adam: Ja, du redest ja dauernd, da kann kein anderer mehr reden!

Uwe: Ich hab jedenfalls noch nie jemand gesehen, der ...

Adam: (brüllt) Du redest schon wieder!!!!!

Uwe: Du, ich hab auch das Recht dazu.

Mann: Nein, hast du jetzt nicht.

BERICHTE UND DISKUSSIONEN

Werner: Also, hört mal zu, Eva und ich, wir waren jetzt am Montag im Erlengrund, wegen Norbert Grün.

Klaus: Ja.

Werner: Eva, willst du da was sagen, du warst ja eigentlich diejenige, die viel besser beobachten konnte.

Eva: Ja, weil ... (unverständlich). Also es war, eine Psychologin war da, Frau Dr. Buhmann, die Oberschwester vom Erlengrund, der Herr Stressor, der Sozialarbeiter und noch zwei Psychologiestudenten.

Helga: Wart ihr angemeldet?

Eva: Ja, der Norbert war aber selber nicht dabei. Und dann meinte die Ärztin, dass der Norbert schon zu viele Gruppen mitmacht und deshalb findet sie das nicht gut, wenn er in die Irren-Offensive geht. Und dass er zu viele Bezugspersonen hat ...

Werner und Klaus: Waha, ja, ja ...

Eva: Und der hat schon seine Bezugsperson, der hat die Ärztin ...

Klaus: Ja, ja, natürlich...

Eva: ... da hat sie sich selbst mit gemeint, und die Psychologin ...

Klaus: Ja, mhm ...

Eva: ... und wen noch, ja, un der hat doch Therapie beim Hans ...

Wilhelm: Im KommRum macht er noch Therapie ...

Eva: ... und das reicht vollkommen aus.

Klaus: Ja und?

Eva: Ja, also in die Irren-Offensive soll er nicht mehr gehen, vorläufig, lässt sie nicht zu.

Klaus: Ja und, ja und dann?

Eva: Das war's.

Tina: Die neueste Entwicklung ist die ...

Klaus: Das war's!?

Helga: Ja, und der_Norbert, was sagt der dazu?

Eva: Der Norbert war überhaupt nicht dabei, der Norbert – ja, die Psychologin meint, der Norbert weiß ja manchmal selber nicht sicher, ob die Irren-Offensive gut ist und so.

Tina: Also eigentlich hättet ihr das Gespräch gar nicht anfangen dürfen ohne Norbert.

Klaus und Eva: Ja, ne.

Werner: Das stimmt, aber ich hab noch gefragt, ich hab gesagt, ja, wo ist denn Norbert ...

Tina: Ne Frechheit ist das eigentlich.

Werner: ... und die haben uns jetzt alle die Meinung vom Norbert erklärt und gesagt, der Norbert, der ist ja selber nicht ganz klar, was die Irren-Offensive will, der weiß es ja selber nicht, und wir haben ihm das alles gesagt, wir waren dann noch drei Stunden zusammen mit ihm, dann später, wir saßen erst unten in diesen Räumen da, und dann sind wir auch mit ihm noch weggegangen, und er hat das also auch bestätigt. Wir haben ihm gesagt, was die Ärztin uns gesagt hat, was sie über ihn gesagt hat und so ...

Helga: Und er hat das bestätigt?

Werner: Ja, er hat das bestätigt.

Uwe: Von wem redest du eigentlich?

Werner: Vom Norbert Grün.

Klaus: (unverständlich)

Tina: Mit nem Psychiater, das ist so'n Freund von ihm ...

Klaus: Ja, von ihm aus gesehen, ja.

Tina: ... und der hat eben heut gesagt ...

Werner: Arzt ist der.

Tina: Oder Arzt, ja, also der Norbert kommt jetzt wahrscheinlich in diese therapeutische Wohngemeinschaft rein, in der auch der Erwin drin ist. Wo ist die Wohngemeinschaft?

Werner: Kurfürstenstraße.

Tina: Kurfürstenstraße, und der Arzt meint halt, das ist der erste Weg, dass er überhaupt aus Bonnies Ranch rauskommt.

Klaus: Aus'm Erlengrund.

Tina: Ja, oder aus dem Erlengrund.

Eva: Ja, weil der ..., der Doktor, der war selber mal im Erlengrund Arzt ...

Werner: Hänsel heißt der?

Eva: Ja, der kennt die Zustände am besten.

Tina: Ja und der sagte, die lassen den Norbert nicht mehr in die Irren-Offensive, weil sie ganz genau wissen, dass die Irren-Offensive gegen Bonnies arbeitet, ne, dass er halt anders beeinflusst wird, hat der vorher gesagt.

Werner: Das hat der Arzt gesagt?

Eva: Ach so, aber die Ärztin hat das zu uns gesagt.

Tina: Nein, der Arzt, der hat das wohl gesagt.

Eva: Das ist ja'n Ding!

Klaus: Das ist für mich ein verbreitetes Vorurteil, das hört man immer wieder, zu viele Beziehungspersonen und so weiter.

Tina: Das ist ja Quatsch!

Klaus: Das ist ne Entmündigung höchsten Ranges, ne, also entscheidend ist doch wohl derjenige, der die Kontakte hat oder haben will ...

Helga: Ja, also wirklich, das gibts ja überhaupt nicht!

Werner: Naja, das weiß er eben nicht, der Norbert!

Klaus: Ach, ist doch Scheiße!!!!

Eva: Und mit der Wohngemeinschaft, wenn wir da mal was wissen, hätten wir ja angerufen ...

Klaus: Jetzt mal konkret, er hat es doch zu uns gesagt, er wollte mit.

Werner: Er hat gesagt, es da aber anders gesagt, das hat er auch zugegeben.

Tina: Ich glaub, dass die den Norbert unheimlich fertig machen.

Wilhelm: Wenn d u da sechs, sechs Leute gegenüber ...

Eva: Ja, die reden einem doch alles mögliche ein. (Durcheinander)

Werner: Das sagt jeder, ja. Ich erleb das immer wieder, es müssten Patienten mal da sind, die auch, die fest sind, aber du finds keinen Patienten, der so fest ist, dass du ihn unterstützen kannst, den findest de nicht, ich hab noch keinen gefunden. Ich weiß selber, wie ich war

...

Sophia: Ja, natürlich.

Klaus: Das hängt von der Situation ab ...

Werner: Es gibt keinen Patienten, der zu dem steht, was er sagt, der sagt, ich will das, der dann auch dahintersteht.

Sophia: Ich glaub, in dem Moment, wo die ihnen sagen, ich will raus ...

Werner: Dann kannst du raus.

Sophia: ... dann brauchst du nicht mehr in der Klapse zu sein.

Werner: Das ist nämlich die Sache, darum ist man auch so schwach, ja, da werden die Patienten immer wieder beeinflusst, man hat ihn dann soweit, dann sagt der Arzt wieder was, dann der Psychologe.

Eva: Dann meint sie, ja das hab ich ja gesehen das letzte Mal. Jetzt weiß ich nicht mehr, was da vorgefallen ist, wo er dann zurückgegangen ist und die Medikamente nicht genommen hat, so geht das nicht, das war doch in der Irren-Offensive, da hat ihn dann ein Mädchen noch mit heimgenommen zu uns, so, zwei Tage oder so.

Klaus: Naja ...

Eva: ... es ist ihm nicht geholfen, in dem Fall.

Helga: Für mich ist halt die Frage, stellt sich die Frage, grundsätzlich, ist es taktisch klug oder unklug, überhaupt über den Kopf von jemanden, den es betrifft, mit solchen Institutionen oder solchen Leuten, Ärzten und Psychologen, zu sprechen. Wenn es so um Entscheidungen geht, um die Frage, soll der in die Irren-Offensive gehn, und ich hab das Gefühl ...

Eva: Schade, dass er nicht dabei war.

Werner: Ne, wir haben gesagt, wir sind in der Irren-Offensive, das sind wir. Der Norbert, der kennt uns und wir finden das gut, dass er zu uns kommt.

Helga: Ja, das ist ja auch in Ordnung, aber der Norbert war nicht dabei.

Werner: ... das haben wir gesagt.

Klaus: Da haben die euch widersprochen?

Werner: Da haben die gesagt, ja, sie müssen wissen, die Krankheit, die einen ziehen sich zurück ...

Eva: Der ist noch sehr krank!

Werner: ... die einen ziehen sich zurück und die anderen machen Aktionen, und da gehört der Norbert eben dazu, der ist ja fast, der macht ja so viel, der weiß ja gar nicht, was er will, ...

Helga: Verstehst du, keine Kritik, aber ...

Werner: Du, und wenn der Norbert dabei gewesen wär, wär's auch nicht anders gelaufen, glaub mir das!

Helga: Ja, aber das wichtigste ist, also für mich zum Beispiel wär, egal wie ich mich fühle, aber ich würde mich beschissen fühlen, wenn ich höre, aha, das ist gelaufen, ohne mich ...

Werner: Du, das hab ich doch auch gesagt, ich hab dem Norbert gesagt, dann und dann bin ich da, und du sollst dabei sein, das hab ich ihm gesagt, und ich möchte nicht, dass wir über dich reden und du bist nicht dabei.

Klaus: Das nächste Mal, denk ich mir, nicht nur sagen, der soll dabei sein, sondern nicht reden ...

Werner: ... wenn er nicht da ist.

Klaus: Ja, dann reden wir nicht, also ne, das heißt, ich kann nur für mich sprechen, also das möcht ich von mir, ob ich's mache, ist wieder ne andere Sache, das nehm ich mir vor. Da red ich mit den Leuten nicht, Punkt eins. Der zweite Punkt ist, ich red nicht darüber, wie krank jemand ist, und das ist das dümmste Gerede, für mich, das ist meine persönliche Meinung, sondern ich red um Menschenrechte, der hat Ausgang zu kriegen und die halten den drin, die verletzen – die sperren ihn ein!

Werner: Nein. Das dürfen sie nicht, der konnte mit uns auch raus.

Klaus: Ja, wieso war er dann am Montag nicht unterwegs?

Werner: Weil er die Irren-Offensive verboten gekriegt hatte.

Klaus: Jaa! Das ist es doch genau. Der kriegt doch ganz speziell was verboten, der wird unterdrückt, und da setz ich an, über krank oder nicht diskutier ich nicht!

Helga: Das ist ne Beschwerde!

Werner: Da haben wir auch nicht drüber diskutiert, die haben uns das einfach gesagt.

Klaus: Ja, ... darüber red ich auch nicht. Das können die nicht beurteilen, und ich auch nicht.

Helmut: Darf ich vielleicht mal was sagen?

Eva: Ich sehe die Konsequenz, was du gesagt hast ...

Helmut: Darf ich vielleicht jetzt was sagen?

Eva: ... also verstehst de, der Norbert hat so geredet, da könnt ihr gar nichts machen, und der Norbert darf dann ...

Helmut: (mit Nachdruck) Darf ich vielleicht mal was sagen? Also von meinem Standpunkt aus, halt ich das für sehr gefährlich, dass die Leute unsere Taktik kennen.

Helga: Wie meinst du das jetzt?

Helmut: Ich würde mich da sehr angegriffen fühlen, das find ich ganz gut, dass die Psychologen bzw. die Psychiater oder Neurologen bzw. sich angegriffen fühlen, aber andererseits ist Schweigen besser, sie sollten nichts darüber wissen. Um so besser kann man sie greifen.

Tina: Ich glaub, dass diese Psychiater vor allem so eingebildet sind und so überzeugt sind von ihrer Macht, dass sie gar keine Angst haben, dass du denen das erst mal wegnehmen musst, und dann kapieren sie erstmal, was los ist.

Helmut: Jasicher, dassagichdochgrad, indemmantatsächlichjemanden und das ist unser Fehler, ich sage ganz bewusst u n s e r Fehler, jemandem eine Mitteilung gegeben hat, die er weiterverbreitet hat.

Werner: Ja, wer?

Helmut: Ich finds einerseits ganz gut, der Norbert, dass diese Mitteilung sich verbreitet ...

Eva: Was?

Klaus: Dass sie ihn nicht rausgelassen haben? Werner, Helmut und andere: Neiiiin!

Werner: Dass wir die Irren-Offensive sind ...

Helga: Also ich würd sagen, wenn Öffentlichkeitsarbeit hergestellt wird, mit den Informationen, dass die dann auch irgendwann mal – also Schiss kriegen.

Wilhelm: Also die haben.schon Angst gekriegt, die haben in den letzten vier/fünf Jahren auch einiges geändert, nichts Wesentliches, ja, aber unter Kapp hätten wir da nicht hingehen können, da wär die Polizei gekommen und hätte euch rausgeschmissen, wenn ihr da reinkommt.

Werner: Hausfriedensbruch.

Wilhelm: Ja, hättet ihr ne Anzeige gekriegt, klipp und klar, da hat sich doch was geändert, dass die nach wie vor in den Sesseln sitzen, ist richtig, ja, aber sie wissen auch, dass das – da hat Klaus recht – dass das, wie sie das machen, nur Verwaltung von sozialem Müll ist, den sie da hinkriegen, und wo sie sich jetzt von ihrer Ärztementalität her sich selber was vormachen müssen, damit sie nicht selber durchdrehen.

Klaus: Ja.

Wilhelm: Und es gibt ja auch einige Leute, die da wirklich 'n schlechtes Gewissen haben.

Klaus: Ja.

Wilhelm: Es sind ja nicht nur Leute, die sagen, naja, nun lasst die mal, dann haben wir n bisschen mehr Ruhe, sondern die haben auch'n ungutes Gefühl.

Klaus: Ja.

Wilhelm: Und was ihr da vom Erlengrund erzählt, die ganze Geschichte da, offensichtlich haben die noch kein ungutes Gefühl da, die sind da noch nicht irgendwie ...

Werner: Vorsicht. Da sind ja auch lauter Leute drin, die sehr ruhig sind. Da gibt es keine Chaoten in dem Sinn, die sind alle so friedlich.

Eva: Ja, also – lebendige Leichen.

Tina: Genau! Zombies sind's! Sonst nichts mehr. Ich hab so'n Foto gesehen, der Norbert Grün hat so'n Weihnachtsfoto von da, da ist ja übrigens auch einer gestorben.

Frau: Der ist tot?

Tina: Der war krank und den haben sie nie ins Krankenhaus gebracht.

Werner: Das hat der Norbert erzählt, der hat aber Angst, da was zu machen. Das hat aber gestimmt, ... Schwierigkeiten, was willst du da machen?

Helmut: Dass wir die Irren-Offensive sind ...

Werner: Das meint er!

Helmut: Und denen die Faust zeigen!

Klaus: Ja, das muss doch wirken, klar.

Helmut: Okay, aber sie sagt was ganz Berechtigtes, sie haben keine Angst.

Helga: Naja, ich glaub's auch, auf ihren Stühlen

Klaus: Nö.

Tina: Die sitzen da sehr fest, sehr sehr fest.

Klaus: Also, meine ganze Erfahrung mit Autoritäten ist, je höher einer sitzt, desto mehr Schiss hat er. Und zwar mit Recht, der hat nämlich was zu verlieren ...

Helga: Ja, aber dann nur, wenn's Publikationen gibt ...

Klaus: Genau!

Helga: ... das ist ein Prestige.

Klaus: Das hängt eben davon ab, wie der die Situation einschätzt. Beispiel: Bonnies Ranch, Station 1a, da waren wir sechs Leute da, da waren sie saufreundlich, ihr könnt jeden Tag kommen, da sind die total umgefallen, da haben sie nicht mehr mit Macht gemacht, da haben sie nicht gesagt, nein, es ist schlecht für die Leute, wenn ihr mit denen ... da haben sie sich nicht mehr getraut, weil die wussten, sechs Leute, nee, lieber nicht.

Adam und Tina: Die fühln sich so sicher!

Tina: Die fühlen sich so sicher, dass sie sechs Leute reinlassen können. Die haben die Macht. Die haben die Spritze, und nicht du! So sieht's nämlich aus!

Klaus: Ja, die haben die Macht, und sie wissen, dass die Spritzen nicht heilen können.

Tina: Aber sie geben die Spritzen!

Klaus: Und wenn du da draufkloppst, dann kriegen sie Schiss, und zwar nicht knapp.

Tina: Ach Klaus ...

Werner: Ne, ne.

Helmut: Meinst du, der Obermedizinalrat von Bonnies Ranch hätte vor dir Wanze Angst?

(Ruhe)

Klaus: Ich sprech den Leuten, eingeschlossen mir, ja ab, andere Leute beurteilen zu können. Ua. Ob die jetzt nun Psychologen oder sonst was sind, scheißegal, der Schlüssel zum Verständnis einer Person ist die Person selber, ...

Eine andere Person: Ja.

Klaus: ... Ja, und wenn andere, die können Ideen äußern, die können Ideen äußern, und dann kann ich gucken mit demjenigen, den es betrifft, was ist da dran. Aber der Schlüssel ist immer die Person in so ner Situation, wenn die mir irgendwas erzählen, dann sag ich, das können sie überhaupt nicht beurteilen und dann kann's ich auch nicht beurteiiën, da können wir überhaupt nicht drüber reden, ja.

Mehrere: Mh, mh.

Klaus: Der will raus, und ihr habt ihn rauszulassen. Und wenn nicht, sagt, nach welcher Ordnung ihr das könnt, ja, zeigt das Ding mal.

Werner: Klaus, die haben uns doch gesagt, dass er da und da und da hingeht.

Klaus: Ja und?

Werner: Also von wegen, der will raus, der ist doch draußen, was willst de denn sagen?

Eva: Der will in'ne Wohngemeinschaft, da hat die gesagt, er wär noch zu krank, das wär noch zu früh.

Werner: Und wenn er, und auf die Dauer gesehen, da ist auch die Ärztin der Meinung, eine Wohngemeinschaft wär für ihn das richtige und sein eigener Arzt, den wir da vor Kurzem gesehen haben, nicht Tina, der hat auch gesagt, und da könnt man sogar die Medikamente abbauen, aber bitte Wohngemeinschaft, gib mir die Wohngemeinschaft, wo der Norbert reinkann, ja, dann geht's wieder los.

Klaus: Ja, da musst du sie beim Wort nehmen, ... mit der Wohngemeinschaft.

Werner: Ja, hat sie doch gesagt – ne, die nicht, die nicht, die hat doch keine Wohngemeinschaft!

Tina: Die, die glaubt sogar, dass er in dieser Abschiebestation gesund wird, wenn sie 's Kranke gesund nennt.

Werner: Du sollst ihr eine geben, eine Wohngemeinschaft, du, Klaus, sollst ihr eine geben! Die haben keine. ... der Norbert kann auch renovieren helfen ...

(Durcheinander)

Uwe: Wir haben keine ambulanten Ärzte oder Psychologen, denen wir genügend Vertrauen schenken, um anderen Leuten, bei denen die Gefahr besteht, dass sie in die Station müssen, eben was vorzuschlagen, denen zu sagen, geh mal zu dem Arzt, da bist du wenigstens nicht auf der Station.

Helga: Ist das denn erlaubt gesetzlich, dass man einem Patienten das verbietet?

Eva: Die Ärzte haben das verboten! (unverständliche Diskussion darüber)

Werner: Du, ich weiß es nicht, die haben im gleichen Atemzug gesagt ...

Helga: Dann ist er ja entmündigt!

Adam: Die arbeiten eben so.

Tina: Und weil er freiwillig drin ist, hat er 'n Abkommen mit denen, nämlich dass er auch bestimmte Sachen einhält, und die erpressen ihn, das ist 'n Wahnsinn, die erpressen ihn damit, dass sie sagen, wenn du das nicht machst, dann musst du gehen. So läuft das nämlich ab!! Das ist unheimlich verzwickt in dem Fall.

Helga: Subtil.

Werner: Und der Norbert war unwahrscheinlich froh, dass sie ihn genommen haben.

Tina: Und die machen den ja auch so fertig, jetzt hat er so viele Medikamente, dass er überhaupt, der hat ne panische Angst, rauszukommen.

Werner: Ja genau.

Tina: Das geht überhaupt nicht.

Werner: Was meinst du, wie froh der war, die zwei Tage, wie er raus war, dass er wieder rein durfte.

Tina: Jetzt können sie ihn damit erpressen, dass sie sagen, wenn du dich an das und das nicht hältst, schmeißen wir dich raus.

(Bandseitenende)

Tina: Warte mal, das hatten wir schon mal, mit Norbert Grün. Das war total verantwortungslos, was da passiert ist. So geht's nicht!

Helmut: Ich trage Verantwortung.

Tina: Von wegen, einen Tag, ja.

Helmut: Du, die Verantwortung, die ich trag , die trägst du nicht. Dann werd ich böse, wenn du mir das abstreiten willst, was ich bisher gemacht habe und was ich mache. Ich habe bisher jetzt noch nicht das gesagt, was ich denke, und zweitensmal traue ich mir das ohne Weiteres zu, das zu machen.

Tina: Einen Tag.

Helmut: Einen Tag. Dafür gibt es genug Material, die da ein fach da sind, und hier auf dem Markt einfach in Regalen verschimmeln, die gar nicht gebraucht werden ...

Helga: Was für Materialien?

Werner: Von was sprichst du denn, Helmut?

Helga: Zur Verhandlung, oder was ist los.

Werner: Der Günter soll'n Wohngemeinschaft haben, darüber sprichst du.

Helmut: Ich halt 'ne Wohngemeinschaft für nicht gut, weil er da noch mehr kaputt gemacht wird als hier.

Sophia: Was hältst du denn für gut?

Helmut: Ich halt es für gut, ihm tatsächlich einen Kreis aufzubauen, der ihn regelrecht besucht, und der es gut mit ihm meint.

Sophia: Und er bleibt in der Klapse, in der er ist?

Helmut: Er bleibt gewissermaßen in einer Klapse, erstmal, das kann man nicht verhindern, weil wir schließlich alle in 'ner gewissen Klapse sitzen, entschuldigt mal, das muss ich euch mal sagen.

Werner: Du, was du über ihn sagst, ist gut, aber da müssen sich wieder Leute finden, die da hingehen.

Helmut: Die lassen sich finden.

Werner: Ja, aber bitte, wo sind sie?

Helmut: Warum, warum, warum muss ich unbedingt immer alles einschränken? Und glaub mir, wenn ich was in die Hand nehme – ich sag das nicht umsonst – ich bin auch nicht größenwahnsinnig, wenn ich 'nen richtigen Hass kriege, lass ich die ganze Welt in die Luft fliegen!!

Tina: Helmut, ich will dir da nur eins dazu sagen: Norbert Grün sagt selber, er will nicht, dass ihm x-beliebige Leute helfen, das will er nicht.

Helga: Ja, das versteh ich auch, es ist doch sein Recht, das zu sagen, er hat ja auch noch 'n Willen, was andre für ihn wollen, ist auch ganz gut, aber ob er das dann will!?

Tina: Ja, da musst du ihn mal fragen.

Helmut: Ich kann, ich kann ...

Helga: Wenn du ihn so gut kennst, dann gib doch schon mal 'n paar Kontaktpersonen an, die besonders wichtig sind und (leises Durcheinanderreden)

Werner: Ja, wollen wir nun noch was machen, mit'm Norbert Grün?

Eva: Ja, der hat jetzt 'n Vorstellungsgespräch bei der Wohngemeinschaft, in der Kurfürstenstraße.

Werner: Ja, da wollen wir erstmal abwarten.

Eva: Ja.

Uwe: Wollen wir uns mit ihm mal treffen? (Durcheinander)

Klaus: Was habt ihr denn mit ihm ausgemacht?

Eva: ... vom sozialpsychiatrischen Dienst.

Werner: Mit ihm haben wir gar nichts ausgemacht.

Klaus: Hat er nichts geäußert?

Werner: Er hat keinen Wunsch gehabt, er wollte mit uns noch 'n Bier trinken gehen, wir haben zwei Stunden bei ihm gesessen, er hat uns diese Bilder gezeigt, auf der Wand, der da umgekommen ist da, haben wir gesehen, und dann sind wir noch 'n bisschen rausgegangen, in die Kneipe, ham Bier getrunken, er hat kein Bier getrunken, dann hat er uns gesagt, das war gut, dass ihr hier wart. Kaffee hat er getrunken.

Klaus: Ich denk, allein, dass ihr schon nachgefragt habt, das ist schon was.

Werner: Ja, find ich auch gut.

Klaus: Und dass der Norbert da rausgekommen ist und zwei Tage bei der Frau geschlafen hat, ist auch gut, ja.

Werner: Ja.

Klaus: So beim Werner Fuß hab ich auch mitgekriegt, wenn der zwei Tage woanders ist, dann ist der so ganz anders.

Tina: Ne, das war beim Norbert nicht so, da hättest du den Norbert vorher sehen müssen, da war die Medikation heruntergesetzt, und wie sie ihn nachher vollgedröhnt haben, das war unheimlich schlimm, der konnt überhaupt nicht mehr reden, und dann haben sie ihn nicht mehr weggelassen, und ham den, der musste, da haben sie ihn so erpresst, der musste so was wie eingestehen, dass es ganz schlimm war, dass er draußen war, und alle haben ihm gesagt, da hast du mal gesehen, du kannst das nicht, wie du krank bist, und du musst bei uns bleiben und, und, und der hat das voll abgekriegt, aber voll.

Werner: Tina, du sollst aber nicht vergessen, dass...

Tina: Und ich weiß nicht, die zwei Tage, ich glaub, dass er durch die zwei Tage, in denen er total überfordert war, da hat ihn nur eine Frau betreut und die konnte ihn überhaupt nicht auffangen, der hatte 'n Entzug, er war ja vorher voll Medikamente, hatte plötzlich keine Medikamente mehr und dann haben sie ihn, dann musste er überall hin, haben ihn rumgeschleppt, er war total fertig, der war total schockiert von der Welt hier, und er war froh, dass er überhaupt wieder reinkam, und dem haben wir nämlich noch 'n Stück Mut genommen. So sah's nämlich aus.

Werner: Also, ich möcht euch mal was dazu sagen, weil ich grade an dem Abend da war, ich war dabei, bei der ganzen Diskussion, die Tina war ja nicht da an dem Abend und wir, die ganze Irren-Offensive, alle Leute, die da waren, haben gesagt: Norbert, mach das nicht, Norbert nein, Norbert tu das nicht, und dann haben wir uns überlegt und gesagt, und der Norbert sagte: Ich muss, wenn ich es jetzt nicht mache, dann klappt's nie mehr, und ihr könnt mich nicht, und dann haben wir die Maria angerufen und haben gesagt, die muss dem zureden, dann haben wir versucht, die Klinik zu erreichen, dass die ihn dann doch wieder nehmen, falls wir nicht und so weiter, es sind also unwahrscheinlich viele Aktionen gelaufen. Und da war 'ne Frau, die war das erste Mal da, der hat das einfach leidgetan, dass da einer sagt, ich brauch jetzt unbedingt Übernachtung, ja. Und die hat ihn halt mitgenommen ...

Tina: Die Scheiße hat ja schon angefangen, dass in die Irren-Offensive 'ne Frau reinkam, die überhaupt keine Betroffene war, sondern 'ne Studentin, die an uns lernen wollte, das hat doch keiner von euch gescheckt, das war doch schon für'n Arsch!

Werner: Und wir haben also alle gesagt, wir waren also alle mit der ganzen Aktion eigentlich nicht einverstanden, und dann haben wir aber gesagt, gut, wenn er's will, das ist für ihn ein Lernprozess. Und er hat es ja auch gelernt, dass es draußen für ihn zu schwer war, er hat ja gemerkt, dass er das nicht durchsteht ...

Tina: Das ist ja die Kacke, verdammt nochmal!!

Werner: Du, das ist keine Kacke! Das ist keine Kacke, der hat es gelernt, dass es einfach noch zu früh war.

Tina: Ach, Quatsch!

Werner: Der braucht 'ne Alternative, wenn er da rausgeht.

Tina: Quatsch, der braucht 'nen andern Ansatz, nicht so, wie das gelaufen ist!

Werner: Ja, auf blauen Dunst rauszugehen, das geht nicht!

Helga: Ich find das ja auch, was Werner sagt, aber wenn er da schlechte Erfahrungen macht, dann ist das wirklich für ihn halt seine Erfahrung.

Adam: Ja, aber wie die Erfahrung zustande kommt, das ist ja auch nochmal ein Unterschied.

Helmut: Ich glaube, dass man jeden seiner Erfahrung aussetzen soll, und dazu gehört, was ich vorher schon gesagt hab, ein Kreis ...

Werner: Natürlich.

Tina: Ja, ein Kreis, ein Kreis.

Werner: Ein Kreis, 'ne Wohnung ...

Tina: Keine Einzelperson, ... die gar keinen Durchblick hat.

Helmut: Nicht 'ne Einzelperson, die überhaupt nicht weiß, wer er ist.

Tina: Ja, genau.

Helmut: Die ihn gar nicht kennt, die über ihn nichts sagen kann, die eigentlich nur irgendwie Materialien sammeln will an ihm ...

Werner: Ne, ne, ne, ne

Helmut: Ich weiß ja nicht ...

Werner: Das war 'ne reine Hilfe war das, 'ne reine Menschlichkeit.

Helga: Also in Italien zum Beispiel...

Helmut: Das war 'ne Zerstörung war das!

Helga: In der Antipsychiatrie...

Werner: 'Nen Lernprozeß war das! (Durcheinander) Ja, hat doch jeder das Recht.

Helga: Ich mein, es hat doch jeder das Recht zu lernen, wechselseitig, miteinander, was ist schlecht dabei?

Helmut: Es hat jeder das Recht zu lernen aber nicht unter so 'nem Druck.

Werner: Du, Helmut, wir können einfach nichts machen.

Helmut: Aber ich als Einzelperson, von einer Person, die ich gar nicht kenne und die mir tatsächlich da so 'n Zustand ... aber andererseits hab ich gehört, dass da irgendwas gelaufen ist, dass der Norbert da irgendwie auf die Frau reagiert hat, dass er da irgendwas gemacht hat, was, das weiß ich jetzt nicht, da ist es schon keine Spekulation mehr.

Werner: Du, die Tina, die war im übrigen auch im Beschwerdezentrum.

Klaus: Also ich denke, dass da noch was anderes nötig gewesen wäre, wenn er also wirklich ... sein müssen, und, ich kann ja auch auf was anderes gucken, auf die Kraft, ihr habt alle versucht abzureden, und er hat das trotzdem gemacht ...

Werner und Helga: Ja, genau, ja.

Klaus: ... das ist doch irre, und dann haben sie ihn vollgedröhnt und haben ihn mit Verboten belegt, und unterdrückt bis zum geht nicht mehr, der kommt dann hier ins Beschwerdezentrum, der lässt sich nicht unterdrücken, ich find das Wahnsinn, ja, da kann ich ja auch drauf gucken, und ich denke, der vergisst das nicht, die zwei Tage, die er draußen war, er w i l l r a u s ! Nach wie vor!

Werner: Er spricht heute noch davon.

Klaus: Und er war auch schon mal draußen, er hat das erfahren, er wird das beim nächsten Mal besser machen.

Helmut: Ne, ich hab den Eindruck, dass der Norbert was sucht, was er nicht hat, und da möcht ich wieder auf den Kreis kommen, den er braucht. Also Solidarität. Ich möcht ja unsere Solidarität nicht total anzweifeln, aber da fehlts halt. Warum soll man die dem Norbert denn nicht geben? Wo sind da die Leute, die sich solidarisch stark machen und sagen, so Norbert, wir sind ...

Helga: Du kennst den Norbert doch gar nicht.

Helmut: Ich kenn den Norbert.

Klaus: Das ist die Frage, wie's weitergehen soll, klar, das beste find ich SSK, Arbeit, Leben und Kampf, die machen das, aber ...

Werner: Dadadadat...

Klaus: Also, ich muss mich entscheiden und ich denke, also erstmal den Kampf zu machen, und das andere wär so Krisenintervention oder irgendsowas, das haben wir ja gesehen bei Rosa, wie viel Leute dafür notwendig sind, wie schwierig das ist und, ja, hier läuft ja nun nicht mehr. Ja, man kann auch det machen, beides also, ich kann das nicht. Das ist für mich ne Entscheidung, mach ich dies oder mach ich jenes.

Helga: Ja, jeder wie er kann.

Klaus: Ich möcht da irgendwie hinterkommen, ich möcht da hinkommen, beides zu machen, aber jetzt im Moment ...

Werner (leise): Ich schaff's auch nicht. (laut) Wenn du keinen Schlaf mehr brauchst, schaffst du das vielleicht.

Klaus: Ja.

Helmut: Ich sag, ich schaff es.

Tina: Bloß was ist dann mit dir, ne.

Helga: Ja, da hab ich jetzt grad dran gedacht. (unverständliches Gemurmel)

Klaus: Ja. jetzt lass ma das doch mal mit dem Beschwerdetelefon machen.

Adam: Einfach losschreien.

Uwe: Ja, machen wir dat.

Klaus: Ja, machen wir dat doch.

Wilhelm: Jeht det jetzt bei denen hier?

Adam: Schreitherapie, nach jedem Beschwerdetreffen!

Wilhelm: Ob das jetzt hier geht?

Helmut: Waaah-ah!

Wilhelm: Da war doch'n Problem mit dem Büro, dass die uns erst dann ranlassen wollten, wenn das nach unten auch gestellt ist.

Klaus: Ich denk, wir müssen da Druck machen, wir sind dann hier und sagen, jetzt wollen wir telefonieren. Wenn nicht, dann reden wir darüber, wieso wir nicht telefonieren können.

Tina: Wie ist denn das mit der Tür?

Klaus: Scheißtüüür, dann sollen sie 'ne Tür einbauen!!

Tina: Haben sie noch nicht?

Klaus: Wenn wir da drei Monate von reden, und machen nichts, dann machen die auch nichts.

Tina: Ich denk, die werden in dem Moment, wo wir telefonieren, auch ne Tür einbauen.

Klaus: Ja, genau. Da quatsch ma ihnen in die Therapie.

Werner: Wo ist denn das Telefon?

Klaus: Hier ist es jetzt, und die wollen das nach unten in den Meditationsraum legen, weil hier hinter ist noch kleines Räumken, und da machen sie Therapie zu der Zeit, und da ist keine Tür drin, nur ein Vorhang.

Adam: Also, ist es denn jetzt überhaupt schon dran, dass das Beschwerdetelefon besetzt werden soll, ich dachte, wir sollten erst mal dieses Dings, dieses Rechtsberatungsheft fertig haben. So weit sind wir doch noch gar nicht, und wenn wir's jetzt schon machen wollen, dann können wir auch vorschlagen, dass Leute, die halt denen bekannt sind, da unten, die von Anfang an schon mitmachen, dass die das zunächst mal machen, und dann haben die auch keine Bedenken, dass da jemand an die Akten geht. Also ich bin da öfter schon in diesem Büro gewesen, da hat auch keiner was gesagt.

Klaus: Ja.

Sophia: Also auch für den Fall, wenn ich's nochmal chaotisiere, was mich jetzt wahnsinnig nervt ist, dass du (Uwe, K.D.), wo wir drüber reden, da sitzt und irgendwelche Sachen schreibst.

Helmut: Lass ihn doch.

Adam: Lass ihn doch schreiben.

Sophia: Ja, trotzdem, du ... ich hab mich zwei Stunden lang fürchterlich unterdrückt und ...

Helmut: Ist doch sein Lernprozess, ist doch sein Lernprozess.

Helga: Es gibt Leute, die trinken Bier, oder die rauchen nebenbei, alles, was nicht zur Sache gehört.

(Lachen)

Sophia: Im Prinzip ist mir das auch egal, aber, wenn ich mich zwei Stunden oder länger unterdrücken lasse, weil jemand unbedingt seinen Sermon loswerden will und immerzu erzählen will, wie das alles eigentlich getan werden muss, und was alles nicht getan wird, und dann, wenn man darüber redet, was nun eigentlich getan wird, hinsetzt und nicht zuhört, dann muss ich mich ärgern und muss damit rechnen, dass es dann das nächste Mal genau wieder so läuft.

Helmut: Ja, Sophia, hast jetzt hier deinen Ärger abgel...

Helga: Ich freu mich jetzt die ganze Zeit, dass was anderes läuft und jetzt wird wieder auf jemandem rumgehackt.

Helmut: Du hast ja auch deinen Ärger jetzt gerade preisgegeben, ja?

Sophia: Ja.

Werner: Du kannst also zufrieden sein. (schallendes Gelächter)

Helga: Mehr willste gar nicht? Der Uwe hat gar nicht reagiert, das hat er nicht gehört.

Tina: Uwe, ich krieg von dir noch Knete.

Uwe: Ja, stimmt, fünf, ne, wieviel waren das, sechs Mark?

Tina: Nein.

Uwe: Fünf Mark!

Tina: Nein, mehr!

Uwe: Acht Mark! Ja. (Lachen)

Uwe: Kann ich dir das auch Montag geben, falls ich Montag überhaupt zur Irren-Offensive komme?

Tina: Mh.

Uwe: Spätestens nächsten Freitag ...

Tina: Mh.

Uwe: Dann hoff ich. Wenn ich dir jetzt die acht Mark gebe, dann komm ich nicht übers Wochenende. Aber kriegen tust es auf jeden Fall, hast doch noch n bisschen Geduld?

Tina: Ja, ich bin immer so geduldig.

Uwe: Schön. Denn ich geh ja nicht davon aus, dass du morgen in der Kiste liegst, also kriegen tust du das Geld auf jeden Fall.

Tina: Wenn ich morgen in der Kiste liegen würde, wär alles schon egal.

Uwe: Dann überweis ich die Schulden auf deinen Vater oder deine Mutter oder spende die für die Heilsarmee.

(Gähnen)

Uwe: Du, ich bin noch nicht fertig, ich muss noch etliches, das muss alles noch organisatorisch – ich kann aber so nicht schreiben.

Klaus: Ja, ich muss selber schreiben.

Werner: Ich wollt mal wissen, wie ist es denn, mit Rosa weitergehen soll.

Helmut: Röschen!

Sophia: Die ist wieder ziemlich klar, kann wieder allein bleiben, wär ganz schön, wenn man vielleicht zwischendurch mal 'ne Stunde Zeit hätte, mal bei ihr vorbeigeht, damit das nicht so abrupt, total abgebrochen wird. Was im Moment sie wohl macht ist, dass, ich weiß nicht genau warum, sie selbst sich fern hält von allen anderen, gestern Abend hatte sich eigentlich eine Frauengruppe getroffen, sie ist nicht gekommen ...

Klaus: Sei doch mal ruhig, lass die Zigarette an!

Sophia: ... sie hält sich zur Zeit von allen Leuten, die jetzt in der Zeit mit ihr zusammen waren, offensichtlich fern.

Tina: Wundert dich das? Wenn ich mir vorstell', dass die Leut so viel um sie rum waren. ..

Sophia: Das wundert mich überhaupt nicht. Nur, ja, ich fänd das ganz gut, wenn man dann mal bei ihr anruft, oder sie mal besuchen würde für ein Stündchen oder ein halbes Stündchen, wenn man die Zeit erübrigen will.

Tina: Sag mal, wie ist denn das mit Haldol? Kriegt die immer noch Tabletten?

Sophia: Nein, die hat nur einmal 'ne volle Ladung geschluckt.

Tina: Und jetzt nichts mehr? Das ist ja gut.

Helmut: Ich muss jetzt gleich nach Hause. (Geflüster)

Klaus: Ist doch Forum am Montag.

Martin: Fällt aus. Kommt doch keener.

Klaus: Ach, fällt aus, ach ja.

Martin: Wahrscheinlich. Ich hab die Maria angerufen, da geht aber keiner ran.

Tina: Die Sophia sagt, dass man da mal vorbeigucken könnte.

Martin: Also ich hab wahrscheinlich schon was anderes vor.

Tina: Ja, ich auch.

Sophia: Hast du bei der Rosa angerufen?

Martin: Ja, ich hab bei Maria angerufen, aber da geht keiner ran.

Sophia: Und bei Rosa?

Martin: Nee.

Sophia: Tu das mal, die freut sich vielleicht.

Martin: Kann ich machen. Hat einer von euch Lust, mit in die Music Hall zu kommen?

Klaus: Was läuft denn da?

Adam: Ne, Hardrock, nichts für alte Männer!

Klaus: Ne, ist richtig. Ich geh in'ne andere Disco, die ist zu brutal.

Martin: Tschüß.

Klaus: Tschüß.



 


 


Klaus Dräger hat mich gebeten, ein Nachwort zu schreiben, da ich uralt Mitglied in der Irren-Offensive (IO) bin, beständig gegen die Zwangspsychiatrie aktiv war, und deshalb darüber berichten kann, wie die Geschichte weiter ging.

Im Zuge der Räumung der besetzen Häuser in Berlin "legalisierten" wir uns, gründeten 1983 die IO als Verein, und konnten so aus Landesmitteln gefördert werden, um eine Wohnung im vierten Stock des ersten Hinterhauses in der Pallasstraße 12 bezahlen zu können. 1994 unternahmen wir eine Fahrt in die USA und hatten dabei insbesondere mit der großartigen Kate Millett einen heiteren und viele Ideen gebenden intensiven Meinungsaustausch. Außerdem besuchten wir antipsychiatrische Gruppen in New York, Syracuse und Washington. Diese Fahrt hat meiner Ansicht nach beim Senat (der sowieso sparen wollte, wo er nur konnte) unmittelbar im Anschluss daran zu einer totalen Sperre unserer Mittel geführt. Die Abhängigkeit von den Zuwendungen haben wir daraufhin in voller Härte zu spüren bekommen: Der sonst inaktive Vorstand versuchte in Gehorsamkeitsgesten gegenüber dem Senat die Situation zu wenden, zog in dieser Krise die Macht an sich, missachtete Plenumsbeschlüsse und demontierte somit dieses Grundelement der Irren-Offensive. Es wurde über mehr als ein Jahr keine Mitgliederversammlung einberufen, die dies hätte korrigieren können. Wir mussten die Räume in der Pallasstraße aufgeben. Ich kann diesen Zustand leider nur so beschreiben: Es war wie in einem Hühnerstall, in den ein Sylvesterknaller geworfen worden war. In diese Zeit fällt auch der Tod von Werner Fuß.

Um Werner erinnernd zu würdigen, bekamen die Räume, die die Irren-Offensive in Berlin Friedrichshain zusammen mit dem 1995 gegründeten Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg (LPE B-B) und dem Psychiatrie-Beschwerdezentrum bezog, den Namen Werner-Fuß-Zentrum (WFZ). 2004 verließ das Psychiatrie-Beschwerdezentrum das WFZ und stattdessen zog die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener mit ihrer Geschäftsstelle ins WFZ.
Das waren die Worte bei der Taufe des WFZ am 20.11.1996:

Liebe Taufzeugen,
Freiheit, die wir meinen, wollen wir auch leben dürfen.
Das hat Werner Fuß uns vorgemacht.

Wo andere von radikaler Autonomie nur träumen, hat er sie verkörpert.
Und er hat sich nach seiner Befreiung aus der Bevormundung weiter dafür eingesetzt, dass andere, die wie er eingesperrt waren, den psychiatrischen Fesseln entkommen konnten.
Er ließ diesem Zwangssystem keine Ruhe.
Möge dieser Geist der Unruhe uns weiter treiben.

Ohne Förderung waren wir wieder unabhängig von staatlicher Gunst geworden, konnten uns nur noch durch Spendenmittel über Wasser halten. Das re-radikalisierte uns und wir veranstalten 1995 zusammen mit dem LPE B-B unseren ersten öffentlichen T4-Umzug von der Gedenkplatte in der Tiergartenstr. 4 zur nächsten Psychiatrie, damals der Charité. Diese Demonstration findet seitdem jährlich statt, 2019 schon zum 25. Mal, seit 2003 internationalisiert als Remembrance & Resistance Day.

Und der Fokus unseres Engagements verschob sich:

Statt Teil eines Gesundheitsregimes zu sein, also wie die WHO von einem Recht auf Gesundheit zu faseln, schnitten wir die ganze Diskussion über "geisteskrank" und "Geistesgesundheit" einfach ab und fordern stattdessen ein Recht auf Krankheit.
Mit dem Anspruch eines Rechts auf Krankheit ergibt sich logischerweise:

Geisteskrank? Ihre eigene Entscheidung!

Jeder Machtanspruch eines Arztes zerbricht insofern, als jede Diagnose und Behandlung immer nur ein Vorschlag sein darf. Jedem ärztlichen Handeln muss von dem bzw. der Behandelten zugestimmt werden, zumindest solange man sich äußern kann.

Damit wandelte sich das Projekt einer besseren Hilfe, Selbsthilfe, in das Projekt der Durchsetzung des Rechts auf den eigenen Körper (inkl. der Freigabe aller Drogen an Erwachsene), sowie das überfällig werden krankheitsbedingter Schuldunfähigkeit, der Grundlage des § 63 Strafgesetzbuch und dessen grausamen Vollzugs mit unlimitierter Freiheitsstrafe und folterartiger Zwangsbehandlung. Die IO wurde zu einem libertären Projekt, begründet in dem Menschenrecht, selbst zu entscheiden, ob einem überhaupt geholfen werden soll, und wenn ja, dass einem die Entscheidung bleibt, welche Hilfe es denn sein soll. Die Verwirklichung unsere Freiheitsrechte sind das primäre Ziel, insbesondere das Recht auf den eigenen Körper. Die Irren-Offensive hat den Wechsel von einer Gesundheits-Argumentation zu diesem libertären Projekt von 1994 bis 1996 vollzogen, Schlusspunkt war mit dem Einzug ins WFZ diese Presseerklärung 1996:

"Die Unantastbarkeit unserer Selbstbestimmung soll in Zukunft im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen: Unser Besuch bei Kate Millett und antipsychiatrischen Einrichtungen in den USA hat uns veranlasst, den Schwerpunkt unserer Kritik an der Psychiatrie von einem medizinischen zu einem rechtlichen Ansatz zu verlagern." "Wir lehnen den freiwilligen Konsum von Psychopharmaka nicht grundsätzlich ab. Wir konzentrieren unsere Bemühungen auf die Abschaffung der Zwangseinweisung und Zwangsbehandlung und die Entrechtung von Ver-rückten."

1998 möchte ich als Wendepunkt und in gewisser Weise als einen Höhepunkt der politischen Entwicklung der Irren-Offensive bezeichnen, der ein Ergebnis des über zwei Jahre vorbereiteten Foucault Tribunals zur Lage der Psychiatrie war: Der ehemalige Vizerektor der Universität Marburg, Prof. Dietmar Kamper, hat in Zusammenarbeit mit Prof. Gerburg Treusch-Dieter, Prof. Klaus-Jürgen Bruder und Prof. Wolf-Dieter Narr mit uns und der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz dieses Tribunal zur Lage der Psychiatrie organisiert. Kate Millet aus den USA, Don Weitz aus Kanada und Hagai Aviel aus Israel in der Jury machten das Tribunal zu einem internationalen Ereignis. Ron Leifer vertrat kurzfristig den leider erkrankten Prof. Thomas Szasz als Ankläger und der Chefarzt der Bremer Psychiatrie, Prof. Peter Kruckenberg, führte die Verteidigung an. Alles ist dokumentiert und veröffentlicht im Youtube Video: "The Verdict of the Foucault Tribunal": www.foucault.de

Schon ein Jahr danach 1999 entdeckten wir mit unserem Vertrauensanwalt, RA Thomas Saschenbrecker, eine Veränderung im Betreuungsrecht. Durch eine am 1.1.1999 in Kraft getretene Gesetzesänderung konnte eine Person privatautonom mit einer sog. "Vorsorgevollmacht", vorrangig zu einem gerichtlich bestellten Vormund, bevollmächtigt werden, die auch im sog. höchstpersönlichen Bereich Entscheidungen für einen treffen kann, wenn Ärzte einen für krankheitsbedingt zustimmungsunfähig erklärten bzw. inkompetent, eigene Gesundheitsentscheidungen zu treffen.

Wie in dem 2001 folgenden internationalen Russell Tribunal zur Frage der Menschenrechte in der Psychiatrie waren beide Tribunale sozusagen die "höchste Form" politischen Theaters. Bei diesem Tribunal wurde die "World Psychiatric Association" aufgefordert, sich zu verteidigen, und von der damaligen UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, wurde eine Grußadresse verlesen. Bei beiden Tribunalen war keiner der Akteure Schauspieler, sondern sprach für sich selbst, und es ging um das tatsächliche Geschehen in der Zwangspsychiatrie, eben gerade um nichts Fiktionales. Mit der Unteilbarkeit der Menschenrechte wurden die Urteile in beiden Tribunalen begründet. Das verschob den Schwerpunkt unserer Aktivitäten von einer Selbsthilfegruppe zu einer Organisation von Menschenrechtsaktivisten. Diese neue Orientierung wurde in der Satzung der Irren-Offensive noch 2001 festgeschrieben.

Ohne in Anspruch nehmen zu wollen, dass wir die Gemeinschaft der Völker belehrt hätten, ist es aber richtig zu sagen, dass wir mit dem festen Glauben an das, was unteilbares Recht ist, das Richtige getan haben und dass das inzwischen auch von der Gemeinschaft der Völker verstanden wird. Entsprechend trat 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention mit dem impliziten Verbot aller psychiatrischen Zwangsmaßnahmen in Kraft, insbesondere auch dem Verbot erzwungener Stellvertretung durch eine irreführend "Betreuung" genannte Entmündigung.

Im selben Jahr ist die in der "Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde" (DGPPN) organisierte Psychiatrie durch das neue Patientenverfügungsgesetz § 1901a BGB rechtlich in Bedrängnis gekommen. Denn explizit steht in diesem Gesetz, dass auch jede medizinische Untersuchung und damit Diagnose untersagt werden kann. Genau das nutzt unsere spezielle, anti-zwangspsychiatrische Patientenverfügung, die PatVerfü® um rechtswirksam durchzusetzen:

Geisteskrank? Ihre eigene Entscheidung!

Damit kann den psychiatrischen Sondergesetzen jeweils individuell der Boden entzogen werden, denn sie haben zur Voraussetzung die legale Feststellung "psychischer Krankheit" durch einen Arzt.

2017 hat auch das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte verstanden, dass der Gesundheitsbegriff der WHO neu interpretiert werden muss, um dem ihm innewohnenden Paradox zu entrinnen: Es hat explizit das Recht auf Krankheit bzw. das Recht zu jeglicher Behandlungsverweigerung anerkannt. Ja, der UN-Sonderberichterstatter über Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, sowie das UN-Komitee für die Rechte von Menschen mit Behinderungen haben in ihren Berichten explizit psychiatrische Zwangsbehandlung als Folter bezeichnet - Folter, die unter keinen Umständen weder in der BRD noch sonst wo geduldet werden darf. Das hat den Ruf der Psychiatrie gründlich ruiniert - können wir jetzt doch gut begründet öffentlich demonstrieren, dass "Psychiater - staatlich geschützte Verbrecher" sind.

Die Geschichte der Irren-Offensive im Internet:
https://www.irren-offensive.de/geschichte.htm

 


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